Kleinarbeit und Aufbruch - die siebziger JahreDie Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland von 1945 - 1982 (Teil IV der Serie)
Uli Jäger/Michael Schmid
(Kurzfassung) Die ehemaligen Teilnehmer der "Kampagne für Demokratie und Abrüstung" und der übrigen Außerparlamentarischen Opposition wandten sich Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre vielfältigen neuen oppositionellen Ansätzen zu: Teilweise wollten sie die SPD umkrempeln, andere traten in die eben entstandene DKP ein oder gründeten neue Parteien und Organisationen (K-Gruppen, Sozialistisches Büro); eine Reihe von Dritte-Welt-Gruppen entstand, die sich vor allem dem Problem der Abhängigkeit und Unterentwicklung annahmen; eine Frauenbewegung bildete sich, in der sich Frauen ihrer spezifischen Emanzipationsfrage zuwandten; wiederum ein anderer Teil der ehemaligen APO - wenn auch nur ein kleiner - wollte die gesellschaftlichen Widersprüche der BRD mit der Waffe in der Hand lösen. Viele Ostermarschierer hatten erkannt, dass sich hinter den Problemen Rüstung und Abrüstung die Frage nach der Veränderung der kapitalistischen Gesellschaft verbarg. Für viele war wirklicher Friede nur im Sozialismus möglich. Deshalb suchten sie nach neuen Ansätzen für ihr Engagement. Trotz dieser Abkehr von großen Teilen der außerparlamentarischen Opposition gab es in den siebziger Jahren doch noch Interesse an der antimilitaristischen Arbeit. Das wird vor allem an dem sehr zahlreichen Angebot antimilitaristischer und pazifistischer Zeitschriften deutlich. Friedenspädagogische Einrichtungen haben versucht, die Ergebnisse der Friedensforschung, die sich nun als eigenständige wissenschaftliche Disziplin durchsetzte, in praktische Friedensarbeit umzusetzen. Dies geschah zu einem großen Teil durch Erstellen von Publikationen und Medien, wie Ton-Bild-Serien oder Ausstellungen. So wurde zum Beispiel die 1975 von der "Arbeitsgemeinschaft Friedenspädagogik e.V." erstellte Wanderausstellung "Es ist so schön, Soldat zu sein …" von nahezu 200.000 Besuchern gesehen. Eine Organisation, in der sich viele engagierte Antimilitaristen zusammenfanden, ist die traditionsreiche "Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner" (DFG-VK). Die DFG-VK ist aus einer ersten Fusion der "Deutschen Friedensgesellschaft" mit der "Internationale der Kriegsdienstgegner" (IdK) im Jahre 1968 und einer weiteren Fusion mit dem "Verband der Kriegsdienstverweigerer" (VK) im Jahre 1974 hervorgegangen. Sie spielt mit ihren zahlreichen Ortsgruppen vor allem in der Beratung der Kriegsdienstverweigerer eine bedeutende Rolle. Weiter gab es im kirchlichen Bereich - vor allem im evangelischen - zahlreiche Gruppen, die sich mit dem Thema "Frieden" beschäftigten. "Ohne Rüstung leben" und "Christen für die Abrüstung" - beide in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre entstanden - sind inzwischen wichtige Pfeiler der neuen Friedensbewegung geworden. Das breiteste Feld, in dem sich Menschen in diesem Jahrzehnt mit Fragen von Militarismus, Rüstung, Abrüstung und Frieden konfrontiert sahen, ist sicherlich die Kriegsdienstverweigerung. Wenn man hier die Zahlen der Kriegsdienstverweigerer mit denen aus früheren Jahren vergleicht, muss man von einem wahren Boom in den siebziger Jahren sprechen, dem sich die Kreiswehrersatzämter gegenüber sahen. Innerhalb von sechs Jahren verdoppelte sich die Zahl der Antragsteller von 19.363 auf 40.618. Ab 1976 nahmen jedes Jahr einige zehntausend Menschen an den Demonstrationen und Kundgebungen des "Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit" (KOFAZ) teil. Eine phantasievollere Aktion in der Nachfolge der Ostermärsche war die "Abrüstungsstaffette", die der baden-württembergische Landesverband der DFG-VK vom 24. April bis 29. Mai 1976 veranstaltete und an der sich 30 Ortsgruppen