Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Eine Freundin erinnert an Petra Kelly (29.11.1947 - 1.10.1992)

Von Christiane Gollwitzer

In ihrer kleinen Schrift "Nicht friedlich und nicht still" - Gewaltfreier Widerstand - zitierte Petra Kelly einen Satz von Günter Anders, den sie oft wiederholte, folgendermaßen:

"Was wir bekämpfen, ist nicht dieser oder jener Gegner, der mit atomaren Mitteln attackiert oder liquidiert werden könnte, sondern die atomare Situation als solche. Da dieser Feind aller Menschen Feind ist, müssten sich diejenigen, die einander bisher als Feind betrachtet hatten, als Bundesgenossen gegen die gemeinsame Bedrohung zusammenschließen."

Das ist ein Schlüsselwort für ihre unablässigen Bemühungen, die verschiedensten atomkritischen, friedensbewegten Strömungen miteinander zu verknüpfen und nicht nur in Europa, sondern weltweit Netzwerke zu schaffen: von den amerikanischen Friedensaktivisten, russischen Dissidenten, über Tibet, bis hin zu den japanischen Nipponzan Myohoji-Mönchen.

Von Jugend an war Petra erfüllt von einer glühenden Ungeduld, wollte die Welt besser machen, gerechter, und war fest überzeugt davon, dass das gelingen könne wenn man sich nur unermüdlich darum bemühte: "Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt" zu sein, wie Günter Eich es einmal formulierte. Das war ihr wichtig und fast kindlich war ihr Glaube an die Machbarkeit des Guten. Ob sie im Innersten je daran zweifelte?

Das "GRÜN" und die "Sonnenblume" in die politische Landschaft einzupflanzen entsprang Petras Fantasie. Dass eine Grüne Partei daraus wurde ist auch mit ihrem sprühenden jugendlichen Krafteinsatz zuzuschreiben - obwohl vor ihrem inneren Auge eigentlich etwas ganz Anderes, Neues als Ziel stand: eine "Anti-Parteien-Partei", wie sie es damals nannte.

Texten, die sie zu einer gewaltfreien, selbstbestimmten und angstfreien Politik schrieb gab sie den Titel: "Mit dem Herzen denken" und es war ihr ein großes Anliegen, die Glaubwürdigkeit in der Politik wiederzugewinnen.

Ihre vorausgreifenden Gedanken hatten immer etwas Radikales, eine kompromisslose Qualität, wollten von der Wurzel her verändern. Und sie hatte den Mut, sich überall lautstark öffentlich einzumischen.

Wer brachte vor ihr in der bundesdeutschen Politik die Menschenrechtsverletzung in Tibet ins Gespräch? -

Erst als der Dalai Lama den Friedensnobelpreis verliehen bekam wurde Tibet hier offiziell als Thema wahrgenommen!

Wer schuf als Erster eine Lobby-Arbeit für Krebskranke Kinder? -

Eben erst 23 Jahre alt war Petra Kelly, als Leiden und Tod ihrer kleinen Schwester Grace ihr dazu den Anstoß gaben.

Wer sprach in der deutschen Medienlandschaft von dem Unrecht, das unser Land 1937 in Guernica anrichtete? -

Dafür gab es weder Entschuldigung noch Wiedergutmachungs-Versuche. Das brannte Petra Kelly und Gert Bastian auf der Seele und wurde das Thema ihres letztveröffentlichten Buches
Guernica und die Deutschen, (Luchterhand TB).

Ganz typisch für Petra war auch ihr ständiger Kontakt zu den Bürgerrechtsfreunden am Prenzlauer Berg zu DDR-Zeiten: sie benutzte jede Gelegenheit, hinüber zu fahren, brachte dabei jedes Mal wichtige, in der DDR nicht erhältliche Bücher, Druckpatronen und tausend ermutigende Gedanken mit und versäumte auch hier nie, gleichzeitig die Menschenrechtsverletzungen anzuprangern…

Sehr gut erinnere ich mich an ihre Vorbereitung eines Honecker-Besuchs: genau nach ihrer Vorstellung malte ich auf das T-Shirt, das sie dazu unter ihrer Jacke tragen würde, das "Schwerter zu Pflugscharen" - Symbol.

