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Putins Rasiermesser

Putin und Bush stecken im Wahlkampf und geben die Machos. Hüten wir uns, auf ihre simplen Feindbilder reinzufallen.


Karl Grobe - Kolumne

An Ockhams Rasiermesser hat Wladimir Putin letzte Woche in Portugal wohl nicht gedacht, als er einen sonderbaren Satz formulierte. Doch irgendwie hat er es benutzt. Ockhams Rasiermesser - nach dem Theologen Wilhelm von Ockham (1285-1349) benannt, aber nicht von ihm erfunden - ist ein Wort für das Sparsamkeitsprinzip in der Wissenschaft: Die einfachste Theorie zur Erklärung eines Sachverhalts ist allen anderen vorzuziehen. Je weniger Annahmen man braucht, um etwas zu erklären, desto besser. Unnötiges entferne man wie zu lang gewachsene Haare mit jenem Schneidegerät.

Für den russischen Präsidenten ist die Annahme, Iran bastele klammheimlich doch an der Atomwaffe, eine unnötige Annahme. Die These, ein Raketenabwehrschild in Polen und Tschechien müsse wegen dieser Annahme eingerichtet werden, ist somit Nonsens. Die einfachste Erklärung ist: Die USA bedrohen Russland wieder fast wie im Kalten Krieg, und ihr Präsident will Krieg gegen Iran.

Darauf hob offenbar sein Satz ab, dass es nicht die beste Lösung sei, “wie ein Verrückter mit dem Rasiermesser” herumzufuchteln. Was ja einleuchtet, gerade wenn man bedenkt, dass es aus dem weltpolitischen Friseursalon kein Entkommen gibt. In diesem globalen Etablissement hat aber nicht nur einer das zur Herstellung eines angenehmen Äußeren wie zum Durchschneiden fremder Kehlen taugliche Gerät in der Hand. Es sind neun Akteure. Sie haben die schärfsten aller bisher erfundenen metaphorischen Klingen: die Atomwaffe. Nur einer, der von Außenstehenden in die Kategorie der Verrückten eingeordnete nordkoreanische Alleinherrscher, lässt sie sich vielleicht abschwätzen. Die acht anderen denken nicht daran. Putin schon gar nicht.

Der russische Präsident will sich, wie sein Washingtoner Kollege, als Macho darstellen; beide stecken im Wahlkampf, wobei der russische sich wie eine Parodie ausnimmt und der amerikanische wie ein Produkt der Meinung machenden Netzwerke. Beide Helden unserer Story haben dies gemeinsam: Sie dürfen nicht verlieren, der Schaden am Image wäre unreparierbar.

Der russische Liberale Boris Nemzow hat Putin soeben genau das vorgeworfen: Dieser habe bei der MoskauerGeiselnahme vor fünf Jahren jede Vermittlung (etwa durch den Moskauer Stadtvater Juri Luschkow) untersagt, weil das seiner Popularität hätte schaden können. Image statt Rettung von Menschenleben, lautet der Vorwurf, der freilich nur in der recht kleinen Moscow Times stand und die Wähler kaum erreicht.

Für George W. Bush wiederum zählten “Glaube, Überzeugung und Sendungsbewusstsein, nicht Fakten und Wissen”, als er den Irak-Krieg im Fast-Alleingang begann, stand soeben in der New York Review of Books. Beide Polemiken haben den Vorzug, den Bedingungen für Ockhams Rasiermesser zu genügen: Sie reduzieren die Beweisführung auf wenige Elemente. Die Putin-Busch-Kontroverse ist aber komplizierter.

Putin hat einige Gründe, den USA nicht über den Weg zu trauen: die geltende Nuklearstrategie, die Vorbeugeschläge gegen Mächte vorsieht, welche den USA gefährlich werden könnten; Washingtons Rückzug aus vielen Abrüstungsverträgen; die Förderung der “Farbenrevolutionen”.

Bush, der sein Putin-Bild radikal umgefärbt hat, verweist auf Russlands (Nach-) Rüstung und Energie-Imperialismus. Auch das stimmt ja. Die vereinfachten Feindbilder schaffen aber Argumentationsfallen. Hüten wir uns, darauf hereinzufallen.

Quelle: Frankfurter Rundschau   vom 05.11.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.

Veröffentlicht am

05. November 2007

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