Monopole: Kafka im NetzWenn Märkte versagen, muss die Stunde des Gemeineigentums schlagen - vor allem im EnergiesektorVon Florian Moritz Nahezu täglich meldet die Finanzbranche neue Milliardenverluste. Je größer die Löcher in der Bilanz, desto mehr verwandeln sich Banker in Sozialisten der besonderen Art. Was der Markt nicht richten kann, soll der Staat leisten. Aber bitte nur als Geldgeber, als Rückversicherung der letzten Instanz. Ob sich Regierungen und Zentralbanken auf die Funktion der Melkkuh beschränken lassen, ist im Moment eine offene Frage. Ob wir die überfällige Renaissance einer selbstbewussten, die Märkte an die Kandare nehmenden Politik erleben, ist ungewiss. Die Erkenntnis allerdings, dass eine von allen Schranken befreite Privatwirtschaft wohl kaum der Pfad der Tugend ist, dürfte nicht mehr aus der Welt zu schaffen sein. Dieser neue Zug der Zeit könnte Folgen haben, nicht nur für Fonds und Kreditvergabe. Eine tabulose Diskussion über das richtige Verhältnis zwischen Staat und Markt müssen in Deutschland vor allem die Stromkonzerne fürchten. Ihre Machtbasis, das Stromnetz, ist eigentlich eine öffentliche Angelegenheit, in privater Hand aber ein Hort des Missbrauchs. Vergesellschaftung wäre also die passende Antwort - eine Konsequenz, die nicht nur Verbraucherschützer und die Linkspartei fordern, sondern zunehmend auch Sozialdemokraten und Grüne. Den Anstoß hat der Energieriese E.ON selbst gegeben, als er Ende Februar ankündigte, sein Hochspannungsnetz verkaufen zu wollen, um einer Kartellbuße zu entgehen. Beschlagnahmte Akten enthalten offenbar hinreichend Beweise für Preisabsprachen, mit denen die EU-Wettbewerbskommissarin Nelly Kroes eine Strafzahlung in Milliardenhöhe begründen könnte. An wen aber wird verkauft, wenn es zu einem Deal zwischen Brüssel und E.ON kommt? An Finanzinvestoren? An Heuschrecken? Seitdem dieses Gespenst der schlechtesten aller Eigentumsvarianten den Kreis der Vergesellschaftungsfreunde jeden Tag größer werden lässt, herrscht in den Konzernzentralen und bei der Bundesregierung der argumentative Notstand. Blackouts der Stromversorgung werden im Wochenrhythmus an die Wand gemalt. Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) verkündet, dass die öffentliche Hand für den Betrieb des Stromnetzes “am wenigsten geeignet” sei. Zur Seite stehen ihm “Wirtschaftsexperten”, die privaten Wettbewerb auch dort etablieren wollen, wo er gar nicht möglich ist - in der Netzinfrastruktur, in einem natürlichen Monopol. Ein einziges Netz zu betreiben und auszulasten, ist schlichtweg billiger als ein zweites und drittes aufzubauen. Was bei Autobahnen unmittelbar einsichtig ist, gilt auch für Strom und Gas. Milton Friedman, das Urgestein des Neoliberalismus, stellte 1962 noch vergleichsweise nüchtern fest, dass es drei mögliche Antworten auf natürliche Monopole gebe: Man könne erstens einen privaten Monopolisten gewähren lassen, zweitens den entsprechende Bereich staatlich betreiben, und drittens sich dafür entscheiden, ein privates Monopol staatlich zu kontrollieren. Bei einer Regulierung kann dem privaten Monopolisten beispielsweise vorgeschrieben werden, welchen Preis er für seine Leistung verlangen darf. Der marktradikale Friedman wollte damals keinem der drei “Übel”, wie er es nannte, den Vorzug geben. Für seine heutigen Jünger scheint dagegen nichts abwegiger als ein Unternehmen in Gemeineigentum. Regulieren oder nicht regulieren - das ist für die meisten Ökonomen die einzige Frage. Die Skeptiker warnen, bei zu strikter Regulierung gehe jeder Anreiz für Investitionen in die Infrastruktur verloren. Das behaupten auch die Netzbetreiber. Die großen Stromkonzerne wollen selbst festlegen, zu welchen Bedingungen ein Ökostromproduzent ihre Netze benutzt. Ein ähnliches Interesse hat die Deutsche Telekom, die auch gern unterbinden möchte, dass die Konkurrenz einfach auf ihre Netze zugreifen darf. Und die Bundesregierung hat ihr mit der Neufassung des Telekommunikationsgesetzes sogar Recht gegeben. Die neuen Glasfasernetze der Telekom sind keiner Regulierung unterworfen. “Nationale Champions” zu schaffen, die mit ihren Monopolgewinnen global expandieren und andere Unternehmen aufkaufen können, ist offenbar das übergeordnete Anliegen der Bundesregierung. Nach E.ONs Verkaufsankündigung forderten führende Koalitionspolitiker folgerichtig, auch im Strombereich weniger zu regulieren und die zulässige Netzrendite zu erhöhen. Auf der anderen Seite stehen die Verfechter einer scharfen Regulierung, die vor überhöhten Monopolpreisen und Marktmacht warnen. Dazu gehört neben den Konkurrenten der Energiekonzerne und der Telekom auch die EU-Kommission. Sie hat sich in den vergangenen Jahren zur obersten Hüterin des radikalen Wettbewerbs entwickelt. Mal fordert sie die Zerschlagung der Strom- und Gasunternehmen, mal die Abschaffung der “Lex Telekom”. Das entsprechende Regelwerk wird dabei immer detaillierter. So hat die Kommission kürzlich einen neuen Rechtsrahmen für die Telekommunikation vorgelegt - insgesamt 700 Seiten an Verordnungen und Richtlinien. Das grandiose Werk erinnert an einen Roman von Franz Kafka: Um einen Markt zu simulieren, den es nicht geben kann, an den aber dennoch allzu viele unentwegt glauben, werden immer mehr undurchsichtige Gesetze geschaffen und Behörden aus dem Boden gestampft. Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung hatte bereits 2006 errechnen lassen, dass seit der Privatisierung und Liberalisierung drei Mal so viele Gesetze mit vier Mal so vielen Paragrafen den deutschen Telekom-Sektor regeln als noch zu Zeiten der Deutschen Bundespost. An der Tatsache, dass die Netze natürliche Monopole sind, werden die ausgefeiltesten Gesetze nichts ändern. Private Strom- und Gasmonopolisten werden auch künftig kein Interesse an fairen Energiepreisen und einem Netzausbau für erneuerbare Energien haben. Gemeineigentum ist die einzige sinnvolle und - früher oder später - auch mehrheitsfähige Alternative.
Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 14 vom 04.04.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Veröffentlicht amArtikel ausdrucken |
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