Die Risiken einer atomaren WeltVon Wolfgang Kötter Im Genfer Palast der Nationen tagt seit 28.04.2008 der Vorbereitungsausschuss für die nächste Überprüfungskonferenz zum Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag. In der traditionsreichen “Assembly Hall” werden die 189 Mitgliedstaaten unter Vorsitz von Volodymyr Yelchenko aus der Ukraine zwei Wochen lang neben organisatorischen Dingen auch die Abrüstung von Nuklearwaffen und die friedliche Verwendung der Atomenergie diskutieren. Der Vertrag erlaubt zwar, die Kernenergie zivil zu nutzen, aber gerade die Stromerzeugung durch Atomkraftwerke ist ambivalent. Gewöhnlich begründen die Staaten ihre neuerliche Hinwendung zur Kernkraft mit Energienöten sowie den begrenzten Erdöl- und Gasvorkommen, auch das Umweltargument wird zuweilen bemüht. Aber das sind nicht die einzigen und zuweilen vielleicht auch nicht die wirklichen Gründe. Urananreicherung und Wiederaufbereitung abgebrannter Plutoniumbrennstäbe können sowohl für friedliche als auch für militärische Zwecke genutzt werden. Von der Beherrschung der Nukleartechnologie und der Verfügung über den vollständigen nuklearen Brennstoffkreislauf bis zum Bau eines Atomsprengsatzes ist es nur ein kleiner Schritt. Die KDVRKDVR (Koreanische Demokratische Volksrepublik) = Nordkorea hat es demonstriert, der Iran wird verdächtigt und weitere Staaten könnten folgen. Angesichts der gegenwärtigen Militarisierung der internationalen Beziehungen, in deren Folge immer öfter militärische Gewalt angedroht und auch angewendet wird, scheint so manche Regierung unter staatlicher Souveränität “nukleare Souveränität” zu verstehen und den ursprünglichen Verzicht auf Atomwaffen neu zu überdenken. In Japan entbrannte beispielsweise nach dem Atomwaffentest Nordkoreas im vergangenen Herbst eine lebhafte Debatte über eine japanische “Nuklearoption”. Brasiliens Viersternegeneral Jose Benedito de Barros Moreira verlangt unverblümt, das Land müsse die technologische Kapazität für eine atomare Rüstung schaffen. Aber auch wenn die Forderung nicht ausdrücklich erhoben wird, scheint die friedliche Kernenergienutzung zunächst ein willkommener Deckmantel zu sein, um sich spätere Optionen offen zu halten. Die Aufforderungen der Arabischen Liga und des Golfkooperationsrates, beschleunigt die Kernkraft zu nutzen, werten die Wissenschaftler Sammy Salama und Heidi Weber vom Monterey Institute for International Studies denn auch als “Appell an die arabischen Regierungen durch nukleare Energieprogramme die Fähigkeit zu entwickeln, um zukünftig Atomwaffen herzustellen”. Darauf reagiert Israel seinerseits mit großer Nervosität. Gegenüber dem Atomprogramm des Iran behält sich Jerusalem beharrlich einen präventiven Militärschlag vor. Auch der Luftangriff auf die angebliche syrische Reaktor-Baustelle al-Kibar bei Dir as-Saur im vergangenen September zeigt das gleiche Verhaltensmuster, nach dem israelische Kampfjets 1981 den irakischen Kernreaktor Osirak zerbombten. Das ohnehin löchrige Regime der nuklearen Nichtverbreitung wird durch solche Entwicklungen weiter unterminiert und der Atomwaffensperrvertrag vollends zur Makulatur. Nicht zuletzt die etablierten Nuklearwaffenmächte tragen daran durch ihre atomare Aufrüstung erhebliche Schuld. Vier ehemalige Spitzenpolitiker der USA - die Außenminister Henry Kissinger und George Shultz, Verteidigungsminister William Perry und Senator Sam Nunn - haben aus ihrer eigenen Verantwortung für das Wettrüsten die Lehren gezogen und wiederholt zur Schaffung einer Welt ohne Atomwaffen aufgerufen: “Die immer schnellere Verbreitung von Atomwaffen, nuklearem Know-how und Nuklearmaterial hat uns zu einem atomaren Wendepunkt geführt”, warnen die Autoren. “Wir stehen vor der sehr realen Möglichkeit, dass die tödlichsten Waffen, die jemals erfunden wurden, in gefährliche Hände fallen könnten.” Die Schritte, die unternommen werden, um dieser Bedrohung zu begegnen, halten sie für nicht adäquat, denn: “Durch die breitere Verfügbarkeit von Atomwaffen verliert die Abschreckung zunehmend an Effektivität und wird zudem selbst immer riskanter.” Auch die Friedensforscher David Krieger und Stanley K. Sheinbaum sind davon überzeugt: “Im Endeffekt machen Nuklearwaffen uns nicht sicherer … Was sollen wir tun?” Zuallererst müssten die USA und Russland die Nukleargefahren reduzieren, empfehlen sie, und dann gemeinsam mit den anderen Atomwaffenstaaten alle Kernwaffen beseitigen. Jede Wahrheit, so meint Krieger mit Bezug auf Arthur Schopenhauer durchlaufe drei Stufen - erst erscheine sie lächerlich, dann werde sie bekämpft, schließlich sei sie selbstverständlich: “Die Wahrheit, dass, wenn wir als Menschheit eine Zukunft haben wollen, die USA auf dem Weg zur Beseitigung der Atomwaffen führen müssen, ist oft lächerlich gemacht und gewaltsam bekämpft worden.” Die heutige Wahrheit aber lautet unausweichlich nukleare Abrüstung. Nach dem Desaster der gescheiterten Überprüfungskonferenz vor drei Jahren erhalten die Kernwaffenstaaten nun eine vielleicht letzte Chance, sie zu akzeptieren und den Nichtverbreitungsvertrag doch noch zu retten. Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Mohamed El-Baradei, besitzt dafür konkrete Vorstellungen: Eine kooperative weltpolitische Sicherheitsstruktur und radikale nukleare Abrüstung, wasserdichte internationale Kontrollen sowie ausschließlich multilaterale Anreicherung und Wiederaufbereitung - das sollen die drei tragenden Säulen eines wiedererweckten Nichtverbreitungsregimes werden. Ob die Staaten sich aber zu einer solchen Kehrtwende in ihrer internationalen Politik bereit finden werden, muss bezweifelt werden. Nukleare Rüstungswettläufe in Krisenregionen aber wären nicht nur für die betroffenen Länder, sondern für die gesamte Welt selbstmörderisch.
Quellen: Arms Control Association, Bulletin of the Atomic Scientists
Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Zusammenfassung der Hauptbestimmungen) Artikel I Die Kernwaffenstaaten verpflichtet sich, Kernwaffen an niemanden weiterzugeben und Nichtkernwaffenstaaten weder zu unterstützen noch zu ermutigen, Kernwaffen herzustellen oder zu erwerben. Artikel II Die Nichtkernwaffenstaat verpflichtet sich, Kernwaffen nicht herzustellen oder zu erwerben. Artikel III Kontrolle durch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) auf der Grundlage individueller Abkommen. Artikel IV Recht auf Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke. Verpflichtung zum Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie. Artikel V Recht auf überirdische friedliche Kernexplosionen (obsolet, da aus Umweltgründen keine mehr durchgeführt werden). Artikel VI Verpflichtung zu Verhandlungen über Beendigung des nuklearen Wettrüstens, nukleare Abrüstung sowie allgemeine und vollständige Abrüstung unter internationaler Kontrolle. Artikel VII Recht zur Bildung kernwaffenfreier Zonen. Artikel VIII Bestimmungen für Vertragsänderungen. Artikel IX Unterzeichnungs- und Ratifikationsbestimmungen. Artikel X Bei Gefährdung der höchsten Landesinteressen Recht auf Rücktritt nach dreimonatiger Kündigungsfrist.
Sicherungsmaßnahmen (Safeguards) der IAEA Das Überprüfungssystem zum NVV basiert auf nationalen Deklarationen und internationaler Verifikation der nuklearen Brennstoffkreisläufe. Die Regierungen schließen mit der IAEA Abkommen ab, in denen sie sich zur Offenlegung ihrer kerntechnischen Materialien und Tätigkeiten verpflichten. Die IAEA setzt dann analytische Methoden, Umgebungsüberwachung, Satellitenbilder und Inspektionen vor Ort ein, um zu überprüfen, ob die Deklarationen korrekt und vollständig sind. Die periodisch erfolgten Inspektionen in Kernkraftwerken, nuklearen Forschungsanlagen und medizinischen Einrichtungen sollen die Übereinstimmung der gemeldeten mit den tatsächlich vorhandenen Mengen radioaktiven Materials attestieren und damit einer illegalen Abzweigung für den Bau von Atomwaffen vorbeugen. Die Kontrollen dienen zur Vertrauensbildung in das vertragskonforme Verhalten der Mitgliedstaaten bzw. als Frühwarnanlage bei entdeckten Unregelmäßigkeiten. Das IAEA-Sicherungssystem wird seit 1997 durch ein freiwilliges Zusatzprotokoll verstärkt. Das Protokoll verpflichtet die Staaten, der IAEA umfassendere Informationen zu allen Bereichen ihrer Tätigkeiten in Bezug auf den nuklearen Brennstoffkreislauf zu liefern. Den internationalen Inspektoren werden weitgehende Zugangsrechte und die Nutzungsmöglichkeiten modernster Kontrolltechnologien einschließlich stationärer Kameras, Strahlungsdetektoren und der Entnahme von Umweltproben gewährt. Sie sind berechtigt, unverzüglich und unangemeldet jeden Ort und jede Anlage möglicher Nuklearaktivität oder Lagerstätten von Kernmaterial wie auch alle Elemente des nuklearen Brennstoffkreislaufs zu untersuchen. Bisher wurden 237 Sicherungsabkommen mit 152 Staaten abgeschlossen, das Zusatzprotokoll ist für 86 Staaten in Kraft.
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