Und genau wie sie erwartet hatte waren alle Fernsehaugen auf sie gerichtet, als sie Erich Honecker, mit weit geöffneter Jacke begrüßte…

Rücksichtslos trieb Petra Kelly Raubbau mit ihren eigenen Kräften, überforderte sich unentwegt bis an den Rand des Möglichen. Um durchhalten zu können, brauchte sie Freunde so wie mich, die sie nicht forderten, sondern einfach nur liebten und bei denen sie ab und zu ihr Herz, ihre Qual, ihre Ängste ausschütten konnte. Nach solchen schonungslosen Selbstoffenbarungen war man, zuhörend und mitfühlend zugleich, jedes Mal völlig erschöpft; Petra aber schien erleichtert und ging meist - wie frisch gestärkt - sofort über zur nächsten Aktion.

Radikal im wahrsten Sinn des Wortes war sie - ohne jegliche Rücksichtnahme auf, allzu oft praktizierte, good-will-Kompromisse.

Ihr heller Geist, der ungeheuer rasch Verknüpfungen herstellen und kreative Lösungen vorausdenken konnte, war eine stete Herausforderung für alle, die mit ihr zu tun hatten.

Wenn sie mit ihrem ungeheuer schnellen Redetempo ihre Gedanken umriss, mussten die Hörer "alle Pferde vorspannen", um mitdenken zu können.

Durch ihre unbedingte Hingabe an die Sache selbst und ihr mitreißendes Charisma hat sie unendlich viele Menschen in Bewegung und viele Prozesse in Gang gebracht. Ohne sie wäre die "Grüne Bewegung" bis hin zum Ökologischen Bewusstsein unserer Gesellschaft heute wohl nicht denkbar.

All ihre Lebenskraft setzte sie ein im Kampf für Lebens- und Menschenrechte, für eine sozialere, friedlichere Welt - flammend, sprühend, wie eine Fackel die an beiden Enden brennt - liebenswert, fordernd und unüberhörbar, Vorbild und Ansporn zugleich.

Und mit dem halsbrecherischen Mut der Zerbrechlichen kämpfte sie bis zuletzt - für eine bessere Welt.

"Petra Kelly war eine Heilige", sagte Joschka Fischer, "die grüne Jeanne d’Arc unserer Tage", nannte sie Alfred Mechtersheimer zu Beginn eines BBC-Films über das "Vermächtnis Petra Kellys" (April 94).

"Joschka? Alfred?", höre ich Petra innerlich schreien, "das kann doch nicht wahr sein!"

- Was tut man mit Heiligen, mit denen man sich zu Lebzeiten so schwer tat, nach ihrem Tod?

Sollte man, statt solcher Glorifizierungen nicht lieber ihre Visionen aufgreifen, umzusetzen versuchen, oder zumindest darüber sprechen?

Nichts dergleichen geschieht. Petra Kellys zahllose Reden und Publikationen sind zwar archiviert, doch in der politischen Landschaft Deutschlands sind sie weitgehend vergessen.

Vielleicht war sie wirklich eine "Heilige" unserer Zeit. Gert Bastian könnte das manchmal in seinem Innersten gedacht haben und hat ihr deshalb wohl sein letztes Lebensjahrzehnt so bedingungslos gewidmet. Um es gleich zu sagen: ich bin weiterhin einer der wenigen "Anhänger" von Petra + Gert die überzeugt sind, dass sich der Tod meiner beiden Freunde anders ereignete, als die Staatsanwaltschaft es darstellt.

Auf dem "Tribunal gegen Erstschlag- und Massenvernichtungswaffen" vom 18.-20.2.1983 in Nürnberg hatte ich den amerikanischen Wissenschaftler George Wald kennen gelernt, der sich weltweit in der Friedensbewegung engagierte und Petra Kelly vehement unterstützte.

Aus meiner erst etwas unbeholfenen Übersetzer-Hilfe wurde eine schöne Freundschaft und ich durfte ihn von da an 14 Jahre (organisierend, übersetzend, seine "dates" managend) durch ganz Europa begleiten, oft auch an Petras Stelle… bis zur Nacht vom 19. Oktober 1992:

Seit dem 10. Oktober 92 war er für 3 Wochen bei mir in Stuttgart einquartiert: einen großen Geburtstag in meiner Familie, ein Konzert von uns wollte er miterleben und in Ruhe hier am Manuskript seines (leider bis heute unveröffentlichten) Buches "A Genesis Without Tears" weiterarbeiten. Wieder und wieder versuchte er von hier aus Petra telefonisch zu erreichen, um ihr mitzuteilen, dass ihr der A. Sacharow-Preis aus USA so gut wie sicher sei.

Cora Weiss, (die heute das Internationale Peace Bureau bei den UN vertritt) hatte uns davon telefonisch in Kenntnis gesetzt.

