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Mein letztes Gespräch mit Aung San Suu Kyi

Von John Pilger, 03.10.2007 - ZNet-Kommentar

Das Volk von Burma steht erneut auf. So konnten wir einen seltenen Blick auf Aung San Suu Kyi erhaschen. Da stand sie - am Hintereingang ihres Hauses, am Ufer des Sees von Rangoon, wo sie unter Hausarrest steht. Sie wirkte sehr dünn. Seit Jahren gibt es Mutige, die den Straßenblockaden trotzen, nur um kurz an ihrem Haus vorbeizugehen. Wenn sie aus dem Innern ihr Klavierspiel hören, sind sie beruhigt. Aung San Suu Kyi hat mir einst erzählt, sie würde wachliegen und auf die Stimmen draußen und auf das Pochen ihres Herzens horchen. “Seit ich krank bin, fällt es mir schwer, in Rückenlage zu atmen”.

Das war vor zehn Jahren. Ich hatte mich in ihr Haus eingeschmuggelt. Es bedurfte des ganzen Einfallsreichtums des burmesischen Untergrundes, dies zu ermöglichen. Ich und mein Partner in jenem Filmprojekt, David Munro, wurden von Aungs Assistenten Win Htein begrüßt. Htein hatte sechs Jahre im Gefängnis verbracht - fünf davon in Isolationshaft. Doch jetzt war sein Gesicht offen, sein Händedruck warm. Er führte uns ins Haus. Es war ein stattlicher Bau, an dem der Zahn der Zeit genagt hatte. Der Garten, mit seinen zerzausten Palmen, fiel zum Ufer des Inya-Sees ab. Dort war Kontaktdraht installiert, der reagierte, wenn man darauf trat. Das erinnerte uns daran: Wir sind hier im Gefängnis einer Frau, die 1990 gewählt wurde - in einem Erdrutschsieg, in einem demokratischen Akt, der durch die Generäle in ihren bunten Uniformen nihiliert wurde.

Aung San Suu Kyi kam in Seide gekleidet und mit Orchideen im Haar. Sie ist eine sehr starke, auffällige Persönlichkeit. Auf ihrem Gesicht spiegelte sich jene Entschlossenheit, die sie auf ihrer heroischen Reise begleitet hat.

Wir setzten uns in einen Raum, der beherrscht war von einem sehr großen Portrait ihres Vaters Aung San. Es war so lang wie die Wand. Aung San war ein burmesischer Freiheitskämpfer gewesen, der für ein unabhängiges Burma stritt und schließlich Opfer eines Attentats wurde. Sie hat ihren Vater nie kennen gelernt.

“Wie darf ich Sie ansprechen?” fragte ich. “Nun, wenn Ihnen das Ganze zu kompliziert ist”, sagte sie, “Freunde nennen mich Suu”.

“Das Regime behauptet ständig, Sie seien erledigt. Hier sind Sie also - keineswegs erledigt. Wie kommt das?”

“Das kommt daher, dass die Demokratie in Burma nicht erledigt ist…. Sehen Sie sich den Mut der Menschen (auf der Straße) an - derer, die sich weiter für Demokratie einsetzen, derer, die schon im Gefängnis waren. Sie wissen, sie können jeden Tag wieder dort landen, es ist wahrscheinlich, dennoch geben sie nicht auf”.

“Aber wie wollen Sie die Macht, die Sie an der Wahlurne errungen haben, erneut reklamieren? Sie sind mit nackter Gewalt konfrontiert?”

“Im Buddhismus lernen wir, dass der Erfolg aus vier Grundzutaten besteht. Die Erste ist der Wille, es wirklich zu wollen, (zweitens) benötigt man die richtige Einstellung, dann (drittens) Durchhaltevermögen und (viertens) Weisheit…”

“Aber die andere Seite hat die Gewehre und zwar alle?”

“Stimmt, aber es wird (für sie) immer schwieriger, die Probleme mit militärischen Mitteln zu lösen. Es ist nicht länger akzeptabel”.

Wir sprachen darüber, wie bereitwillig ausländische Geschäftsleute nach Burma kommen - vor allem Touristikunternehmen - und über die Heuchelei der “Freunde” im Westen. Ich las ihr eine Presseverlautbarung des Britischen Außenministeriums vor: “Durch kommerzielle Kontakte zu demokratischen Nationen, wie Großbritannien, wird das burmesische Volk Erfahrungen mit demokratischen Prinzipien hinzugewinnen”.

