Aus Gottes Frieden für gerechten Frieden - Ja und? (I)Ein Blick von außen auf die neue Friedensdenkschrift der EKDVon Albert Fuchs Hilfreiche Hinweise und Kommentare zu Vorläuferversionen des vorliegenden Diskussionsbeitrags habe ich von Peter Bürger, Jan Gildemeister, Wolfgang Sternstein und insbesondere von Ulrich Frey und Rainer Stiehl erhalten. (Teil I des Artikels) Download als PDF-Datei (164 KB)
Im Vorwort der im Oktober 2007 unter dem Titel "Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen" veröffentlichten neuen Friedensdenkschrift der EKD führt der Ratsvorsitzende, Bischof Wolfgang Huber, aus, nach dem 11. Sept. 2001 hätten sich die Stimmen gemehrt "die von der EKD einen neuen grundlegenden Beitrag zur friedensethischen und friedenspolitischen Orientierung erwarteten" (a.a.O., S. 8). Nach Bischof Hubers Verständnis soll in einer solchen Denkschrift "nach Möglichkeit ein auf christlicher Verantwortung beruhender, sorgfältig geprüfter und stellvertretend für die ganze Gesellschaft formulierter Konsens zum Ausdruck kommen" (ebd.). Daher sei "von großer Tragweite", dass der vorliegende Text von der Kammer für Öffentliche Verantwortung und vom Rat der EKD einstimmig verabschiedet werden konnte. In der Tat werden auch Zeitgenossen, die einschlägigen kirchlichen Verlautbarungen eher skeptisch gegenüber stehen, bei einem ersten Durchgang den Eindruck gewinnen, dass die rund 120 Seiten umfassende, politisch hoch relevante Schrift eine ernsthafte Auseinandersetzung verdient. Ähnlich wie den deutschen katholischen Bischöfen mit ihrem "Wort zum Frieden" (2000) geht es der Kammer für Öffentliche Verantwortung und dem Rat der EKD erklärtermaßen darum, das Denken auf möglichen Krieg hin und in Kriegskategorien durch ein Denken auf (gerechten) Frieden hin zu ersetzen. Andererseits drängt sich bereits mit dem Religion und Politik verbindenden Titel die Frage auf, worin eigentlich der friedenspolitische "Mehrwert" dieses Ansatzes bestehen soll oder bestehen könnte. Auch lässt Hubers Anspruch, einen Konsens "stellvertretend für die ganze Gesellschaft" präsentieren zu können, erwarten, dass der Text Ausblendungen und Lücken, Brüche und Inkonsistenzen und wohl auch manchen Scheinkonsens beinhaltet. Im Folgenden steht eine Auseinandersetzung mit der Denkschrift aus einer dezidiert militärgewalt-kritischen Perspektive im Vordergrund. Manche Anregung dazu verdanke ich P. Bürgers (2006) grundlegender Problematisierung der "Staatstreue" der Kirchen in der Friedensfrage und T. Nauerths (2007) kritischem Kommentar zur Rezeption der "responsibility to protect"-Idee durch den Ökumenischen Rat der Kirchen (2006). Ich folge jedoch dem Aufbau der Denkschrift, greife allerdings vor oder zurück, wenn das angezeigt erscheint. Die Denkschrift umfasst nach einer Einleitung, die bereits das Leitbild des gerechten Friedens hervorhebt und die aktuelle friedenspolitische Situation sehr allgemein skizziert, vier Teile oder Kapitel mit entsprechenden Unterkapiteln: "Friedensgefährdungen", "Friedensbeitrag der Christen und der Kirche", "Gerechter Friede durch Recht" und "Politische Friedensaufgaben". In einem kurzen Schlusskapitel werden Grundsätze und Maximen prägnant zusammengefasst. Der Text ist in 197 fortlaufend nummerierte Paragraphen oder Absätze gegliedert. Textbezüge und -zitationen werden im Folgenden durch die