Seitdem Petra Kelly nicht mehr, wie zuvor als Bundestagsabgeordnete, Büroräume und Mittel zur Verfügung hatte, um ihre immense außerparlamentarische politische Arbeit fortzusetzen, litt sie ungeheuer unter organisatorischen und materiellen Schwierigkeiten.

Auch von Seiten der Grünen bekam sie keinen Beistand.

Auf ihrer letzten Karte aus Salzburg vom 15.September hatte sie noch verzweifelt geschrieben:

"Liebe Christiane! Sehr herzliche Grüße vom Hearing in Salzburg!

Haben Dr. Tschernousenko hierher gebracht, der viele Menschen sehr beeindruckte mit seinem Referat. Du + George müsstet hier sein. Viele seiner internationalen Freunde sind hier! Alles Liebe - Deine Petra

(Habe immer noch nichts beruflich gefunden, mit Flexibilität wg. Omi usw.)"

Mit dem Sacharow-Preisgeld hätte Petra sich nun ein kleines eigenes Büro für Menschenrechte einrichten können! Wir brannten darauf, ihr die gute Nachricht aus USA mitzuteilen…. und da lagen diese beiden Menschen, die wir so liebten, vermutlich bereits seit dem 2. Oktober tot in ihrer Wohnung - und keiner wusste es noch.

Am 19. Oktober kam um 24 Uhr ein Anruf von Lukas Beckmann mit der schrecklichen Nachricht.

Wir schalteten sofort TV und Radio ein: Um 0 Uhr 30 hieß es, "die Leichen wiesen mehrere äußere Wunden auf und seien nicht identifizierbar".

In den 7°°-Uhr-Nachrichten wurde über den schrecklichen Zustand berichtet, in dem man die Toten aufgefunden hatte, in den 8°°-Uhr-Nachrichten nichts mehr davon; dagegen hieß es nun bereits, vermutlich habe Gert Bastian Petra erschossen und dann sich selbst.

Bereits am 20. Oktober wurde Marianne Kelly nach USA gemeldet, dass Petras Leiche zur Beerdigung freigegeben sei. - Das erweckte in uns sofort die ersten Zweifel.

Kurz vor ihrem Tod, auf dem "World Uranium Hearing" im September 1992 in Salzburg, hatte Petra Kelly noch, überanstrengt und erschöpft mit aller Energie dafür gekämpft, dass doch Vladimir Tschernousenko, der als erster die Wahrheit über Tschernobyl öffentlich gemacht hatte, mit dem Alternativen Nobelpreis (für den er vorgeschlagen war) ausgezeichnet würde.

Ein Offener Brief vom 9.November 1992, der die Einsetzung eines unabhängigen Untersuchungsausschusses forderte wurde von vielen Menschen unterzeichnet, die nach wie vor glaubten, dass der gewaltsame Tod von Petra Kelly und Gert Bastian weder Mord noch Doppelselbstmord waren sondern ein Werk der Geheimdienste, möglicherweise der Atom-Mafia. (Zu den Unterzeichnern gehörten, unter anderen, Joan Baez, Bärbel Bohley, Katja Havemann, Richard Falk, Johan Galtung, Robert Jungk, Lew Kopelew, Linus Pauling, George Wald, Konstantin Wecker)

Leider wurde unsere Forderung als unbegründet abgelehnt.

Für die Öffentlichkeit - und für "Die Grünen" - war der Fall geklärt und erledigt.

Mir lässt dies Ende bis heute keine Ruhe und ich fühle mich verpflichtet, meine Zweifel immer wieder auszusprechen - in der Hoffnung, dass eines Tages die Wahrheit ans Licht kommt.

Auch aus diesem Grunde bin ich sehr dankbar dafür, dass es im Rahmen der "Heinrich Böll Stiftung" ein "Grünes Gedächtnis" mit einem "Petra-Kelly-Archiv" gibt.

Als ich 1982 Petra Kelly kennen lernte, war mein Vater, Gerhard Gollwitzer, einst Mitinitiator der Stuttgarter Ostermärsche und Mitbegründer der "Deutschen Friedensunion", schon verstorben. Aber Helmut Gollwitzer stellte sich sofort voll an meine Seite in der Unterstützung von Petra’s Aktionen. Mehr als 10 Jahre lebte meine Familie und ich in enger innerer Beziehung zu Petra und Gert. Unser "Mut zur Angst" und unser "Trotzdem" verband sie und uns mit Günter Anders und mit Robert Jungk, der diese gemeinsamen Schicksalsjahre so zutreffend als "Menschenbeben" charakterisierte. Wir haben uns in diesem Beben gegenseitig gestützt, ermutigt, geliebt.

Veröffentlicht am

03. Oktober 2007

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