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Schadenszauber

CO2-Ausstoß: Sind Kohlekraftwerke ohne Treibhauseffekt denkbar? Ein falsches Versprechen soll populär werden


Von Michael Jäger

Wir beginnen, wie es üblich ist, mit China. Dort gingen im vergangenen Jahr Hunderte von Kohlekraftwerken ans Netz, darunter 174 der schon recht gigantischen 500-Megawatt-Klasse - die größten Kraftwerke kommen auf bis zu 700 Megawatt. Im laufenden Jahr gehen die Neubauten leicht zurück, aber immer noch wird durchschnittlich alle 2,7 Tage ein weiterer Kessel angeworfen. Es ist zwar falsch, in der chinesischen Kohleproduktion ein herausragendes Problem zu sehen: Man vergisst immer, dass China fast schon ein eigener Kontinent ist, mit mehr Einwohnern als Europa; es hat die umweltverträgliche Höchstmenge an CO2-Ausstoß, die ihm bei gerechter Emissionsverteilung zwischen den Staaten der Welt zustünde, noch längst nicht erreicht. Aber China zeigt drastisch, wie sehr der Energiebedarf wächst.

Er wächst überall, auch in Deutschland: Hier werden 45 Prozent der Elektrizität durch das Verbrennen von Stein- und Braunkohle gewonnen. Bis 2012 sollen neue Werke mit einer Gesamtleistung von 30.000 Megawatt errichtet werden. Konkrete Baubeschlüsse liegen für 10.000 Megawatt vor, schon im Bau sind 7000 Megawatt.

Alles, wohlgemerkt, ganz unabhängig von der Frage, ob es gelingt, die Folgen der Kohleverbrennung zu vermeiden, eben den CO2-Ausstoß, der zur Klimakatastrophe führt. Nun gibt es aber neuerdings dieses Versprechen: Man könne Kohlewerke betreiben, deren Emission nicht in die Atmosphäre gelange. Forschungen gebe es schon und sie seien auf einem guten Weg. Was ist davon zu halten?

Der Weltverbrauch an Steinkohle ist in den zurückliegenden drei Jahren genauso stark gestiegen wie in den vorausgegangenen 23 Jahren insgesamt. Diese Zahl zeigt, worum es in Wahrheit geht: Wenn man die Klimakatastrophe aufhalten will, muss man den Kohleausbau aufhalten. Das genannte Versprechen dient einem durchsichtigen Interesse. Es kann sich mit dem Ausmaß des Problems niemals messen.

Was die Techniker können

Als deutscher Name für das Versprechen scheint sich der Ausdruck “CO2-Abscheidung” einbürgern zu sollen. Was an ihm gefällt, ist der etymologische Bezug zu dem schönen deutschen Wort “Scheiße”. Denn scheißen heißt scheiden (spalten, trennen) im Sinne von ausscheiden. Dabei weist das Präfix aus- darauf hin, dass wir mit dem schadlosen Verschwinden unseres Körperabfalls rechnen dürfen. Er wird zu Dung, geht wieder in den Naturkreislauf ein. CO2 aber kann nicht aus-, sondern könnte nur abgeschieden, will sagen, an einen anderen Ort gebracht werden. Denn wenn es einmal da ist, bleibt seine Menge konstant. Zum Verschwinden lässt es sich nicht bringen.

“Abscheidung” ist also ein treffender Ausdruck - aber er verhüllt bereits die Sache, um die es geht. Vorher hatte die Fachliteratur den Ausdruck “Sequestrierung” gebraucht. Darunter kann man sich nun gar nichts vorstellen, aber wozu gibt es Fremdwörterbücher? Wir schlagen nach und erfahren: “Sequestrieren, ein streitiges Gut gerichtlich in Beschlag nehmen und es einem Dritten zur Aufbewahrung oder Verwaltung übergeben, davon ›Sequestrierung‹.” Der Ausdruck stammt also aus der Sphäre des Gerichts. Sequester ist lateinisch der Unterhändler, auch Vermittler, questus ist die Klage. Weshalb hat man von einer “CO2-Sequestrierung” sprechen können? Weil die uns versprochene Methode, Kohle ohne Schaden fürs Klima zu verbrennen, tatsächlich im Kern darauf hinausläuft, den Schaden einem Schadensverwalter zu übergeben, der sich darum sorgen soll - dem Staat.

