What you buy is what you get - Politischer Konsum ist nötiger und wirksamer denn je!Von Christoph Besemer Geiz ist geil! Das haben uns Werbetafeln jahrelang eingebläut. Jetzt kommt nach und nach das heilsame Erwachen: Immer mehr Leute erkennen, dass dieser Geiz mit dazu beiträgt, unsere Welt zu ruinieren und genau die Probleme schafft, gegen die wir politisch so verzweifelt anrennen. Die Menschen erkennen aber auch zunehmend, dass wir dem Wirtschaftsgeschehen nicht hilflos ausgeliefert sind, sondern wir als KonsumentInnen am längeren Hebel sitzen. Damit eröffnen sich dem politischen Widerstand neue Perspektiven. Jede seriöse ReferentIn über die Kriegs- und Krisenherde dieser Welt (Irak, Iran, Afghanistan, Kongo etc.) wird letztlich auf die wirtschaftlichen Interessen der beteiligten Konfliktparteien zu sprechen kommen: Öl und andere Rohstoffe, Sicherung der Handelswege, Erhaltung bzw. Etablierung welthandelsfreundlicher Regierungen, geostrategische Absicherung unseres Wohlstandes. Das sind die eigentlichen Ziele der neuen Kriege. Allerdings setzen die Strategien der Friedensbewegung selten direkt an diesen Interessen an. Das Gleiche gilt für die Debatte um Klimaerwärmung und globale Umweltverschmutzung: Der wirtschaftliche Hintergrund ist klar, die Stoßrichtung des Protests ist jedoch auf gesetzgeberische Forderungen konzentriert. Dabei geben selbst konservative PolitikerInnen längst zu, dass der Staat am Gängelband der Wirtschaft hängt. Und die Wirtschaft hängt vom Markt, von der Nachfrage und damit von uns KonsumentInnen ab. Einkaufen als politische AktionDies kann beklagt werden, es bietet aber auch eine große Chance: Wir können das wirtschaftliche "Gleichgewicht" unmittelbar und wirksam beeinflussen, indem wir mit politisch bewussten Kaufentscheidungen wirtschaftliche Konsequenzen erzwingen. Denn selbst geringfügige Veränderungen der Verkaufzahlen werden in den Wirtschaftszentralen argwöhnisch registriert. Wenn Umsatzeinbußen anhalten, muss reagiert werden, sonst gerät das Unternehmen oder zumindest das Management unter die Räder und die Kundschaft wandert dauerhaft zur Konkurrenz ab. Da wir täglich Geld ausgeben, haben wir täglich die Möglichkeit, mit ihm eine politische Willensbekundung zum Ausdruck zu bringen: Welche Qualität, welche Umweltstandards, welchen Rohstoffverbrauch und welche Herstellungsbedingungen möchten wir haben - und welche nicht! Kritischer Konsum und BoykottDie alltägliche bewusste Produkt-Wahl kann ergänzt werden mit einer zeitweisen Zuspitzung des Protests auf ein oder wenige Produkte oder Firmen im Rahmen von gezielten Boykott-Kampagnen: Dies ist mit das Wirksamste, was gewaltfreie Widerstandsbewegungen aufzubieten haben. Die Werkstatt für Gewaltfreie Aktion hat schon vor Jahren in ihrem Heft "Boykott - Die große Macht der kleine Leute" die vielfältigen Erfolge und die Erfolgsbedingungen von Kaufverweigerung dargelegt und an wirksamen Boykott-Kampagnen (z.B. Schlecker- und Lidl-Kampagne) mitgewirkt. Im Zeitalter der deregulierten Märkte, der unübersichtlichen Wirtschaftsverflechtungen und der ruinösen Billigproduktion können gerade die KonsumentInnen den Nerv des Wirtschaftssystems treffen, wenn sie gemeinsam ihre Macht einsetzen - die Macht, ein Produkt zu kaufen oder es bewusst zu unterlassen. Unsere Verwicklung ins UnrechtVielen Menschen war und ist ihre Verwicklung in die ausbeuterischen, umweltschädigenden und kriegstreibenden Wirtschaftskreisläufe nicht bewusst. Die Werbung zeigt nur die schönen Produkte und die glücklichen Menschen, nicht aber die unmenschlichen Produktionsbedingungen, vor allem in den so genannten Freihandelszonen in Fernost. Was sich hinter den geilen Billigpreisen verbirgt, kommt erst langsam ans Licht einer größeren Öffentlichkeit. Jetzt sehen wir zunehmend, wie unsere Schnäppchenjagd auf dem Rücken von Menschen und Natur ausgetragen wird. Täglich im Supermarkt oder Discounter, im Spielzeugladen und in den Unterhaltungsmedien- und Computer-Märkten, im Bekleidungsgeschäft, beim Teppichkauf oder beim Baumarkt kaufen wir gerne die billigen Waren, die in fernen Ländern in ausbeuterischen und mörderischen Produktionsstätten produziert und mit billigem Öl um die halbe Welt transportiert werden. Und profitieren gleichzeitig durch Geldanlagen bei Vermögensfonds an den Gewinnen von Firmen, die wir nie und nimmer unterstützen würden, wenn wir ihnen das Geld direkt geben müssten. Sind wir bereit, faire Preise zu zahlen?Für die Unternehmen sind die Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer, die Umgehung hiesiger Umwelt- und Sozialstandards und der kostengünstige und umweltschädigende