entsprechenden Ziffern ohne weitere bibliographische Angaben belegt. "Friedensgefährdungen"Im ersten Kapitel der Denkschrift versuchen die Autoren und AutorinnenFür Personenkategorien wird im Weiteren nur die männliche Form verwandt; weibliche Angehörige der jeweiligen Kategorie sind selbstverständlich stets mitgemeint, die aktuelle friedenspolitische Lage umfassend, differenziert und nüchtern zu beschreiben. Im Einzelnen werden thematisiert: globale sozioökonomische Probleme (inkl. Klimawandel) (Ziff. 10-15), Staatsversagen und Zerfall von politischen Gemeinschaften (16-20), Waffengewalt (21-29), kulturelle und religiöse Gefährdungsfaktoren (30-31) und schließlich die Schwächung des multilateralistischen Ansatzes in der Außenpolitik (32-35). Man war augenscheinlich bemüht, alle wesentlichen Friedensgefährdungen in den Blick zu bekommen. Warum aber bspw. bei "18 Millionen Menschen", die jährlich "an Hunger oder seinen unmittelbaren Folgen" sterben (11) von "Friedensgefährdungen" - von etwas eher Potenziellem - die Rede ist, ist nicht ersichtlich. Wer erwartet, das im Titel der Denkschrift und vor allem im zweiten Teil so prominente Konzept des gerechten Friedens werde bereits hier systematisch eingeführt und ex negativo entfaltet, wird enttäuscht. Eigentlich geht es um mehr oder weniger direkte Gefährdungen der Abwesenheit von Krieg, von manifester militärischer Gewalt, und zwar augenscheinlich vornehmlich für die "Erste Welt". Doch auch diesbezüglich sind einige Defizite zu vermerken. Erstens: Die Darlegung bleibt deskriptiv, gleichsam an der Oberfläche. Im Besonderen wird der zentrale Zusammenhang zwischen Weltwirtschaftsordnung, gesellschaftlichen und politischen Dominanzstrukturen, Militarisierung und kriegerischer Gewalt nicht einmal grob skizziert. "Friedensgefährdende" Auswirkungen der wirtschaftsliberalen Globalisierung werden nur angedeutet bzw. durch ein Einerseits-Andererseits verharmlost. Wenn bspw. konstatiert wird, "an den positiven Auswirkungen der Globalisierung" hätten "die ärmsten Länder und ihre Bevölkerung viel zu geringen Anteil" (11), wird zumindest im gleichen Maße, wie die Veranstaltung kritisiert wird, eine grundsätzlich positive Sicht vermittelt. Ähnliches gilt, wenn "der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds, der Welthandelsorganisation usw." die Fähigkeit zugeschrieben wird, "die Globalisierung einem menschwürdigen Leben aller Erdenbewohner dienstbar zu machen", und man im nächsten Satz feststellt, "dass Schwierigkeiten durch die vorrangig auf Liberalisierung, Deregulierung und Anpassung an westliche Wirtschaftsformen ausgerichteten Maßnahmen und Konditionen häufig eher noch vergrößert wurden" (15). Den herrschenden "ökonomischen Krieg" lässt dieses Einerseits-Andererseits verschleiert. Eingehend setzt sich U. Duchrow (2008) aus globalisierungskritischer Sicht mit der Denkschrift auseinander. Hier sei nur ergänzt, dass auch die feministische Perspektive erst später bestenfalls in einem "Spurenelement" zu finden ist - mit erhobenem Zeigefinger in Richtung der islamischen Welt! (44) Zweitens: Die Dramatik der Entwicklung kommt nicht in den Blick. Zwar bildet die Epochenwende von 1989/90 den Bezugspunkt. Die rasante politische und mediale Enttabuisierung von Militär und Krieg - hierzulande bekanntlich spätestens von der rot-grünen Bundesregierung und i.B. von Kanzler