Dienst an der Waffe, statt am MenschenDer Fall Christiane Ernst-Zettl: Bruch der Genfer Konventionen am Hindukusch - eine gemaßregelte Sanitätssoldatin bleibt ohne gerichtlichen Beistand
Am 21. Dezember hat der US-Sanitätsgefreite Agustín Aguayo den mit 5.000 Euro dotierten Stuttgarter Friedenspreis erhalten. Ausgezeichnet wurde der 35-Jährige, weil er es vorzog, auf sein Gewissen zu hören und dafür von der Militärjustiz seines Landes wegen Desertion verurteilt zu werden, statt weiter einem Einsatzbefehl im völkerrechtswidrig besetzten Irak zu folgen. Eines der Motive, so zu handeln, hatte sich für Aguayo aus dem Umstand ergeben, dass in der US-Armee Sanitätssoldaten vorsätzlich zum Dienst an der Waffe gezwungen werden, obwohl die Genfer Konventionen solches verbieten. Analoges geschieht inzwischen auch in der Bundeswehr, wie der Fall der Sanitätssoldatin Christiane Ernst-Zettl illustriert. Im Dienstgrad eines Hauptfeldwebels der deutschen Sanitätstruppe war sie vom 24. Februar bis 27. April 2005 in Afghanistan der Klinikkompanie des Sanitätseinsatzverbandes im 7. ISAF-Kontingent zugeteilt. Wie Agustín Aguayo wurde auch die Bundeswehrsanitäterin zum völkerrechtswidrigen Dienst an der Waffe befohlen. Konkret ging es um die militärische Absicherung von Camp Warehouse, der in Kabul gelegenen ISAF-Garnison. Am 16. April 2005 erhielt Hauptfeldwebel Ernst-Zettl Order, Personenkontrollen an afghanischen Frauen vorzunehmen, die im Camp beschäftigt waren. Hierzu sollte sie ihre Rot-Kreuz-Armbinde ablegen, woraufhin Ernst-Zettl beim Sicherungszugführer, einem Oberleutnant, vorstellig wurde, um zu melden, dass sie im Sinne des humanitären Völkerrechts Nichtkombattant sei und daher für derartige Aufgaben nicht eingesetzt werden dürfe. Allein für ihre Meldung und den Versuch, sich an die Genfer Konventionen zu halten, wurde die Soldatin mit einer Disziplinarbuße von 800 Euro belegt und “repatriiert” - sprich: strafweise nach Deutschland zurück beordert. Sie habe mit ihrem Verhalten den Sicherungszugführer verunsichert und so den ordnungsgemäßen Dienstablauf behindert, hieß es zur Begründung. Offenbar sollte ein Exempel statuiert werden, um Soldaten abzuschrecken, die sich in ähnlicher Weise mit rechtlichen wie moralischen Implikationen ihres Handelns auseinander setzen könnten. In Leipzig abgeschmettertWieder in Deutschland beschwerte sich die Soldatin beim zuständigen Truppendienstgericht Süd, wurde dort aber mit einer absurden Erklärung abgewiesen, in der es unter anderem hieß: “Ihr musste klar sein, dass der Sicherungszugführer diese Frage nicht sofort klären konnte … sie hat diesen damit bewusst instrumentalisiert.” Weil Ernst-Zettl nämlich - so das Gericht - die Angelegenheit drei Tage zuvor schriftlich ihrem Disziplinarvorgesetzten gemeldet und darauf noch keinen Bescheid erhalten hatte. Die Richter sahen darin einen “Missbrauch ihrer Rechte zu Lasten eines Kameraden” sowie eine Störung des Dienstbetriebes und attestierten der Sanitäterin: Ihr Handeln werfe “ein bedenkliches Licht auf ihren Charakter”. Da es sich bei der verhängten Disziplinarbuße gemäß Wehrdisziplinarordnung lediglich um eine “einfache Disziplinarmaßnahme” handelte, war gegen die letztinstanzliche Entscheidung des Truppendienstgerichtes kein weiteres Rechtsmittel mehr gegeben. Daraufhin beschwerte sich Ernst-Zettl erneut, machte einerseits Verfahrensfehler geltend und warf andererseits