Einsatz von Öl und anderen Rohstoffen schon fast eine Überlebensbedingung geworden. Firmen, die in Deutschland produzieren, können dem Preisdruck immer weniger standhalten. Das Mehr an Qualität und menschlichen Arbeitsbedingungen wird bislang kaum von den KäuferInnen honoriert. Aber das ändert sich und kann - systematisch betrieben - zu einer "Einkaufsrevolution" werden. Die Einkaufsmacht wirktWie schnell sich durch politischen Konsum mit entsprechender Öffentlichkeitsarbeit Unrechtssituationen abstellen lassen, zeigt das Beispiel Tchibo und die Textilproduktion in Bangladesh: Im September 2004 deckte die Kampagne für saubere Kleidung (Clean Clothes Campaign - CCC) auf, dass in einer Zulieferer-Fabrik von Tchibo 230 Textil-Arbeiterinnen entlassen worden waren, nur weil sie Mitglied in einer Gewerkschaft waren. Als die Kampagne daraufhin innerhalb eines halben Jahres 20.000 Protestpostkarten unter die Leute gebracht hatte, übte Tchibo Druck auf seine Lieferanten aus, so dass die Entlassenen wieder eingestellt wurden und künftig die Mitgliedschaft in Gewerkschaften erlaubt sein sollte. (Vgl. Tanja Busse, S. 48f) Bekannter sind der erfolgreiche Protest gegen die Versenkung der Ölplattform Brent Spar, bei dem der Boykott von SHELL-Tankstellen eine schnelle Kehrtwendung des Ölkonzerns herbeiführte, der Nestlé-Boykott in den 70er-Jahren wegen todbringender Babynahrung oder die auch von der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion mit konzipierte und getragene Kampagne für die Durchsetzung von sozialen Mindeststandard bei der Drogeriekette Schlecker. Kritischer Konsum: täglich + umfassendAngesichts der moralischen Bedenklichkeit so vieler Konsumgüter heutzutage ist es aber auch sinnvoll, durch einen alltäglichen und umfassenden kritischen Konsum langfristige Veränderungen herbeizuführen, wie es z.B. mit dem Bio-Boom bereits gelungen ist und mit dem Umsteigen auf Anbieter von Naturstrom derzeit im Gange ist. Die zunehmenden Informationen über die skandalösen Zustände in den Billiglohnländern öffnet vielen die Augen und eine wachsende Zahl von Siegeln und Zertifizierungen erleichtern die Orientierung, welche Produkte akzeptabel sind und welche nicht. Achtung vor Augenwischerei!Dabei darf man jedoch nicht der Augenwischerei durch Pseudo-Standards, die von den Firmen selbst kontrolliert werden, aufsitzen. Auch der Hinweis darauf, dass es in den Ländern Gesetze gibt, die Kinderarbeit verbieten und soziale Mindeststandards festlegen, reicht nicht aus, denn diese Gesetze werden häufig nicht eingehalten - und weder die Regierungen noch die Firmen haben ein Interesse daran, dass sich dies ändert. Nur ein unabhängiges Kontrollsystem mit unangekündigten Inspektionen ist seriös. Noch wirksamer dürfte die gewerkschaftliche Organisierung und Kontrolle durch die Beschäftigten selbst sein, sofern dies möglich ist und gelingt. JedeR kann mitmachen: Wagen wir den ersten Schritt - und den nächsten…!Politischer Konsum ist kein Konsumverzicht und keine individuelle Aktion. Er lässt sich gut mit Aufklärungsgesprächen, Öffentlichkeitsarbeit und anderen Formen politischer Veränderung verbinden. Sein Vorteil: JedeR kann ihn täglich, gefahrlos und ohne (große) Nachteile praktizieren. Natürlich fällt es uns schwer, von der alten Gewohnheit abzurücken, beim Einkauf in erster Linie auf den Preis zu schauen. Es ist oft auch finanziell und vom Aufwand her nicht machbar, von heute auf morgen sein ganzes Konsumverhalten auf den Kopf zu stellen. Aber schon mit einem Produkt eigener Wahl (oder im Rahmen einer Boykott-Kampagne) anzufangen, ist ein erster, guter Schritt. Damit ist der Weg des politischen Konsums beschritten. Wer den ersten Schritt getan hat, kann leichter weitergehen. Wir müssen nicht bereits am Ziel und hundertprozentig korrekt sein, um die Welt verändern zu können. Schon wenn jedeR bei einem Teil seiner/ihrer Einkäufe auf die Produktions-Bedingungen achtet, kann eine Welle wirtschaftlichen Drucks ausgelöst werden. Wenn wir erleben, wie Einkaufen zu einer politischen Aktion wird, dann wird Politik zum Alltag und Konsumieren zum "Konsum der Befreiung" (Maria Mies). Arbeiten wir mit an einer Welt, in der niemand mehr Krieg führt, um Billigproduktion und Profitinteressen militärisch abzusichern - weil niemand mehr an solchen Produkten Interesse hat!
Quelle: Gewaltfrei Aktiv . Mitteilungen der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden. Ausgabe 33 - Februar 2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Christoph Besemer. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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