Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

Ihre Spende ermöglicht unser Engagement

Spendenkonto:
Bank: GLS Bank eG
IBAN:
DE36 4306 0967 8023 3348 00
BIC: GENODEM1GLS
 

Hiroshima: Der Mahnruf des missachteten Gewissens

Von Franz Alt

Heute vor 62 Jahren warfen US-Soldaten erstmals in der Menschheitsgeschichte eine Atombombe. Ihr Ziel war die südjapanische Stadt Hiroshima. Nur drei Tage später fiel die zweite Atombombe auf Nagasaki. Am 6. August 1945 starben in Hiroshima 140.000 Menschen und kurz danach in Nagasaki 73.000. Die US-Regierung rechtfertigt ihren brutalen Einsatz bis heute mit dem Argument, dass nur durch die beiden Atombomben der Zweite Weltkrieg im Fernen Osten rasch beendet werden konnte.

Bis zum Jahr 2007 sind jedoch noch einmal doppelt so viele Menschen an den Spätfolgen nuklearer Verstrahlung gestorben - insgesamt über 400.000. Und das Sterben geht bis heute weiter - noch 62 Jahre nach den Atombomben.

Vor kurzem hatten mich die Bürgermeister von Hiroshima und Nagasaki zu Vorträgen eingeladen. Mein Thema hieß "Vom Atomzeitalter ins Solarzeitalter". Wichtigere Orte zu diesem Thema gibt es wohl nicht.

Wer in Hiroshima und Nagasaki mit Strahlungsopfern spricht oder die beiden eindrucksvollen Gedenkstätten besucht, dem öffnet sich das Tor zur Hölle auf Erden. Im August 1945 geschah ein Massenmord wie ihn sich die Welt bis dahin nicht vorstellen konnte. Innerhalb von Sekunden haben sich Zehntausende von Menschen in Nichts aufgelöst, waren allenfalls ein Häufchen Asche oder für den Rest ihres Lebens verstrahlt und verkrüppelt - wissend, dass ihr Krebs auch vererbbar sein kann. Diese schreckliche Vermutung ist für viele japanische Mediziner heute zur Gewissheit geworden. Anders können sie sich die hohe Sterberate auch bei Jüngeren nicht erklären.

Am meisten erschüttert hat mich jedoch eine Zahl, die der Oberbürgermeister von Hiroshima nannte: Jedes Jahr sterben heute noch über 3.000 Menschen an den Folgen atomarer Verstrahlung aus dem Jahr 1945. Kurz vor meinem Vortrag in Nagasaki schob mir der stellvertretende Oberbürgermeister noch einen handgeschriebenem Zettel zu, auf den er die aktuelle Zahl der in seiner Stadt bisher durch atomare Verstrahlung getöteten Menschen geschrieben hatte: 140.144! Der Physiker Ernest Sternglas, ein Schüler von Albert Einstein, hat errechnet, dass sich nach Hiroshima und Nagasaki die Krebsraten in ganz Japan verändert haben.

62 Jahre danach liegen Hiroshima und Nagasaki nicht nur hinter uns, sondern noch immer vor uns. Wir wissen durch die aktuelle Diskussion um die Atombombe für Nordkorea und eventuell auch für den Iran um den engen Zusammenhang zwischen der so genannten friedlichen Nutzung der Atomkraft und dem Bau der Atombombe. In AKWs wird der Stoff für die Bombe produziert. Ohne Atomkraftwerke gibt es - auch für den Iran und für Nordkorea - keine Atombombe. Solange auf der Welt 450 AKWs laufen, werden skrupellose Machtpolitiker weiterhin versuchen, Atombomben zu bauen. Wir müssen damit rechnen, dass Atombomben eines Tages auch in die Hände von Terroristen gelangen, wenn wir das Atomzeitalter nicht hinter uns lassen.

Die Katastrophe von Tschernobyl liegt erst 20 Jahre zurück. Die Internationale Organisation "Ärzte gegen Atomkrieg" schätzt, dass durch Tschernobyl bis heute 80.000 Menschen gestorben sind. Aber: In Tschernobyl wurde etwa 50-mal mehr Radioaktivität freigesetzt als in Hiroshima und Nagasaki zusammen. Das heißt: Auch Tschernobyl liegt nicht hinter uns, sondern vor uns!

Die Oberbürgermeister von Hiroshima und Nagasaki haben sich schon vor über 20 Jahren geschworen, dass der atomare Massenmord in ihren Städten von der Menschheit niemals vergessen oder verdrängt werden darf und gründeten die weltweite Organisation "Bürgermeister für den Frieden", der sich inzwischen über 1.700 Bürgermeister und Städte aus 122 Ländern angeschlossen haben - darunter auch beinahe 300 Städte aus Deutschland. Das Ziel der Organisation, die inzwischen über 100 Millionen Menschen vertritt: Eine atomwaffenfreie Welt bis zum Jahr 2020.

Die "Bürgermeister für den Frieden" erarbeiten zurzeit zusammen mit der UNO einen Zeitplan zum Erreichen ihres Ziels in 13 Jahren. Der Oberbürgermeister von Hiroshima, Tatadoshi Akiba, optimistisch: "Da es möglich war, weltweit die Bio- und Chemiewaffen abzuschaffen, ist es natürlich auch möglich, die gefährlichsten Waffen, die Atomwaffen, abzuschaffen."

Wie wichtig das Erreichen dieses Ziels ist, zeigt die jüngste Einschätzung der Internationalen Atomenergieorganisation in Wien. Danach war die Gefahr eines Atomkriegs noch nie so groß wie heute. Tatadoshi Akiba: "Keine andere Stadt der Welt soll jemals das Schicksal von Hiroshima oder Nagasaki erleiden. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen aber noch viel mehr Städte und Dörfer unserem Bündnis beitreten. Bitte helfen Sie uns auch in Deutschland dabei. Denn nur durch viel Druck auf die mächtigen nationalen Politiker der Atombombenbesitzer können wir erreichen, dass die heute weltweit 27.000 Atomsprengköpfe vernichtet werden. Damit kann die gesamte Menschheit mindestens 20 Mal ausgelöscht werden."

In Mittelbaden ist bisher nur die Stadt Offenburg Mitglied bei den "Bürgermeistern für den Frieden." Baden-Baden, Rastatt, Kehl, Lahr, Achern, Oberkirch, Renchen, Gaggenau, Gernsbach oder Bühl fehlen noch auf der Liste des Oberbürgermeisters in Hiroshima. Der Antikriegstag, 1. September 2007, bietet vielleicht eine gute Gelegenheit, sich mit den unschuldigen Opfern der ersten Atombomben solidarisch zu erklären.

"Es gibt", sagt mir der stellvertretende Bürgermeister von Nagasaki zum Abschied, "nicht die geringste Rechtfertigung für die atomare Geiselnahme von Städten und Dörfern. Niemals mehr darf eine Stadt zur Zielscheibe von Atomwaffen werden." Mir geht dabei die Frage durch den Kopf, ob wir dieses Engagement für eine atomwaffenfreie Welt nicht auch unseren Kindern und Enkeln schuldig sind?

Hiroshima und Nagasaki bleiben 62 Jahre nach den ersten Atombomben-Abwürfen in der Geschichte der Menschheit ein Mahnruf des missachteten Gewissens.

 

Quelle: Franz Alt - www.sonnenseite.com . Dieser Text wird hier mit freundlicher Genehmigung von Franz Alt veröffentlicht.

Weblinks:

Veröffentlicht am

07. August 2007

Artikel ausdrucken

Weitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von