Vor dem NATO-Gipfel in BukarestDie amerikanische Regierung fordert neue militärische FähigkeitenOtfried Nassauer Für den amerikanischen Präsidenten, George W. Bush, ist es der letzte NATO-Gipfel. Im Januar 2009 endet seine Amtszeit. Große Initiativen kann er nicht mehr starten. Viele warten bereits auf seinen Nachfolger. Allenfalls kann Bush versuchen, noch einmal Duftnoten zu setzen. So wünscht er sich zum Beispiel, dass der Gipfel seine Pläne zur Stationierung von Teilen des amerikanischen Raketenabwehrsystems in Europa begrüßt. Die NATO soll untersuchen, wie die amerikanische Raketenabwehr mit künftigen NATO-Systemen zusammenwirken könnte. Eine solche Erklärung würde seinen Nachfolger auf das Vorhaben verpflichten. Es sähe so aus, als würden die NATO-Staaten Washington bitten, das System zu stationieren. Für Bush wäre das ein willkommenes Abschiedsgeschenk. Die NATO soll in Bukarest erneut erweitert werden. Kroatien, Albanien und Makedonien sind dafür vorgesehen. Doch Griechenland droht, den Beitritt Makedoniens zu blockieren, weil es eine griechische Provinz gleichen Namens gibt. Kann Makedonien deshalb nicht beitreten, so steht auch der Beitritt Albaniens in Frage. Viele Europäer hoffen nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo, dass der Beitritt Makedoniens und Albaniens stabilisierende Wirkung hätte. Sie drängen Griechenland zum Kompromiss. Bliebe nur Makedonien außen vor, so würden die Stabilitätsrisiken eher größer. Träte nur Kroatien bei, wäre es ein mageres Ergebnis für einen Gipfel. Die Ukraine und Georgien hoffen, mit einem Aktionsplan an die Mitgliedschaft herangeführt zu werden. In Washington haben sie einen starken Fürsprecher. Viele europäische Staaten dagegen fürchten, ein solcher Schritt führe nur zu unnötigen Spannungen mit Russland. Moskau hat mit Dmitri Medwedew gerade einen neuen Präsidenten gewählt. Dieser muss entscheiden, ob er den harschen Tönen Taten folgen lässt, die Wladimir Putin im vergangenen Jahr bei den Themen Raketenabwehr, Rüstungskontrolle, Kosovo und NATO-Erweiterung angeschlagen hat. Niemand könne ein Interesse haben, das Klima für die Zusammenarbeit zwischen Medwedew und der künftigen US-Präsidentschaft vorab zu vergiften. Washington dagegen hält die Option offen, Georgien und der Ukraine trotz russischen Widerspruchs Hoffnung auf eine schnelle NATO-Mitgliedschaft zu machen. Droht also ein Gipfel ohne Überraschungen, ohne relevante Entscheidungen und mit viel Langeweile? Nein. Seit Jahren ist klar, dass die NATO unter Auszehrungserscheinungen und innerem Zerfall leidet. Strittige Themen - zum Beispiel der Irak - werden ausgeklammert oder sind blockiert - wie die Zusammenarbeit zwischen NATO und EU. Die Aufnahme neuer Mitglieder alleine aber kann der Allianz nicht genug neuen Atem einhauchen. Die Nato steht vor demselben Problem wie die Europäische Union: Ohne Vertiefung der Zusammenarbeit führt eine erweiterte Mitgliedschaft oft zu einer Lockerung des Zusammenhalts. Die strategische Debatte über die Zukunft der NATO wird seit Jahren vertagt. Die Allianz braucht eine grundlegende Reform, wenn sie eine Zukunft haben soll. Die Gefahr wird zwar erkannt, aber nicht gebannt. Zwei konkurrierende Wege wurden vorgeschlagen. Einen Weg sprach der damalige Bundeskanzler, Gerhard Schröder, während der Münchener Sicherheitskonferenz 2005 an. Das Bündnis müsse wieder ein zentraler Ort der transatlantischen Kooperation werden. Die NATO müsse wieder zum Ort gemeinsamer sicherheitspolitischer Entscheidungen werden. Mit anderen Worten: Es reicht nicht, wenn in Brüssel konsultiert und danach in Washington entschieden wird. Weder als Werkzeugkasten noch als Ort, an dem Koalitionen der Willigen geschmiedet werden, hat die NATO eine Zukunft. Schröder mahnte an, die transatlantische Debatte um Themen zu erweitern, für die die NATO mit ihrer militär- und sicherheitspolitischen Aufgabenstellung bislang kein Forum ist. Der zweite Weg, der NATO neues Leben einzuhauchen, kommt aus Washington und findet viele Anhänger unter Konservativen in Europa: Die NATO müsse angesichts