Schröder programmatisch gefordert und betrieben - wird jedoch nicht deutlich. Ebenso wenig die Dynamik von Rüstung und Rüstungswirtschaft. Oder die Dramatik der Renuklearisierung der Sicherheitspolitik auf qualitativ neuem Niveau (vgl. Franceschini, 2008). Drittens: "Ross und Reiter werden nicht genannt" (Schorlemmer, 2007) - zumindest nicht hinreichend deutlich. Irgendwie bleibt es bei einer globalen Lagebeschreibung. Die bundesdeutsche militär- und sicherheitspolitische Gemeinde wird allenfalls einschlussweise adressiert. Kein kritischer Satz z.B. zu der systematischen Entwertung der friedenspolitischen Bestimmungen des Grundgesetzes und des grundgesetzlichen Verteidigungskonzepts bzw. über die verfassungsrechtliche Problematik der Umwandlung der Bundeswehr in eine Interventionsarmee (vgl. Fischer-Lescano, 2003; Boos, 2005). Zu den nicht zuletzt auf deutscher Seite immer offener propagierten a-moralischen Zielvorstellungen für die militärische "Machtprojektion" wird lediglich beiläufig festgestellt: "Auch die zunehmende Entschlossenheit einiger westlicher Länder, eigene Interessen mit Gewalt durchzusetzen, führt zu einer Beschädigung des westlichen Ansehens" (23). Wohlgemerkt: Als eigentliches Problem gilt der Image-Schaden! Unbeeindruckt von der tatsächlichen Entwicklung scheint man auch die NATO und insbesondere die EU als "Friedensmächte" zu begreifen (s. unten). Probleme diesbezüglich sind vielleicht mitgemeint, wenn von "Doppelstandards des Westens" die Rede ist (27) oder davon, dass der "Krieg gegen den Terrorismus" die Gefahr mit sich gebracht habe, "dass auch demokratische Staaten und ihre Organe… rechtsstaatliche Prinzipien verletzen" (25). Doch auch hier: Es gibt lediglich eine entsprechende "Gefahr"! Viertens: Gravierende Friedensgefährdungen werden erst später in der Denkschrift überhaupt oder ausführlicher thematisiert. So wird in punkto Globalisierung erst im dritten Kapitel bezweifelt, dass man "die bestehenden globalen Handelsbeziehungen und Produktionsverhältnisse… als ein Kooperationssystem der Weltbürger zum wechselseitigen Vorteil" beschreiben könne; vielmehr sei "die gegenwärtige globale Lage als ein Kontext der Ungerechtigkeit" zu begreifen (92). Probleme mit der neuen "Rolle und Aufgabe der Bundeswehr" kommen erst im vierten Kapitel und auch dort eher behutsam zur Sprache (148-156). Ebenso wird die Problematik der Rüstungswirtschaft erst in diesem Kapitel eingehender behandelt, gleichfalls recht zurückhaltend (158; 165; 191). Das gilt i.B. für die seit Jahren regelmäßig von den Kirchen selbst dokumentierten Skandale der (deutschen) Rüstungsexporte (158-160; 165). Ähnliches ist zum Thema Privatisierung von militärischer Gewalt zu sagen (167-168). Fünftens: Selbstkritik schließlich ist nur andeutungsweise oder mit Bezug auf die Vergangenheit zu finden. So wird erfreulich klar festgestellt, "für keine der großen Weltreligionen" bestehe "ein notwendiger oder gar unvermeidlicher Zusammenhang zwischen Religion und Gewalt" (31). Andererseits wird anerkannt, häufig trage "die Verbindung kultureller und religiöser Faktoren mit anderen, machtpolitischen, sozialen und religiösen Anliegen zum Ausbruch von Gewalt oder zur Eskalation von (bewaffneten) Konflikten bei". Die Verstrickung des Christentums in kriegerische Gewalt aber wird zu "den traurigen Aspekten der Christentumsgeschichte" (31) abgelegt, d.h. als