Das wird freilich nicht gern in den Vordergrund gestellt. Als kürzlich eine unternehmerfreundliche Zeitung der “Abscheidung” oder “Abtrennung”, wie sie es nannte, eine ganze Seite widmete, ging es nur um die Frage, durch welche Technik sich das Kohlendioxid beim Kohleverbrauch erstens isolieren und dann zweitens lagerfähig machen, also verdichten und verflüssigen lässt. Dafür gibt es drei Methoden. Eine wird von RWE geplant. Hier will man die Kohle gar nicht mehr verbrennen, vielmehr zunächst zu einem Rohgas aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid veredeln, in einem zweiten Schritt dann aus dem Kohlenmonoxid durch Zugabe von Wasserdampf das reine Kohlendioxid gewinnen. Mit dem zurückbleibenden Wasserstoff wird schließlich eine Gasturbine angetrieben, deren heiße Abgase den CO2-freien Dampfprozess ergeben. Das Problem dabei: Die Kammer der Gasturbine müsste Temperaturen von mehreren hundert Grad aushalten. Das haben die RWE-Techniker nicht im Griff, “zeigen sich aber zuversichtlich”, wie die Zeitung schreibt.

Vattenfall erprobt eine andere Technik, bei der die Kohle nicht wie bisher üblich mit Luft, sondern mit reinem Sauerstoff verbrannt wird. Es läuft wie bei RWE auf Isolierung und Verflüssigung des Kohlendioxids hinaus. Die dritte Methode besteht darin, das entweichende Rauchgas chemisch zu “waschen”, indem man es mit einer Lösung aus Aminen (organische Abkömmlinge des Ammoniaks) übergießt. Mit der dritten Methode könnte man auch bestehende Kraftwerke nachrüsten, allerdings führt sie nur zu einem Abscheidungsgrad von 85 bis 95 Prozent. Die anderen Methoden wären wirksamer, falls sie denn zur technischen Reife gebracht werden könnten. Aber zwei Probleme haben wir noch gar nicht bedacht.

Erstens wird jede Abscheidungsmethode, mag sie noch so perfektioniert werden, die Stromkosten in die Höhe treiben. Das ist ein ähnliches Problem wie beim “Peak Oil”: Wenn mehr als die Hälfte der Öllager verbraucht ist, wird die Ölförderung technisch immer schwieriger, also sehr viel teurer. So wäre auch die “CO2-Abscheidung” kein Grund zur Entwarnung. Zweitens entstehen natürlich schon jetzt Kosten - Forschungskosten in Milliardenhöhe. Weltweit. Sie illustrieren den Umstand, dass die Gesellschaften ihre eigene Ökonomie nicht kontrollieren dürfen. Denn wer hat über die Verwendung dieser Milliarden entschieden? Was wäre heute schon möglich, wenn mit ihnen Solartechnik und erneuerbare Energien gefördert würden?

Der Staat soll´s richten

Damit nähern wir uns erst dem Kern der Frage. Was wir bisher hörten, galt der technischen Machbarkeit. Aber nicht sie ist das Hauptproblem; es sind nicht bloß die Techniker der Konzerne, deren Forschung Kosten verursacht. Wenn sie ihre “Abscheidungs”methoden zur Reife gebracht hätten, begänne ja erst die “Sequestrierung”: die Übergabe des abgeschiedenen Kohlendioxids an den Schadensverwalter. Was der Staat mit dem streitigen Gut anstellt, das erst ist entscheidend. Und so gibt auch er viel Geld, das anders verwendet werden könnte, für entsprechende Forschung aus.

In den USA hatte bereits 2003 das Sequestrierungsprogramm des Energieministeriums “oberste Priorität”. In Kanada, New Mexico, Virginia und Texas waren Forschungsprojekte aktiv, die sich immer um dieselbe Frage drehten: Welche unterirdischen Höhlen eignen sich als Kohlendioxid-Endlager? Erschöpfte Ölfelder, nicht abbaubare Kohleflöze und tief gelegene Salzlagerstätten schälten sich als wichtigste Lagerarten heraus. Auch in der EU wird solche Staatsforschung in großem Umfang betrieben. Ein britischer Regierungsbericht von 2004 kommt allerdings zu dem Schluss, man könne derzeit nicht sicher vorhersagen, “mit welcher Wahrscheinlichkeit unbeabsichtigt Kohlendioxid aus den Sequestrierungsspeichern entweichen kann”. Diese Endlager-Problematik ist uns böse vertraut - Stichwort Gorleben.

Eine andere Entsorgungsmethode wird in Norwegen angewandt: Verklappung in die Ozeane. Ein 3.000 Kilometer langes CO2-Pipelinenetz führt den Stoff dem Meeresboden zu. Die norwegischen Unternehmer freuen sich, weil sie auf diese Weise keine CO2-Steuer zahlen müssen. Aber es gibt ein Problem: Kohlendioxid löst sich im Meerwasser und bildet Kohlensäure. Kohlensäure ihrerseits löst die Schalen und Skelette der Meerestiere auf. Soll es bald keine Fische mehr geben? Oder verzichten wir nicht doch lieber auf Kohlekraftwerke?

Quelle: Freitag   - Die Ost-West-Wochenzeitung 31 vom 03.08.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Michael Jäger und des Verlags.

Veröffentlicht am

03. August 2007

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