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Die Lichter sind abgeschaltet worden

von Gideon Levy, 04.02.2008

Ein Licht nach dem anderen wird abgeschaltet und eine moralisch düstere Stimmung stellt sich bei uns ein, da wir am Rande eines Abgrundes stehen. Letzte Woche wurden drei weitere Lichter abgeschaltet. Der Winograd-Bericht sprach nicht deutlich genug gegen die Tatsache, dass Israel einen sinnlosen Krieg begonnen hat; der Oberste Gerichtshof genehmigte kollektive Bestrafung und der Generalstaatsanwalt beschloss, dass das Töten von 12 israelischen Bürgern und einem Bewohner aus den besetzten Gebieten (2000) durch die Polizei keine Anklage vor Gericht rechtfertigt. Die letzten Ordnungshüter, die Leuchttürme von Gerechtigkeit und Gesetz, finden sich mit ernsthaften Ungerechtigkeiten der Regierungsinstitutionen ab und keiner äußert ein Wort dagegen. Die traurige und bedrückende Ernte einer einzigen Woche hat das moralische Porträt des Landes gezeichnet.

Wie erwartet, wurde das Winograd-Komitee irrelevant. Es vermied, sich mit der wichtigsten Frage, die auf der Agenda stand, auseinander zu setzen: gab es eine Rechtfertigung, den Krieg überhaupt zu beginnen? Ein Komitee, das nichts über ein Land sagt, das seinem Nachbar einen Krieg erklärt, tausende seiner Bürger tötet, Massenzerstörungen verursacht, schreckliche Waffen und Munition anwendet und weiter Dutzende Unschuldige tötet - ist ein unwürdiges Komitee

Wenn das Komitee sich nicht mit diesen wichtigen Themen und Problemen befasst, wer wird es dann tun. Eine einzige umständliche Bemerkung entlarvte das Spiel: “Wir entscheiden nicht und haben nicht entschieden, ob der Beschluss, nach der Entführung (zweier Soldaten) einen Krieg anzufangen gerechtfertigt war.” Nun, was hat es denn entschieden? Trotz allem was es sagte, das ist es was man wirklich hörte: In den Augen des Komitees sei es legitim wegen zwei entführter Soldaten Krieg zu führen. Es ist legitim, Krieg zu führen, um willkürlich zu töten, unverhältnismäßig zu bombardieren und zu zerstören - dies alles als bevorzugte erste Reaktion. Keine Verhandlungen, keine begrenzte militärische Operation - nur Krieg - und die aus so fragwürdigen Gründen und natürlich mit solch jämmerlichen Ergebnissen. Nicht ein Wort über das Töten und Zerstören, was wir für nichts und wieder nichts verursachten. Das so würdig ausschauende Komitee benahm sich wie ein öffentliches Informationsbüro und befürwortet, was viele in aller Welt als Kriegsverbrechen beschrieben.

Eine einmalige Gelegenheit, etwas über ethische Werte der von uns so eifrig benutzten Sprache der Gewalt zu sagen, wurde vertan. Das Winograd-Komitee ist deshalb ein Gremium, dem das moralische Rückgrat fehlt, das vermeidet, sich mit wesentlichen Fragen zu befassen.

Am selben Tag, an dem das Komitee seinen Schlussbericht veröffentlichte, autorisierte der Oberste Gerichtshof, auf den alle Augen wie gebannt schauen und dessen Einfluss dort eine bittere, andauernde Schlacht ist, einen weiteren Fehler in seiner Arbeit. Ein Gremium von Richtern, von der Gerichtspräsidentin Dorit Beinisch geleitet, bestimmte, dass Israel autorisiert sei, die Energielieferung (Strom, Gas und Diesel) für den Gazastreifen zu begrenzen, “da auch diese herabgesetzten Mengen für die humanitäre Bedürfnissen ausreichen würden.”

Es ist schwierig zu sagen, was nach Beinisch “humanitäre Bedürfnisse” sind. Im Gazastreifen schreien 1,5 Millionen Menschen nach Brennstoff, Wasser und Strom. Man sollte die Gerichtpräsidentin fragen, ob sie jemals solche Szenen des Elends wie im Gazastreifen erlebt hat. Hat sie jemals gesehen, wie die unglücklichen Leute große Blechkanister voller Benzin aus Ägypten schleppten. Hat sie an die Kälte gedacht, der man ohne Strom oder Brennstoff kaum widerstehen kann. Hat sie je einen Gedanken über die Kinder verloren, die Kranken und Alten ohne diese notwendigen Dinge. Es sind alles unschuldige Zivilisten.

Aber die Härte der Entscheidung des Obersten Gerichthofes betrifft nicht nur die humane Ebene: der Oberste Gerichtshof genehmigt auch Kollektivbestrafung, die speziell nach dem Völkerrecht verboten ist (Art.33 der Genfer Konvention). Künftig wird sich Israel nicht mehr über Angriffe auf Unschuldige beklagen können: wenn alle Bewohner des Gazastreifen wegen der Qassamraketen verdienen bestraft zu werden, dann verdienen wohl alle Israelis wegen der Besatzung bestraft zu werden?

“Dies ist der Unterschied zwischen Israel, einer Demokratie, die innerhalb des Gesetzes um ihr Leben kämpft und den terroristischen Organisationen, die gegen sie - die Demokratie - kämpfen.”

“Nach dem Gesetz?” Welches Gesetz? Nicht nach dem internationalen Recht (Völkerrecht).

“Israel kämpft um sein Leben?” Und könnte es nicht sein, dass die Palästinenser einen Krieg kämpfen, der nicht weniger gerechtfertigt ist - nämlich gegen die Besatzung und die Freiheitsstrafe? All dies stand nicht auf der Agenda des Obersten Gerichtshofes.

Und last but not least: der Generalstaatsanwalt Menachem Mazuz. Zwölf Bürger und ein Bewohner der besetzten Gebiete wurden (im Oktober 2000) von der Polizei getötet, und Mazuz bestimmte, dass es keinen Zweck habe, nach so langer Zeit eine strafrechtliche Untersuchung in die Wege zu leiten. (Die Staatsanwaltschaft entschied damals, die Untersuchung zu verzögern, bis die Untersuchung der Or-Kommission ihre Arbeit fertig gestellt hat). Warum sollte das Gericht nicht entscheiden? All die Entschuldigungen, einschließlich der Schuldzuweisungen den Familien der Opfergegenüber, die keine Autopsien erlaubten, vermindern nicht im Geringsten den wohl begründeten Verdacht: wären die Toten jüdische Bürger gewesen, dann wäre dies nicht geschehen; die Polizei hätte nicht getötet und der Generalstaatsanwalt hätte den Rechtsfall nicht einfach abgeschlossen.

Nach alledem beklagen sich Leute hier über jene, die in einem Lande mit mehr Gerechtigkeit leben wollen und die gezwungen werden, sich an Institutionen des Völkerrechts zu wenden. An wen können sie sich denn noch wenden? An den Obersten Gerichtshof? An Winograd? Den Generalstaatsanwalt? Ihre Lichter sind alle ausgegangen.

Deutsche Übersetzung: Ellen Rohlfs

Veröffentlicht am

13. Februar 2008

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