vergangenes Problem gesehen, nicht als aktuelles reflektiert. Die Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen christlichen Fundamentalismus (im folgenden Kapitel) beschränkt sich darauf, "nachdrücklich (daran) zu erinnern", dass die evangelische Kirche "in reformatorischer Tradition… für die klare Unterscheidung von staatlicher Rechtsgemeinschaft und religiöser Glaubensgemeinschaft" eintritt (44). Von einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der weltbrandgefährlichen Selbsterfüllungsdynamik apokalyptischer Strömungen des (US-amerikanischen) Fundamentalismus kaum eine Spur; mag sein, dass die späteren exegetischen Anmerkungen zu den "apokalyptische(n) Texte(n) des Neuen Testaments" (43) auch als an diese Adresse gerichtet zu lesen sind. Ähnliches gilt für die Wiederbelebung der ursprünglich (von Aurelius Augustinus und Thomas von Aquin) theologisch begründeten bellum iustum-Lehre. Sie gilt im Zusammenhang der Erörterungen zur "rechtserhaltenden Gewalt" zwar als "aufgehoben"; insbesondere wird die Idee zurückgewiesen, ein Krieg als solcher könne gerecht sein (102). Der klassische Kriterienkatalog wird jedoch im Grunde unbesehen übernommen (ebd.; s. unten). Weder wird sein Stellenwert im Hinblick auf das "Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten" des Schlusskapitels (194) erläutert, noch wird das kriegspropagandistische Potenzial gerade auch der bellum iustum-Kriteriologie (vgl. Lakoff, 1991; Schildmann, 2002) problematisiert. "Friedensbeitrag der Christen und Kirchen"Den einleitenden Bemerkungen zufolge soll dieses Kapitel den biblisch-theologisch begründeten Beitrag der Christen und Kirchen zum Frieden entfalten. Darunter fallen: Vergegenwärtigung und Bezeugung von "Gottes Frieden" (Ziff. 37-49), Bildung und Erziehung für den Frieden (50-55), Gewissensschutz und -beratung (56-66), Arbeit für Frieden und Versöhnung (67-72) und Denken vom gerechten Frieden her (73-84). Bischof Hubers eingangs erwähnter Anspruch, einen friedensethischen und -politischen Konsens "stellvertretend für die ganze Gesellschaft" zu bieten, dürfte besonders beim ersten dieser Unterkapitel uneinlösbar sein. Fragen und Zweifel drängen sich aber auch darüber hinaus auf. Erstens: Kaum vorstellbar, dass kirchen- und theologieferne "Christenmenschen", Angehörige nicht-christlicher religiöser Traditionen, agnostisch gestimmte Zeitgenossen oder gar Atheisten viel mit dem hier vorherrschenden biblisch-religiösen Sprachspiel anfangen können. Die Zurückführung der menschlichen Gewalt auf ein mythisches Drama genannt "Sündenfall" (38) dürfte sie befremden. Und ebenso mögen ihnen die zugesprochene grundsätzliche Befreiung von der Gewaltverstrickung durch ein mythologisch "verstandenes" historisches Geschehen - durch den "Kreuzestod Jesu als endgültigen und unwiderruflichen Friedensschluss Gottes mit der gesamten Schöpfung" (67) - und durch die in Aussicht gestellte, abermals mythische "Vollendung der Welt in Gerechtigkeit und Frieden" (51) als Pseudolösung eines vertrackten Problems der condition humaine erscheinen. Irgendwie gewinnt man den Eindruck, dass in diesem Grenzbereich menschlichen Erkennens und menschlicher Fähigkeit und Kraft noch immer mit einem Lückenbüßer-Gott bzw. mit einem deus ex machina operiert wird. Mag sein, dass jemandem, der oder die sich nicht auf das