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Die Folgen von ´68

Ein Arte-Fernsehfilm zeigt, was aus den Kindern von Dutschke, Mahler und Nirumand geworden ist

Von Katrin Schuster

Zurück blickt das Fernsehen am liebsten, die - vor allem deutsche - Historie ist eines seiner größten Anliegen. Geschichte wird nicht mehr notiert, sondern imaginiert und rezitiert. Sie gerinnt zu etwas Virtuellem, ist keine Wissenschaft der Daten, Namen und Zusammenhänge mehr, sondern ein Album der Jubiläen, Ikonen und einfach gestrickten Kausalitäten. In diesem Jahr nun ist die bundesrepublikanische Studentenrevolte von 1968 dran.

Und während sich alle daran erinnern, hat sich der Regisseur Jürgen Bevers die Gegenwart vorgenommen, eine ganz besondere Gegenwart allerdings: Bevers hat die Kinder der 68er getroffen, um mit diesen Erben der Revolte - so der Untertitel seines Films - über eben dieses Erbe zu sprechen. Mit Wiebke Mahler, der Tochter des RAF-Mitglieds und späteren Rechtsextremisten Horst Mahler; mit Johanna Timm, der Tochter des Schriftstellers Uwe Timm, der im Jahr 2005 in seinem Buch Der Freund und der Fremde seiner Freundschaft mit Benno Ohnesorg gedachte; mit Mariam Lau, der Tochter des iranischen Publizisten Bahman Nirumand; mit Marek Dutschke, dem jüngsten Sohn von Rudi Dutschke, der erst nach dessen Tod zur Welt kam; und mit Uwe Soukup, dem Sohn des APO-Aktivisten und Uni-Dozenten Gunter Soukup. Johanna Timm ist die Jüngste, 1982 geboren, Uwe Soukup, 1956 geboren, der Älteste, die Bandbreite der politischen Couleur reicht von links bis rechts.

Bevers´ Film ist lebendige Geschichte im besten Sinne - weil er Folgen und Zukunft des Projekts ´68 in den Blick bekommt, weil er den Slogan, dass das Private politisch sei, beim Wort genommen hat und weil darin schließlich eindrücklich sichtbar wird, wie sich die Historie buchstäblich fortpflanzt. Gerade die zwiespältige Position von Bevers´ Protagonisten, die zwar bekannte Namen tragen, für deren Prominenz jedoch nicht verantwortlich sind, eröffnet eine Perspektive, der Distanz und Nähe zugleich innewohnen: Was lange zurück liegt, hat in der Biografie von Timm, Mahler, Lau, Dutschke und Soukup seine Spuren hinterlassen - obwohl sie 1968 höchstens als Kinder erlebt haben.

Mariam Lau zum Beispiel: Mit seinem Vortrag über das Schah-Regime gab ihr Vater 1967 den Studenten die Argumente für den Protest in die Hand, seine Tochter arbeitet heute bei der Welt - bei der "Springer-Presse" also, einer der Angriffsflächen für die 68er. "Eine Stimme der Dritten Welt", unterzeichnete Nirumand seine Zeitungsartikel damals, "das war die Rolle, die mein Vater spielte", urteilt Mariam Lau belächelnd - als wäre es nicht denkbar, dass Bahman Nirumand sich selbst so gesehen hat. Mit links will Lau sichtlich nichts zu tun haben, "da bin ich Gott sei Dank verschont geblieben", freut sie sich gleich zweimal, als die Rede auf die anti-autoritäre Erziehung kommt. Sie macht eine Differenz zwischen "links" (die anderen) und "klar sehen" (sie selbst) auf. Den Hass auf die BRD habe sie nie verstanden, sagt sie und führt die politisch korrekte Biografie Willy Brandts an. Da wird eine Qualität der Dokumentation kenntlich: Hinter Laus Unverständnis schneidet Bevers Dutschkes Rede von den "bürokratischen Charaktermasken", die sich alle ähnelten, gleich, wer sie nun gerade trage. So bleibt es dem Zuschauer überlassen, was er von wem zu halten hat.

Überhaupt sind die Bilder und die Töne in diesem Film schön in Einklang und Unterschied gebracht, bereits in der ersten Runde - noch bevor sich alle brav mit Namen, Geburtsjahr, Beruf und Vater vorstellen -, schneidet Bevers die Erinnerungen der Heutigen mit den Originalaufnahmen von damals zusammen, auf die Stichworte "Freundlichkeit", "Vietnam" und "Demos" folgen Ausschnitte, die Stimmung transportieren und verdeutlichen, wie schnell diese Jahre als mediale Klischees historisiert wurden. Dass nahezu alle "Erben der Revolte" beruflich mit Publizität und Öffentlichkeit zu tun haben, ist da womöglich kein Zufall.

Uwe Soukup zum Beispiel: Im vergangenen Jahr erschien sein Buch Wie starb Benno Ohnesorg?, ihm ist es weiterhin ein Anliegen, die Rolle des Staates in dieser Angelegenheit zu erhellen. Während Lau die Zeit offenbar vergessen will - selbst deren Bedeutung für die Frauenbewegung weigert sie sich anzuerkennen -, scheint sich Soukup an ihr abzuarbeiten, manchmal ereilt ihn eine gewisse Melancholie. "Man kann sich gar nicht vorstellen, dass die Musik mal etwas Aufrührerisches hatte", sagt er dann, "heute ist Musik das Blödeste, Angepassteste".

Was diese Kinder der 68er einzig eint, sind - neben der vehementen Kritik an den Grünen - ihre Zweifel an einer Verwirklichung der Utopie von einer besseren Welt. Und das ist wohl das zugleich privateste und politischste Erbe, an dem sie zu tragen haben.

Kinder der 68er - Die Erben der Revolte, Arte, Donnerstag, 17. April, 22.50 Uhr. Die Dokumentation ist Teil eines Themenschwerpunkts zu 1968 bei Arte bis Anfang Mai ( www.arte.tv )

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   15 vom 11.04.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

13. April 2008

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