dem Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr vor, in seinem Auftrag seien völkerrechtswidrige Befehle erteilte worden. Nachdem das Verteidigungsministerium die Sache monatelang verschleppt hatte, beantragte Ernst-Zettl schlussendlich, das zuständige Bundesverwaltungsgericht in Leipzig möge entscheiden. Dort hat nun der 1. Wehrdienstsenat am 27. November 2007 beschlossen, die Anträge der Sanitäterin als unzulässig zu verwerfen (BVerwG 1 WB 58.06, 64.06). Mit ihrem Spruch bewiesen die Leipziger Richter sehr viel Kunstfertigkeit, um die Antragstellerin über die vertrackten prozessualen Fallstricke der Wehrgerichtsbarkeit stolpern zu lassen. So wird Ernst-Zettl angesichts der von ihr beanstandeten Verfahrensfehler mit dem lakonischen Hinweis abgefertigt, ihr Antrag sei unzulässig, “weil die Art und Weise der Verfahrensbehandlung nicht zum Gegenstand eines selbstständigen Verfahrens vor den Wehrdienstgerichten gemacht werden kann”. Im Klartext: Solange das Resultat eines Beschwerdeverfahrens stimmt, kommt es auf den vorgeschriebenen Verfahrensgang nicht weiter an. Und über das Resultat konnten die Richter am Bundesverwaltungsgericht ja nicht mehr entscheiden - das hatten die Kollegen am Truppendienstgericht Süd zuvor schon rechtskräftig erledigt. Glorreiche ZeitenBedeutsamer noch sind die Einlassungen der Bundesverwaltungsrichter zum zweiten Beschwerdepunkt der Sanitätssoldatin. Sie stellen nämlich fest, dass der in Afghanistan eingesetzten Sanitätstruppe völkerrechtswidrige Befehle und Weisungen erteilt worden seien, aber - so der höchstrichterliche Bescheid - das Wehrbeschwerdeverfahren diene nicht dazu, “das Handeln oder die Anordnungen bzw. Erlasse von Vorgesetzten oder Dienststellen der Bundeswehr im Allgemeinen zu überprüfen.” Der Soldat kann “die Wehrdienstgerichte nur dann anrufen, wenn sein Antrag bzw. seine Beschwerde eine Verletzung seiner Rechte oder eine Verletzung von Vorgesetztenpflichten ihm gegenüber zum Gegenstand hat, …” Ausschließlich dann, wenn er selbst unmittelbar in seinen Rechten verletzt ist, steht dem Soldaten der Weg zur wehrgerichtlichen Überprüfung offen. Da freilich die Sanitätssoldatin Ernst-Zettl durch die ihrer Auffassung nach völkerrechtswidrigen Weisungen in eigener Person gar nicht betroffen und damit auch nicht beschwert sei, müsse ihr Antrag als unzulässig zurückgewiesen werden. Im Übrigen hätte bezüglich der Befehle und Maßnahmen, durch die sie während ihres Einsatzes in Kabul konkret betroffen war, bereits das Truppendienstgericht rechtskräftig entschieden. Folglich sei eine erneute Prüfung ausgeschlossen. Formaljuristisch durchaus korrekt, offenbart dieses Verfahren einmal mehr die Ohnmacht des Bürgers gegenüber dem immer offener zutage tretenden Hang der Exekutive zum habituellen Völkerrechtsbruch. Das deprimierende Fazit der Causa Ernst-Zettl: Das tadellose Rechtsverständnis einer Soldatin wird abgeschmettert, im Bundesministerium der Verteidigung lachen sich die Völkerrechtsverbieger ins Fäustchen, und in Afghanistan liegen die Sanitäter gegebenenfalls weiter hinterm Maschinengewehr. Glorreiche Zeiten am Hindukusch. Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen. Quelle: Freitag - Die Ost-West-Wochenzeitung 01 vom 04.01.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Rose und des Verlags. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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