herkömmliche religiöse Sprachspiel einlassen kann oder will, die "spirituelle Tiefenschicht" (78) des christlichen Friedens-Engagements entgeht. Aber liegt dessen "Mehrwert" in der hier wohl angesprochenen "Innerlichkeit"? Die Autoren der Denkschrift haben nicht einmal versucht, die biblische Friedensbotschaft einer nichtreligiösen Interpretation zuzuführen - einer Interpretation "etsi deus non daretur", wie es bereits D. Bonhoeffer für "ganz zur Welt Gehörige" gefordert hat (zit. nach Bethge, 2006, S. 140). Der Verzicht auf einen solchen Versuch ist umso erstaunlicher, als das "Hirtenwort" der katholischen Bischöfe (2000) mit seiner unverkennbar von René Girards Kulturtheorie inspirierten Exegese der biblischen Friedenstheologie durchaus als ein solcher Versuch gelesen werden kann. Zwar findet man auch in der EKD-Denkschrift diese Perspektive angedeutet, aber eher verloren in herkömmlichem religiösem Vokabular (67). Sollte das "eindrucksvolle Plädoyer für das Ethos der Gewaltfreiheit" als Bestimmungsmerkmal der Kirche, von dem der Theologe H.-R. Reuter, selbst Mitglied der EKD-Kammer für Öffentliche Verantwortung, mit Bezug auf die Rezeption der Girardschen Perspektive durch die Bischöfe spricht (Reuter, 2007, S. 9), der Mehrheit der Mitglieder der Kammer bzw. des Rates der EKD nicht ganz geheuer sein? Zweitens: Die Auseinandersetzung mit dem "ambivalenten Verhältnis von Religion und Gewalt" in der biblischen Tradition (41), insbesondere mit den gewaltförmigen Komponenten des biblischen Gottesbildes und mit der "theologischen Überhöhung des Krieges" (42 u. 43) ist erfreulich explizit und entschieden, trägt aber stark apologetische Züge. So wird i.B. behauptet, "einzelne biblische Motive und Traditionen" würden "aus dem Gesamtzusammenhang der großen jüdisch-christlichen Erzählung… herausgenommen und zur Legitimation von Gewaltanwendung im Namen Gottes missbraucht" (41). Einen Schutz "vor solchen Missgriffen" biete "nur eine durch die historische Kritik hindurchgegangene und hermeneutisch reflektierte Aneignung des lebensdienlichen Sinns, des Heils-Sinns der biblischen Schriften" (ebd.). Ob sich Christentums- bzw. Monotheismus-Kritiker, die vorwiegend bei der fraglichen Problematik ansetzen, von solchen Darlegungen beeindrucken lassen, sei dahingestellt. Interessanter im Sinne von Bonhoeffers programmatischer Forderung einer nichtreligiösen Interpretation erscheint die - Girards Konzeption nahe kommende - Idee eines das Gottesbild einbeziehenden kollektiven Lernprozesses (41). Was die Frage des Kriteriums bzw. Kriterienensembles für den "Lernerfolg" betrifft, so läuft abermals alles auf das Ethos der Gewaltfreiheit hinaus (ebd. u. 60). Drittens: Merkwürdig mutet vor diesem Hintergrund an, wie im gleichen Abschnitt der "Schutz von Recht und Leben durch den Gebrauch von Gegengewalt" - "in einer nach wie vor friedlosen, unerlösten Welt" - theologisch zu begründen versucht wird, und vor allem, dass darin "Militärdienst" gleich eingeschlossen wird (60). Die "Begründung" besteht in einem Verweis auf die Verse 13,1-7 des Römerbriefs. Das eigentlich kritische Pauluswort Röm 13,4 -, dass die obrigkeitliche Gewalt nicht umsonst das Schwert trage - bezieht sich im Kontext jedoch auf die staatliche Ordnungsfunktion nach innen. Ein vergleichbarer exegetischer "Schnitzer" würde wohl das Aus für jede Seminararbeit