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Atomwaffen: Die finale Pandemie

Mediziner warnen vor der wachsenden Gefahr eines Nuklearkrieges


Von Wolfgang Kötter

Ärzte, so gebietet es die medizinische Ethik, sollen Krankheiten heilen und die Gesundheit der Patienten ist oberstes Gebot ihres Handelns. Dem Eid des Hippokrates folgend stellen sie ihr Leben in den Dienst der Menschlichkeit.

Atomwaffen müssen verboten werden

Was aber, wenn eine unheilbare Pandemie heraufzieht, die alles menschliche Leben auf der Erde auszulöschen droht? Wenn keine Chance besteht, die unabsehbaren Leiden und Verletzungen zu heilen, Menschenleben zu retten und Verwundete zu pflegen - was bleibt dann noch zu tun? Solche Fragen erörtern in diesen Tagen (3.-4.10.) Ärzte aus aller Welt im Gebäude der "Royal Society of Medicine" in der Londoner Wimpole Street Nr. 1. Die Organisation "Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges" (IPPNW) und das britische Katastrophen- und Konfliktforum haben gemeinsam die Konferenz "Nuclear Weapons: The Final Epidemic" organisiert. Das Thema ist von alarmierender Aktualität, denn die Gefahr eines Atomwaffenkrieges wächst seit einiger Zeit wieder erschreckend an. Im Mittelpunkt stehen deshalb die zu befürchtenden medizinischen, biologischen und klimatischen Folgen eines atomaren Infernos. Erinnert werden soll aber auch daran, dass bereits die Kernwaffenentwicklung und ihre Erprobung lang anhaltende gesundheitliche Schäden verursachen. Die Ärzte wollen aufklären und die globale Zivilgesellschaft für eine Umkehr vom verhängnisvollen atomaren Wettrüsten und zur Schaffung einer kernwaffenfreien Welt aktivieren. Mit eben diesem Ziel haben Mediziner aus 60 Ländern auch die Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen ICAN (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons) gegründet und fordern den Abschluss einer völkerrechtlich verbindlichen Konvention zum Verbot aller Nuklearwaffen.

Experten warnen nachdrücklich vor einem neuen Atomzeitalter mit besorgniserregenden Bedrohungen. Zur Begründung verweisen sie auf die atomaren Ambitionen von immer mehr Staaten, auf massenhaft ungesichertes Nuklearmaterial, den hohen Alarmstatus der weltweit immer noch über 26.000 Kernwaffen und den neuerlichen Run auf die Atomenergie. Dies alles fördere die Verbreitung von Nuklearwaffen und gerade Wissenschaftler sähen die Gefahren durch Atomwaffen sowie die drohende Klimakatastrophe, erklärt der britische Astrophysiker und Nobelpreisträger Stephen Hawking: "Als Erdenbürger haben wir die Pflicht, die Öffentlichkeit zu warnen".

Bereits das kommende Jahr könnte das "Heraufdämmern eines neuen nuklearen Zeitalter" erblicken, stellt das Londoner Institut für Strategische Forschungen IISS in seinem jüngsten Jahresbericht fest. Führende deutsche Friedensforschungsinstitute teilen die beunruhigende Einschätzung. In ihrem jährlichen Friedensgutachten diagnostizieren sie: "Die apokalyptischen Kriegsszenarien, die uns bis in die 1980er Jahre in Furcht versetzten, drohen zurückzukehren." Und auch sie schließen das schon überwunden geglaubte Risiko atomarer Kriege nicht aus. Dass derartige Befürchtungen durchaus eine reale Grundlage besitzen, demonstrierte erst kürzlich Pentagon-Direktor Michael Vickers. Die technologischen Fortschritte, würden es den US-Truppen heutzutage erlauben, auch in einem Krieg mit Massenvernichtungswaffen zu bestehen und dafür müssten Kriegsführungskonzepte entwickelt werden, verkündete er gegenüber Journalisten in einem Rundtischgespräch Anfang September.