und Arbeitskreise beteiligten. Dabei kamen zu den 142 öffentlichen Veranstaltungen etwa 12.000 Personen. Nicht vergessen werden dürfen in der Vielzahl der Aktivitäten vor Ort die Jugendgruppen und Jugendverbände. Durch ihre kontinuierliche Auseinandersetzung mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit, Unterentwicklung oder auch mit der Notwendigkeit eines alternativen Lebensstils wurde eine Sensibilität gefördert, so dass Ende der siebziger Jahre die Rüstungsproblematik als Bedrohung allen Lebens immer stärker ins Blickfeld geriet. Zahlreiche Jugendverbände griffen das Thema Frieden (jetzt unter einem antimilitaristischen Aspekt) auf und machten es zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit. Mit der Ökologiebewegung entstand eine relativ breite Bewegung in einem ganz anderen Bereich. Die zahlreichen Bürgerinitiativen richteten sich gegen den Bau von Kernkraftwerken, gegen die Erweiterung des Straßennetzes, gegen die zunehmende Umweltverschmutzung und andere gesellschaftliche Missstände. Ein erster Höhepunkt, der bald zu einem Symbol der Widerstandsaktionen von Bürgerinitiativen wurde, waren die Aktionen gegen den Bau des Kernkraftwerkes Wyhl. Dort begannen sich Menschen gegen eine unmittelbar in ihrer Umgebung entstandene Gefahr zu wehren. Der anfänglichen Forderung "Kein KKW in Wyhl" folgte bald ein "Kein KKW in Wyhl und auch nicht anderswo". Viele Menschen, die hier zum ersten Mal in ihrem Leben auf derartige Weise Widerstand leisteten, wurden angeregt, über wirtschaftliche und politische Zusammenhänge nachzudenken. Der Widerstand der Kaiserstuhlbauern blieb keine Ausnahme. Ihre Wirkung hatten sicher auch verschiedene wissenschaftliche Studien wie "Die Grenzen des Wachstums" sowie die Ölkrise von 1973. Vielen Menschen wurde eine "Zäsur" deutlich, zwischen dem, was bis dahin machbar erschien und den Grenzen, die nun sichtbar wurden. Ein Wertewandel, der sich dann Anfang der achtziger Jahre noch viel deutlicher zeigen sollte, begann sich zu entwickeln. Hinzu kam noch der Widerspruch zwischen dem angeblich laufend steigenden Wohlstand durch ziel- und zügelloses Wirtschaftswachstum und der faktischen Verschlechterung der Lebensqualität. Diese Faktoren waren Grund genug, um viele Menschen gegen die weitere industrielle Expansion zu mobilisieren. So konnte die Ökologiebewegung eine recht breite Basis in der Bevölkerung gewinnen und eine effektive Organisationsstruktur aufbauen. Weitere Mobilisierungseffekte für die Ökologiebewegung bestanden darin, dass diese Bewegung nicht nur gegen, sondern auch für etwas eintrat: Es wurden vielfältige gesamtgesellschaftliche Alternativen entwickelt; die Sonne wurde zum Symbol und steht dafür, dass es sich um eine Lebensbewegung handelt. Insgesamt gelang der Ökologiebewegung in den siebziger Jahren etwas, was der Friedensbewegung verwehrt blieb: die Mobilisierung vieler Menschen für ihr Anliegen. Viele Menschen fühlten sich durch ökologische Veränderungen in ihrem Nahbereich direkt betroffen. Diese Betroffenheit eröffnete die Möglichkeit eines Politisierungsprozesses für viele. Eine Reihe von Antimilitaristen und Pazifisten erkannten, dass im Ökologiebereich eine breitere Mobilisierungschance bestand als im antimilitaristischen. Sie begaben sich deshalb mit ihrem Engagement verstärkt in die Ökologiebewegung, in der Hoffnung, in einer späteren Phase auch eine Querverbindung zwischen Ökologiebewegung und Antimilitarismus herstellen zu können. Diese Bestrebungen fanden dann im Herbst 1979 mit dem Kongress "Ökologie und Frieden", zu dem die Vorstände des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) und der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK) gemeinsam aufgerufen hatten, erstmals einen deutlichen öffentlichen Ausdruck.
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