bedeuten. Darüber hinaus liegt die Frage nahe, ob nicht auch hier ein einzelnes biblisches Motiv "aus dem Gesamtzusammenhang der großen jüdisch-christlichen Erzählung… herausgenommen und zur Legitimation von Gewaltanwendung missbraucht" wird (41). Den Vordenkern der EKD mag sich der Sinn dieser Frage kaum erschließen. Ihr Glaube an die Gewalt - an die "böse" wie an die "gute" und sich wechselseitig bedingend - wirkt "fest verdrahtet" mit ihrem philosophisch-theologischen Menschenbild, mit ihrem Verständnis der "Verfassung der menschlichen Natur" und der "Sünde" als bleibende "Macht über Einzelne und über Kollektive, ja sogar über die ganze Schöpfung" (38). Dass es sich um eine kulturelle Obsession handeln könnte, die als fatale sich selbst erfüllende Prophezeiung wirkt, dieser Gedanke scheint ihnen völlig fern zu liegen. Mit der Einführung der "guten Gegengewalt" kommt jedenfalls eine starke Spannung in die besagte "Erzählung". Diese Spannung wird nicht als solche thematisiert und noch viel weniger aufgearbeitet. Der Herausforderung der sog. (historischen) Friedenskirchen stellt man sich nicht. Die Verdammungen frühreformatorischer pazifistischer Strömungen seitens der schon bald staatstragenden Kirchen der Reformation - i.B. mit Artikel 16 des Augsburger Bekenntnisses - werden nicht angesprochen, geschweige denn revidiert. Kammer und Rat der EKD müssen aber mit diesem obsoleten Artikel befasst gewesen sein. Man nimmt Bezug auf ihn, um sein "iure bellare" fraglos affirmativ als "Erlaubnis zur Beteiligung an rechtmäßiger Kriegführung als Konsequenz christlicher Weltverantwortung" zu erläutern (100). Viertens: Damit tritt ein gravierender weiterer Widerspruch zutage. Wiederholt wird betont, "dem Gewissen des Einzelnen" komme "eine zentrale Betonung für die christliche Lehre und das christliche Leben und damit für die ethische Verantwortung und Urteilsbildung zu" - und "seit jeher" gelte das "in besonderer Weise für die Frage der Beteiligung am Militärdienst" (56). Dementsprechend wird das "Recht auf Kriegsdienstverweigerung" als "aus der allgemeinen Gewissensfreiheit" folgendes "Menschen- und Grundrecht" bestätigt - und das auch im Hinblick auf die "Heranziehung zu militärischer Ausbildung" und nicht beschränkt "auf die Position des prinzipiellen Pazifismus", sondern "die situationsbezogene Kriegsdienstverweigerung" umfassend (62). Allen Soldaten wird - in Übereinstimmung mit dem Urteil des 2. Wehrdienstsenats des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juni 2005 - "unabhängig von ihrem Dienstgrad ein durch Artikel 4 Absatz 1 GG grundrechtlich geschütztes Verweigerungsrecht" zuerkannt, "das nicht gegen die von den Streitkräften definierten Anforderungen abgewogen werden" dürfe (65). Nun gilt aber (im Anschluss an Kant) die Verallgemeinerung über alle Urteilende in vergleichbarer Situation - ohne Rücksicht auf Interessen und Wünsche - als Bestimmungsmerkmal ethischer Normen und Maximen. Das besagt: Gewissensbestimmte Kriegsdienstverweigerer "lehren" durch ihre Verweigerung als solche, es gebe kein "iure bellare", kein rechtfertigungsfähiges Kriegführen, und "militare" (Kriegsdienst) sei "unchristlich". Dementsprechend wird für die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer hierzulande verlangt, (eventuelle) Tötungshandlungen anderer für ebenso verwerflich zu halten wie eigene, das