veränderter sicherheitspolitischer Rahmenbedingungen ihre Strategie und ihre militärischen Fähigkeiten neu ausrichten. Denn nur, wenn das Bündnis adäquate militärische Fähigkeiten für ein erweitertes Aufgabenspektrum vorhalte, könne es seine Bedeutung wahren. In den vergangenen Jahren wurde vorrangig der zweite Weg beschritten. Die NATO übernahm neue Aufgaben, beschrieb neue Bedrohungen und definierte militärische Fähigkeiten, die es deshalb auszubauen gelte. Doch das Schicksal der Reforminitiativen - von der NATO-Eingreiftruppe bis zu den 2002 in Prag beschlossenen Fähigkeitszielen - zeigte immer wieder, dass die Mitglieder nur halbherzig bei der Sache waren. Die politische Debatte über die neuen Aufgaben, die die NATO übernahm, ist ebenfalls von Halbherzigkeit geprägt. Der Afghanistan-Einsatz ist nur das deutlichste Beispiel. Man streitet nicht nur über die richtige Strategie. Wenn neue Truppen gestellt werden müssen, zeigen viele Mitgliedstaaten ihre Fähigkeit zur Zurückhaltung. Selbst Mahnungen des NATO-Generalsekretärs, in Afghanistan stehe die Zukunft der Allianz zur Disposition, änderten daran wenig. Da sich niemand vorwerfen lassen will, die Bündnissolidarität aufzukündigen, regt sich aber auch kein grundsätzlicher Widerspruch. Wichtige Fragen werden einfach nicht ausgesprochen: Sind sich die NATO-Staaten einig, dass die Allianz Einsätze wie den in Afghanistan durchführen soll? Gibt es einen belastbaren Konsens über die sicherheitspolitischen und militärischen Aufgaben der NATO? Auch für den Bukarester NATO-Gipfel wurden Ideen vorbereitet, der NATO über neue Aufgaben und neue Fähigkeiten mehr Leben einzuhauchen. Konservative NATO-Politiker in Europa schlugen vor, die Allianz mit einem neuen Strategischen Konzept neu zu beleben und in Bukarest den Auftrag zu erteilen, dieses auszuarbeiten. Das Pentagon dachte mit Unterstützung aus London darüber nach, ein gemeinsames NATO-Konzept für die Aufstandsbekämpfung, englisch Counter-Insurgency, zu entwickeln. Das biete die Möglichkeit, die Lehren aus den Fehlern im Irak für das Bündnis nutzbar zu machen. Man könne sich verpflichten, gezielt entsprechende militärische Fähigkeiten aufzubauen. Das Pentagon machte den Vorschlag, den derzeitigen Oberbefehlshaber Washingtons im Irak und Counter-Insurgency-Vordenker, David Petraeus zum nächsten NATO-Oberbefehlshaber zu machen. So weit wird der NATO-Gipfel wohl doch nicht gehen. Eine neue NATO-Strategie soll erst mit der künftigen US-Administration diskutiert werden. Die Idee eines Counter-Insurgency-Konzeptes wird derzeit zu einem Konzept für Aufstandsbekämpfung und Wiederaufbau in Afghanistan umgearbeitet. In einem öffentlichen und einem geheimen Dokument sollen Wege aufgezeigt werden, wie die NATO ihren Einsatz in Afghanistan erfüllen und erfolgreich beenden kann. Die wesentlichen Fragen für die Zukunft der Allianz und nach dem politischen Grundkonsens der Mitglieder bleiben damit weiter unbeantwortet. Das bedeutet zweierlei: Auch die inneren Widersprüche der NATO bleiben. Sie können die NATO weiter von innen aushöhlen und ihre Handlungsfähigkeit einschränken. Ob im Kosovo oder mehr noch in Afghanistan - das kann jederzeit sichtbar werden. Trotzdem werden Pflöcke eingeschlagen und Bukarest wird schon bald entscheidende Wirkung zeigen. Die geplante Pariser Afghanistan-Konferenz wird nur Beschlüsse fassen können, die im Einklang mit denen stehen, die die NATO in Bukarest fasst. Das schränkt die Möglichkeiten für eine Neuorientierung in Afghanistan deutlich ein. Auch der Ruf nach der Erarbeitung einer neuen NATO-Strategie wird nicht verstummen. Im kommenden Jahr wird die NATO 60 Jahre alt. An eine Frühverrentung des Bündnisses denkt niemand. Spätestens dann also stehen die großen Themen und Fragen zur Wiedervorlage. Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
Quelle: BITS vom 28.03.2008. Wir veröffentlichen diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung von Otfried Nassauer. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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