Pass zum Fortschritt"Israelis und Palästinenser sollten mir nacheifern und die doppelte Staatsbürgerschaft annehmen - denn wir teilen ein Schicksal."
Ich habe oft gesagt, dass die Schicksale der Israelis und der Palästinenser unentwirrbar verknotet sind, und dass eine militärische Lösung des Konflikts nicht möglich ist. Meine kürzlich erfolgte Annahme der palästinensischen Staatsbürgerschaft hat mir die Gelegenheit gegeben, dies deutlicher zu machen. Als meine Familie in den 1950ern aus Argentinien nach Israel übersiedelte, war die Intention meiner Eltern, mir die Erfahrung zu ersparen, als Teil einer Minderheit aufzuwachsen - einer jüdischen Minderheit! Sie wollten, dass ich als Teil der Mehrheit aufwachsen sollte - einer jüdischen Mehrheit. Die Tragödie dabei ist, dass meine Generation die Existenz einer Minorität in Israel - einer nicht jüdischen Minderheit, die in ganz Palästina bis zur Gründung des Staates Israel 1948 die Mehrheit war - ignorierte, obwohl sie in einer Gesellschaft erzogen worden war, deren positive Aspekte und humane Werte mein Denken stark bereichert haben. Ein Teil der nichtjüdischen Bevölkerung blieb im Land, andere Teile verließen das Land aus Angst oder wurden mit Gewalt vertrieben. Im israelisch-palästinensischen Konflikt bestand und besteht bis heute die Unfähigkeit, die gegenseitige Abhängigkeit beider Stimmen zuzugeben. Die Schaffung des Staates Israel war das Ergebnis einer jüdisch-europäischen Idee als Leitmotiv für eine Zukunft, die aber die palästinensische Identität als gleichermaßen gültiges Leitmotiv akzeptieren muss. Die demographische Entwicklung kann unmöglich ignoriert werden; die Palästinenser in Israel sind eine Minorität, jedoch eine rapide wachsende, und ihre Stimme muss jetzt mehr als je zuvor gehört werden. Heute machen sie annähernd 22 Prozent der Bevölkerung von Israel aus. Das ist ein größerer Prozentsatz als jener, den die jüdische Minderheit in irgendeinem Land und zu irgendeiner Zeit hatte. Die Gesamtzahl der Palästinenser, die innerhalb von Israel und in den besetzten Gebieten leben (das ist für die Israelis "Großisrael" und für die Palästinenser "Großpalästina") ist heute schon größer als die jüdische Bevölkerung. Gegenwärtig sieht Israel sich drei Problemen gegenüber: die Natur des modernen demokratischen jüdischen Staates, also seine Identität - das Problem der palästinensischen Identität innerhalb von Israel - das Problem eines palästinensischen Staates außerhalb von Israel. Mit Ägypten und Jordanien konnte erreicht werden, was bestenfalls als "eiskalter Friede" beschrieben werden kann, ohne die Existenz Israels als jüdischen Staat zu hinterfragen. Das Problem der Palästinenser innerhalb von Israel zu lösen, ist eine viel größere Herausforderung, theoretisch und praktisch. Für Israel bedeutet das unter anderen Dingen, dass man sich mit dem Faktum auseinandersetzen muss, dass das Land eben nicht wüst und leer, ein "Land ohne Volk" war, eine Idee, die in der Zeit der Gründung von Israel weithin propagiert wurde. Für die Palästinenser heißt das, das Faktum zu akzeptieren, dass Israel ein jüdischer Staat ist und bleiben wird. Die Israelis müssen die Integration der palästinensischen Minderheit akzeptieren, sogar, wenn das bedeutet, dass verschiedene Aspekte im Wesen von Israel sich verändern; sie müssen auch die Rechtfertigung für und die Notwendigkeit der Schaffung eines palästinensischen Staates neben dem Staat Israel akzeptieren. Es gibt dafür keine Alternative - oder einen Zauberstab, der die Palästinenser zum Verschwinden bringt; sondern ihre Integration ist eine unentbehrliche Bedingung - aus moralischen, sozialen und politischen Gründen - letztlich für das Überleben Israels. Je länger die Besetzung dauert und die Unzufriedenheit der Palästinenser unerwähnt bleibt, umso schwieriger wird es, auch nur einen einfachen gemeinsamen Nenner zu finden. Wir haben in der modernen Geschichte des Nahen Ostens allzu oft gesehen, dass versäumte Gelegenheiten zur Versöhnung extrem negative Ergebnisse für beide Seiten zur Folge hatten. Ich für meinen Teil akzeptierte den mir angebotenen palästinensischen Pass im Geiste der Anerkennung des palästinensischen Schicksals, das ich als Israeli teile. Ein wahrer Bürger von Israel muss dem palästinensischen Volk offen entgegenkommen und mindestens den Versuch machen, zu verstehen, was die Schaffung des Staates Israel für dieses bedeutet hat. Der 15. Mai 1948 ist für die jüdischen Israelis der Tag der Unabhängigkeit, aber derselbe Tag ist für die Palästinenser die Nakba, die Katastrophe. Ein wahrer Bürger von Israel muss sich die Frage stellen, was die Juden, die als intelligentes Volk nach Gelehrsamkeit und Kultur bekannt sind, getan haben, um ihr kulturelles Erbe mit den Palästinensern zu teilen. Ein wahrer Bürger von Israel muss sich außerdem fragen, warum die Palästinenser dazu verdammt sind, in Slums zu leben, niedrigere Bildungsstandards und schlechtere medizinische Versorgung zu akzeptieren, statt dass die Besatzer ihnen anständige, würdige und lebenswerte Bedingungen schaffen, ein Recht, das allen menschlichen Wesen zusteht. In jedem besetzten Land sind die Besatzer verantwortlich für die Lebensqualität der Besetzten, aber im Fall der Palästinenser haben die verschiedenen israelischen Regierungen während der vergangenen 40 Jahre hier elendiglich versagt. Natürlich müssen die Palästinenser weiterhin Widerstand gegen die Besetzung und alle Versuche, ihnen die Grundversorgung und Staatlichkeit zu verweigern, leisten. Jedoch muss sich dieser Widerstand zu ihrem eigenen Wohl nicht durch Gewalttätigkeit ausdrücken. Die Überschreitung der Grenze vom beinharten Widerstand (einschließlich gewaltfreier Demonstrationen und Proteste) zur Gewalt resultiert nur in mehr unschuldigen Opfern, und dient - auf Dauer gesehen - nicht den Interessen des palästinensischen Volkes. Gleichzeitig haben die Israelis ebenso gute Gründe, die Bedürfnisse und Rechte des palästinensischen Volkes (innerhalb und außerhalb Israels) wahrzunehmen wie ihre eigenen. Schließlich sollten wir, im Sinne, dass wir ein Land und ein Schicksal teilen, alle eine doppelte Staatsbürgerschaft haben.
Deutsche Übersetzung: Gerhilde Merz Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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