Verhalten anderer also nicht als fremde Gewissensentscheidung aus der eigenen Bewertung auszuklammern (vgl. Landgericht Frankfurt, 1989/90). Somit bestätigen Kammer und Rat der EKD im Hinblick auf die (gewissensbestimmte) Kriegsdienstverweigerung den Pazifismus, dem sie durch Festhalten an (der fraglichen Komponente von) Art. 16 des Augsburger Bekenntnisses anscheinend widersprechen. Wahrscheinlich kann man einem solchen Selbstwiderspruch nur entgehen, wenn man entweder (in diesem Punkt) einem ethischen Agnostizismus anhängt oder aber die eine oder die andere Option als Ausfluss eines "irrenden Gewissens" betrachtet. Fünftens: Bei nochmals genauerem Hinsehen stellt sich freilich heraus, dass auch die Aussagen zum persönlichen Gewalt- und Waffenverzicht und zur Verweigerung des Militärdienstes in sich keineswegs klar und eindeutig sind. So wird der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen "ein Vorrang auch gegenüber demokratisch legitimierten Maßnahmen militärischer Friedenssicherung oder internationaler Rechtsdurchsetzung" zugesprochen (62) und dementsprechend wird der Militärdienst als "staatsbürgerliche Pflicht" qualifiziert, "die dem Menschenrecht auf Gewissensfreiheit ethisch nicht gleichrangig ist" (64). Andererseits wird betont, "beide Wege, nicht nur der Waffenverzicht, sondern ebenso der Militärdienst" setzten "im Gewissen und voreinander verantwortete Entscheidungen voraus" (60). Offensichtlich changieren diese Gegenüberstellungen von Kriegsdienstverweigerung und Militärdienst zwischen wenigstens drei Ebenen: zwischen der Ebene "objektiver" Rechte und Pflichten, der Ebene der Wahrnehmung bzw. Erfüllung dieser Rechte und Pflichten und der Ebene der persönlichen Gewissens-Entscheidung als Grundlage der jeweiligen Handlungsweise. So ist schwer auszumachen, wie denn nun die Rangstellung sein soll. Hätte man sich dagegen z.B. auf die Ebene der (Rechte und) Pflichten konzentriert, hätte wohl klar und eindeutig gesagt werden müssen, dass die Verpflichtung zur Befolgung des Tötungsverbots Vorrang vor jeder staatsbürgerlichen Verpflichtung zur Tötungsbereitschaft gegenüber Artgenossen hat. Mit der Rede von "im Gewissen und voreinander verantworteten Entscheidungen" (60) scheint man im Übrigen an den Komplementaritätsgedanken aus Zeiten (der Rechtfertigung) des Abschreckungsregimes anzuschließen, an die Rede vom "Friedensdienst mit und ohne Waffen" beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Hannover 1967 (vgl. Frey, 2006). Der Anspruch des Staates auf Zwangsdienst militärischen Charakters wird nicht hinterfragt. Als "legitim" gilt, "wenn der Staat eine alternative Dienstpflicht vorsieht oder freiwillige zivile Friedensdienste als Äquivalent anerkennt" (62). Mit dieser Zustimmung zu einer Ersatz-Zwangsverpflichtung wird das Verständnis des Kriegsdienstverweigerungsrechts als originäres Menschenrecht, das einem einfach zusteht, weil man als Mensch geboren ist, bestritten. Auch kennt die Denkschrift keinerlei Befremden darüber, dass der Staat von Kriegsdienstverweigerern i.d.R. Rechenschaftslegung für ihre Gewissensentscheidung verlangt, nicht aber von Militärdienstleistenden - obwohl doch diese das zivilisatorische Tötungstabu zu brechen bereit sind. "Totalverweigerung" ist für die EKD-Gremien so wenig ein Thema wie Ziviler Ungehorsam allgemein. Nicht einmal zu der einst vom Bund