Im "nuklearen Winter" erfriert alles Leben

Doch bereits ein regional begrenzter Atomkrieg würde eine weltweite Klimakatastrophe auslösen, so das Ergebnis einer Studie der University of Colorado in den USA. Neben vielen Millionen Toten werde es zu einem Temperatursturz kommen, der Ernten zerstören und Hungersnöte auslösen könnte, heißt es in dem Bericht. Einige der Autoren haben schon vor zwei Jahrzehnten Mitten im Ost-West-Konflikt vor den ökologischen und gesundheitlichen Folgen eines Atomwaffenkrieges gewarnt. Unter Verwendung moderner Klima- und Bevölkerungsmodelle kommen die Experten nun zu dem Ergebnis, dass ein regionaler Atomkrieg in Israel drei Millionen Menschen und in China bis zu 17 Millionen Menschen töten würde. Die USA müssten mit vier Millionen Todesopfern rechnen. Außerdem würden Rauch und Ruß aus den Atomexplosionen die Sonne verdunkeln und zu einem Temperaturabfall führen. Damit werde die Vegetationszeit in Teilen von Europa, Nordamerika und Asien um rund einen Monat verkürzt. Als weitere Folge werde die Ozonschicht um mehr als 20 Prozent schrumpfen. Bereits der Einsatz eines einzigen Trident-U-Boots mit 16 Raketen bestückt, die jeweils drei 100-kt-Sprengköpfe verschießen, würde 192 Hiroshimas anrichten und eine spürbare globale Klimaabkühlung hervorrufen. "Keine Nation", so Mitautor Brian Toon, "kann darauf hoffen, sich von den Konsequenzen der Anwendung von Atomwaffen zu isolieren".

Die Studie ist die erste, die Klimaeffekte eines regionalen Atomkonfliktes untersucht. Ihr Ansatz geht auf den des US-Astronomen Carl Sagan zurück, der 1983 mit seinen sowjetischen und amerikanischen Kollegen die Theorie vom "atomaren Winter" nach einem Atomkrieg zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion entwickelte. In der nuklearen Eiszeit würden 90 Prozent der Weltbevölkerung - Milliarden von Menschen - umkommen, hieß es darin.

Die Gefahr ist auch heute nicht gebannt. US-Ex-Präsident Jimmy Carter warnte unlängst im britischen Guardian: "Ein globaler Holocaust durch Fehler oder Missverständnisse ist jetzt genauso möglich wie mitten im Kalten Krieg."

In einer aktuellen Studie der University of Georgia untersuchen Wissenschaftler die Auswirkungen von Nuklearschlägen gegen die Städte New York, Chicago, Washington und Atlanta. Im Ergebnis ihrer Simulationsexperimente mit den Detonationsstärken von 20 bzw. 550 KilotonnenDie Sprengkraft von Atomwaffen wird in Bezug auf den herkömmlichen Sprengstoff Trinitrotoluol (TNT) angegeben. Die Detonationsstärke der Hiroshima- und Nagasakibomben betrugen zwischen 12 und 20 kt. stellen sie fest, dass das gegenwärtige Gesundheitssystem der USA völlig überfordert wäre, die Opfer eines Nuklearschlages zu versorgen. "Die Wahrscheinlichkeit eines atomaren Angriffs auf eine amerikanische Stadt wächst ständig", meint Institutsdirektor Professor Cham Dallas, "also müssen wir unsere Vorbereitungen wesentlich erhöhen".

Ob es aber überhaupt realistische Chancen gibt, eine solche apoklyptische Situation zu meistern, muss bezweifelt werden. Schon vor Jahren stellte die Weltgesundheitsorganisation WHO fest, dass die einzige Möglichkeit, den medizinischen Folgen eines Kernwaffenkrieges zu begegnen, darin besteht, ihn zu verhindern. Darum warnen Wissenschaftler der American Physical Society eindringlich vor einem eventuellen Einsatz von Nuklearwaffen gegen den Iran. In einem persönlichen Schreiben wandte sich die Gruppe an Präsident George W. Bush und richtete einen öffentlichen Brief an die Mitglieder des US-Kongresses. Darin legen die Forscher die Gründe dar, weshalb sie gegen einen möglichen Einsatz von Atomwaffen gegen Nichtkernwaffenstaaten und gegen die atomare Weiterverbreitung sind. Ein präemptiver Kernwaffeneinsatz, so die Experten, "würde uns über die nukleare Schwelle" schleudern. Sie würde das sechzigjährige Tabu brechen, Atomwaffen nicht einzusetzen, und deren Anwendung auch durch andere wahrscheinlicher machen.

