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Einig im Geiste: Wahrheitsminister Schäuble und Friedensminister Jung beschwören den Ernstfall an der Heimatfront


Von Jürgen Rose

Nach dem Vorstoß von Innenminister Schäuble im Juli, man dürfe im Anti-Terror-Kampf die vorbeugende Erschießung von Verdächtigen nicht mehr ausschließen, hat sich nun Verteidigungsminister Jung mit dem vorsorglichen Abschuss entführter Passagierflugzeuge in Szene gesetzt. An diesem Hang zur Hysterie erscheint bemerkenswert, dass dabei die Verfassung nicht mehr viel gilt und im Geruch steht, einen “wirkungsvollen” Anti-Terror-Kampf zu verhindern.

Was in Stanley Kubrick´s Filmklassiker noch böse Satire war, gerinnt in unseren Tagen immer mehr zur erschreckenden Realität. Minister Seltsam halluziniert von der “schmutzigen Bombe”, deren Zündung auf hiesigem Territorium nur noch eine Frage der Zeit sei. Sekundiert wird ihm von seinem Bruder im Geiste, dem derzeitigen Verteidigungsminister, dessen Flugzeugabschussphantasien derzeit den öffentlichen Diskurs der Berliner Republik beherrschen. Dass es einen konkreten Anlass für ihr Kassandra-Geschwätz gäbe, verneinen die beiden Hohepriester der Apokalypse indes. Was also steckt hinter der habituellen Beschwörung eines eingebildeten Notstandes?

Pecunia non olet - Geld stinkt nicht, pflegte der alte Römer zu sagen. Im Falle des Dr. Franz Josef Jung stinkt es jedoch gewaltig. Seine ostentative Ankündigung - getreu dem Motto, Recht sei, was dem deutschen Volke nützt - auf bloßen Verdacht hin gekaperte Airliner abschießen zu lassen, bleibt unvermeidlich eine Straftat. Da mag er sich unter dem Vorwand des so genannten “rechtfertigenden Notstandes” auch noch so sehr drehen und winden. Zwar könnte im Falle eines Falles das zuständige Gericht von der Bestrafung des IBuK - des Inhabers der Befehls- und Kommandogewalt - absehen, nichtsdestoweniger bliebe der Staat den Opfern eines ministeriell angeordneten Totschlags zumindest zivilrechtlich schadensersatzpflichtig. Überschlägig kalkuliert würde sich die anfallende Summe für Schmerzensgelder und Ersatz des zerstörten Flugzeuges, für den Gewinnausfall der betroffenen Fluggesellschaft und am Boden entstandene Schäden sehr schnell auf Milliarden summieren. Kein Wunder, dass sich die Verantwortlichen so penetrant um eine Carte Blanche in Gestalt einer gesetzlichen Abschusslizenz bemühen.

Und noch etwas kommt hinzu: Das Wehrstrafgesetz (WStrG) stellt bereits den Versuch, Untergebene zu einer rechtswidrigen Tat zu verleiten, nach Paragraf 34 unter Strafe. Nun hat Jung eigenem Bekunden zufolge dafür Sorge getragen, dass für die in ständiger Bereitschaft gehaltenen Alarmrotten der Luftwaffe stets genügend Jagdflugzeugpiloten bereitstehen, die sich mehr oder minder freiwillig verpflichtet haben, auf Ministerbefehl hin ein so genanntes RENEGADE-Flugzeug abzuschießen. Mit dem Verleiten der unterstellten Luftwaffenpiloten zum rechtswidrigen Totschlag ist der Tatbestand des Wehrstrafgesetzes offensichtlich erfüllt. Und dies gilt nicht nur für den Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt selbst, sondern für jeden Vorgesetzten in der Befehlskette, vom Inspekteur der Luftwaffe bis hinunter zum Geschwaderkommodore. Wer freilich mit beiden Beinen im Gefängnis steht, muss selbstredend ein gesteigertes Interesse an legalisierter Straffreiheit haben. Zudem wären die Jagdflieger qua Soldatengesetz verpflichtet, sich einem Abschussbefehl zu widersetzen - wer da Gefolgschaft fordert, benötigt also unbedingt eine tragfähige Rechtsgrundlage.

Abgesehen von den juristischen Fallgruben der intendierten Anti-Terrormaßnahmen dürften vor allem auch Konsequenzen des so genannten “globalen Krieges gegen den Terror”, wie er zur Zeit im Irak und in Afghanistan mit mörderischer Vehemenz geführt wird, das Kalkül von Schäuble und Jung bestimmen. Eine unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung und mit militärischer Gewalt durchgesetzte Globalisierung hat neulich die Wochenzeitung Die Zeit präzise beschrieben. “Es müssen Menschen sterben, damit der Westen qua Versuch und Irrtum lernt, internationale Sicherheit neu zu definieren”. Und ist es nicht in der Tat so, dass die operierenden Anti-Terror-Schwadronen einer Koalition der Willfährigen die Gräber in der islamischen Welt vornehmlich mit unschuldigen Zivilisten füllen?

Notgedrungen müssen die Verursacher Zehntausender von Toten damit rechnen, irgendwann zu ernten, was sie säen. Deshalb folgt hierzulande Wahrheitsminister Schäuble im Verein mit Friedensminister Jung dem vorgegebenen “amerikanischen Weg”, indem er das Töten Unschuldiger, nämlich von wehrlosen Flugpassagieren, als angeblich taugliches Mittel der Terrorbekämpfung propagiert. Zu dumm nur, dass nach geltender Rechtslage die “Abschussminister” selbst als die strafwürdigen Täter dastehen. Freilich gilt im Propagandakrieg gegen den “internationalen Terrorismus” schon die Überzeugung, auf der guten und richtigen Seite unterwegs zu sein, als Legitimation.

Was den symbolischen Kern der jetzigen Debatte ausmacht, ist die Suggestion rechtlich-moralischer Eindeutigkeit. Nicht etwa der, auf dessen Befehl ein entführter Airliner vom Himmel geschossen wird, darf als Teil des Bösen wahrgenommen werden. Der terroristische Highjacker - und ausschließlich der - muss von der Öffentlichkeit als Urheber des Verbrechens begriffen werden. “Wir” sind die Guten, und “wir” sind die Macht, die dem Guten zum Durchbruch verhilft - so lautet die essentielle Botschaft im “Global War on Terror”.

Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   39 vom 28.09.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Rose und des Verlags.

Veröffentlicht am

27. September 2007

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