“Überhaupt nicht”, sagte Aung San Suu Kyi, “Neuinvestitionen helfen nur einer kleinen Elite, reicher und immer reicher zu werden. Überall im Land geht die Zwangsarbeit weiter. Viele dieser Projekte sind für den Tourismus bestimmt und werden mittels Kinderarbeit umgesetzt”.

“Menschen, mit denen ich gesprochen habe, sehen in Ihnen eine Art Heilige, eine Wundertäterin”.

“Ich bin keine Heilige - am besten, Sie sagen das der Welt!”

“Wo liegen Ihre moralischen Schwachstellen (sinful qualities)?)”

“Hm, ich bin aufbrausend”.

“Was ist mit Ihrem Piano passiert?”

“Sie meinen, den gesprungenen Tastenstrang? In diesem Klima gehen Pianos kaputt. Einige Tasten hingen fest. Ich habe den Strang gebrochen, weil ich das Pedal zu stark durchtrat”.

“Sie verloren… Sie explodierten?”

“Tat ich”.

“Die Szene ist sehr bewegend: Sie hier, ganz alleine und so wütend, dass sie das Piano ruinieren”.

“Wie gesagt, ich habe ein heißes Temperament”.

“Gab es nie Zeiten, in denen sie sich wirklich fürchteten - umgeben von einer feindlichen Kraft und getrennt von Familie und Freunden?”

“Nein, denn ich habe keine Feindschaft gefühlt zu den Wachen, die mich umgeben. Aus Feindschaft erwächst Furcht. Ich fühle keine (Feindschaft) ihnen gegenüber”.

“Aber macht Sie das nicht furchtbar einsam….”

“Oh, ich habe meine Meditation. Ich habe ein Radio… Wissen Sie, Einsamkeit ist etwas, was von innen kommt. Auch Menschen, die frei sind und in einer großen Stadt leben, leiden darunter, denn sie kommt von innen”.

“Auf welche kleinen Annehmlichkeiten freuen Sie sich besonders?”

“Ich freue mich sehr, wenn die BBC in ihrer Sendung ‘Off the Shelf’ ein gutes Buch vorliest - und natürlich auf meine Meditation…. Auf mein körperliches Training freue ich mich weniger. Ich war nie ein besonders athletischer Typ”.

“Waren Sie irgendwann an dem Punkt, an dem Sie die Angst besiegen mussten?”

“Ja. Als ich noch ein Kind war in diesem Haus. Damals wanderte ich im Dunkeln herum, um alle Dämonen aufzutreiben… aber es gab keine”.

Sie gab mir ihre Telefonnummer, unter der ich sie später anrufen sollte. Ich habe es jahrelang versucht, vergebens. Das Telefon klingelte, dann war die Leitung jedes Mal plötzlich tot. Doch eines Tages kam ich durch.

“Vielen, vielen Dank für die Bücher”, sagte sie am anderen Ende. “Es war eine Freude, endlich wieder ausgiebig lesen zu können.” (Ich hatte ihr eine Sammlung ihres Lieblingsdichters T. S. Eliot geschickt sowie Jonathan Coes politisches ‘What a Carve Up!’). Ich fragte sie, was gerade vor ihrem Haus vor sich gehe. “Oh, die Straße ist blockiert”, sagte sie, “und sie (das Militär) sind überall auf der Straße…”

“Haben Sie keine Angst, in einer schrecklichen Sackgasse gefangen zu sein?”

“Dieser Ausdruck macht mich nicht gerade glücklich”, sagte sie einigermaßen streng. “Die Menschen sind auf die Straße gegangen. Das ist keine Sackgasse. Angehörige von Ethnien, wie die Karen, schlagen zurück. Das ist keine Sackgasse. Der Widerstand existiert - mitten im Leben der Menschen, Tag für Tag. Wissen Sie, auch wenn die Dinge an der Oberfläche ruhig erscheinen mögen, gibt es darunter doch stets Bewegung. Es ist wie mit einem zugefrorenen See. Unter unserem See erzielen wir Fortschritte, Schrittchen für Schrittchen”.

“Was genau meinen Sie?”

“Ich will sagen: Egal, welche physische Macht das Regime auch hat, am Ende werden sie die Menschen nicht aufhalten können; sie können die Freiheit nicht aufhalten. Unsere Zeit wird kommen”.

Quelle: Quelle: ZNet Deutschland   vom 18.10.2007. Orginalartikel: My Last Conversation With Aung San Suu Kyi . Übersetzt von: Andrea Noll

Veröffentlicht am

22. Oktober 2007

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