Für ein atomwaffenfreies Deutschland

In einem friedenspolitischen Appell anlässlich des diesjährigen 50. Jahrestages der legendären "Göttinger Erklärung" gegen Atomwaffen mahnen auch deutsche Wissenschaftler, Europa müsse der gegenwärtig bedrohlich zunehmenden Militarisierung der internationalen Beziehungen eine überzeugende und weltweit als Vorbild geltende Zivilmacht entgegen setzen. Die Bundesrepublik solle damit beginnen und frei von Massenvernichtungswaffen werden. Rund 40 Organisationen der Friedensbewegung haben sich zum Trägerkreis "Atomwaffen abschaffen - bei uns anfangen!" zusammengeschlossen. Ihre Losung "unsere zukunft - atomwaffenfrei" richtet sich zunächst vor allem gegen die immer noch rund 20 auf dem Bundeswehrfliegerhorst Büchel in der Eifel lagernden US-Atomwaffen. "Die Mitarbeit an der Einsatzplanung von Atomwaffen muss eingestellt und der Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland veranlasst werden", fordern sie. Spätestens bei der nächsten Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages im Jahr 2010 soll Deutschland vor den Vereinten Nationen verkünden: "Deutschland ist atomwaffenfrei: Wir haben die nukleare Teilhabe beendet, als einen Schritt zu einer atomwaffenfreien Welt!"

"Ich gelobe feierlich mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen;
Ich werde meinen Lehrern die Achtung und Dankbarkeit erweisen, die ihnen gebührt;

Ich werde meinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit und Würde ausüben;
Die Gesundheit meines Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein;
Ich werde die mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod des Patienten hinaus wahren;
Ich werde mit allen meinen Kräften die Ehre und die edle Überlieferung des ärztlichen Berufes aufrechterhalten;
Meine Kolleginnen und Kollegen sollen meine Schwestern und Brüder sein;
Ich werde mich in meinen ärztlichen Pflichten meinem Patienten gegenüber nicht beeinflussen lassen durch Alter, Krankheit oder Behinderung, Konfession, ethnische Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politische Zugehörigkeit, Rasse, sexuelle Orientierung oder soziale Stellung;
Ich werde jedem Menschenleben von seinem Beginn an Ehrfurcht entgegenbringen und selbst unter Bedrohung meine ärztliche Kunst nicht in Widerspruch zu den Geboten der Menschlichkeit anwenden;
Dies alles verspreche ich feierlich, frei und auf meine Ehre."

Aktueller Hippokrates-Eid des Weltärztebundes

 

Am 17. Januar 2007 konstatieren die Wissenschaftler des renommierten "Bulletin of the Atomic Scientists", dass wir zwei Minuten näher an das Ende der Welt herangerückt sind. Sie stellen die "Doomsday Clock", die anzeigt, wie nahe sich die Menschheit an der Selbstvernichtung befindet, auf 5 Minuten vor 12. Als Grund nennen sie das weltweite Versagen, Lösungen für die zwei schlimmsten globalen Bedrohungen - die Atomwaffen und den Klimawandel - zu finden.
Atomwaffenunfälle und Beinahe-Katastrophen
Datum / Zeitraum Vorfall
27. Juli 1956 Auf dem Luftwaffenstützpunkt Lakenheath in Großbritannien stürzt ein B-47 Bomber ab, prallt gegen einen Bunker mit drei US-Atombomben und zerstört ihn völlig.
28. Februar 1958 Ein B-47 Bomber verunglückt auf einer US-Luftwaffenbasis in der Nähe von Greenham Common in England schwer. Aus der hohe Konzentration radioaktiver Kontamination ist zu schlussfolgern, dass bei dem Unfall eine Atomwaffe beteiligt gewesen sein muss.
24. Januar 1961 Ein US B-52 Bomber explodiert in der Luft, 12 Meilen nördlich der Seymour Johnson Air Force Base in North Carolina. Bei diesem Vorfall werden zwei Wasserstoffbomben mit etwa 4 Megatonnen Sprengkraft abgeworfen. Eine Bombe landet fast intakt, die zweite Bombe aber im Schlamm und zerbricht beim Aufprall in mehrere Stücke. Der Urankern wird trotz ausgiebiger Suche nie gefunden.
1965 Während des Vietnam-Krieges stürzt ein Flugzeug mit einer B-43-Wasserstoffbombe vom Kreuzer USS Ticonderoga in den Pazifik, nahe Japan und sinkt auf eine Tiefe von etwa 5.300 m.
17. Januar 1966 Ein mit vier Atomwaffen beladener US-Bomber B-52 kollidiert über dem spanischen Palomares in der Luft mit einem anderen Flugzeug. Alle vier Atombomben werden abgeworfen. Eine wird auf dem Boden wiedergefunden und eine weitere aus dem Meer geholt. Aber die anderen beiden explodieren beim Aufprall. Obwohl es nicht zu einer Atomexplosion kommt, werden über 1.400 Tonnen Erde und Vegetation radioaktiv verseucht.

 

11. April 1968

1.200 km nordwestlich der Hawaii-Insel Oahu versinkt ein sowjetisches Diesel-U-Boot K-129 im Pazifik in einer Tiefe von 4.900 m unter ungeklärten Umständen. An Bord sind drei ballistische Raketen vom Typ SS-N-5 und möglicherweise zwei Torpedos mit nuklearen Sprengsätzen.
1968 Das atomgetriebene U-Boot USS Scorpion versinkt 640 km südwestlich der Azoren Inseln. Ein Atomreaktor und zwei atomar bestückte ASTOR Torpedos versinken mit dem U-Boot auf 3.000 m Tiefe.
22. Februar 1970 Der Atomwaffensprengkopf einer Pershing-Rakete fällt während Wartungsarbeiten im süddeutschen Böttingen auf den Boden, wird beschädigt und ein Stück der Raketenspitze bricht ab.
22. November 1975 Zwei US-Schiffe - USS John F. Kennedy und USS Belknap - kollidieren bei schlechtem Wetter in der Nähe von Sizilien. An beiden Schiffen entstehen große Schäden. Es bricht ein heftiges Feuer mit Explosionen aus, das über zwei Stunden andauert. Glücklicherweise wird das Feuer unter Kontrolle gebracht, jedoch nicht mal 10 m von den Atomwaffen entfernt.
1977 Ein Motorbrand führt zum Absturz eines mit Atomwaffen bestückten Hubschraubers vom Typ CH-47 an einem geheim gehaltenen Ort in der Bundesrepublik.
23. Februar 1981 Im baden-württembergischen Sechselberg explodiert eine Pershing-I-Rakete.
2. November 1982 Auf einer Gefällestrecke in Waldprechtsweier bei Karlsruhe versagen einem mit einer Pershing-Ia-Rakete beladenen US-Raketentransporter die Bremsen. Er rast in den Ort, zerquetscht mehrere Autos und tötet einen Autofahrer.
2. Mai 1984 Auf dem britischen Militärflugplatz Brüggen in Nordrhein-Westfalen fällt eine Bombe vom Typ WE-177 C beim Verladen in ein Flugzeug vom Transportkarren auf den Betonboden. Dabei wird der Transportcontainer verbeult.
11. Januar 1985 In Heilbronn, Waldheide fängt die erste Stufe einer Pershing-II-Rakete bei einer Routineübung Feuer und brennt explosionsartig ab. Teile der Rakete fliegen bis zu 120 Meter weit. Nur 250 m vom Explosionsort entfernt sind gefechtsbereite Raketen mit Atomsprengköpfen stationiert.
6. Oktober 1986 Rund 980 km nordöstlich von den Bermuda-Inseln versinkt beim Abschleppen das sowjetische Atom-U-Boot K-219, nachdem im Raketenschacht Feuer ausgebrochen war. Mit dem U-Boot versinken zwei Kernreaktoren und 15 oder 16 ballistische Raketen mit Atomsprengköpfen in 5.000 m Tiefe.
7. April 1989 Auf der Linie zwischen Nordkap und Bären-Inseln kommt das nukleargetriebene sowjetische U-Boot "Komsomolez" vom Kurs ab und versinkt. Ein Kernreaktor und zwei Torpedos mit Atomsprengköpfen liegen in 1.685 m Tiefe, knapp 480 km von Norwegens Küste entfernt.

   Quellen: Trägerkreis "Atomwaffen abschaffen"; IPPNW    

Fußnoten

Veröffentlicht am

01. Oktober 2007

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