der Evangelischen Kirchen der DDR vertretenen Ansicht, die Verweigerung des Militärdienstes sei das "deutlichere Zeugnis" für das "Evangelium des Friedens", konnte man sich durchringen. Im Zusammenhang der Erläuterung des Selbstverständnisses der evangelischen Militärseelsorge (auch) "als Gruppenseelsorge, die sich bei ihrer Verantwortung für die Bundeswehr vom Gedanken der kritischen Solidarität leiten lässt" (66), fragt man sich aus Anlass der vorausgehend erwähnten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts darüber hinaus, wie ernst das Votum auch für "situationsbezogene Kriegsdienstverweigerung" gemeint ist, ob sich die proklamierte "kritische Solidarität" nicht in Kammerdienerei erschöpft. Denn bisher hat sich bspw. die kirchliche Militärseelsorge den militärministeriellen Bestrebungen, das fragliche Urteil zugunsten der situationsbezogenen (partiellen) Kriegsdienstverweigerung zu unterlaufen, in keiner Weise öffentlich wahrnehmbar widersetzt. Sechstens: Während die Denkschrift, wo es wie bei der Kriegsdienstverweigerung um "widerständige" politisch-praktische Friedensbeiträge geht, widersprüchlich, uneindeutig und lückenhaft bleibt, spricht sie sich über "konstruktive" kirchliche Beiträge und entsprechende religiöse oder bildungsbezogene Ansätze und Aktivitäten durchweg eindeutig positiv aus. An 50 bis 60 Stellen wird zivile (konstruktive, gewaltfreie) Konfliktbearbeitung bzw. ziviler (Entwicklungs- und) Friedensdienst befürwortet. Diese Vorzugsbehandlung kann man als Konsequenz des bereits in der Friedensdenkschrift von 1981 formulierten Grundsatzes verstehen, in der Zielrichtung christlicher Ethik liege stets der Frieden, niemals der Krieg, und man kann das mit Bischof Huber als besonderen "Beitrag zu der vom Ökumenischen Rat der Kirchen ausgerufenen Dekade zu Überwindung der Gewalt" würdigen (Vorwort, S. 9). Inkonsequent erscheint vor diesem Hintergrund allerdings, dass das Thema Kriegsdienstverweigerung kaum mit den "konstruktiven" Beiträgen verbunden wird - etwa in der Weise, dass für den Zivildienst und sonstige Alternativdienste zumindest eine Grundausbildung in ziviler Konfliktbearbeitung gefordert bzw. (im Rahmen der kircheneigenen Möglichkeiten) organisiert würde. Ferner orientieren sich die Autoren augenscheinlich an einem groben Dreiphasenschema des Konfliktverlaufs - nämlich: krisenhafte Entwicklung => gewaltförmige/kriegerische Konfliktaustragung => Konflikttransformation - und ordnen den gewaltfreien Ansatz, i.S. von Präventionsmaßnahmen und von Versöhnungs- und Wiederherstellungsarbeit, vor allem der ersten und dritten Phase zu (i.B. 174). Im Hinblick auf die "heiße" Phase scheint man eher an "rechtserhaltende Gewalt" zu denken - zumindest bei "lebensbedrohlichem schwerem Unrecht" (115). Diese Zuordnung mag bisheriger Praxis gewaltfreier Konfliktbearbeitung weitgehend gerecht werden. Doch abgesehen davon, dass sich die drei idealtypischen Konfliktzustände in jedem ausgedehnten Konfliktfeld i.d.R. überlappen, wird damit auch die spätere Befürwortung einer "situationsangemessenen Kooperation" von militärischen und zivilen Kräften (146, s. unten) scheinbar sachgerecht vorbereitet. Der Gedanke gewaltfreier Intervention auch in "heiße" Konflikte ist dem Text fremd. Gandhis Shanti-Sena-Konzept und davon inspirierte Initiativen werden nicht zur Kenntnis genommen oder nicht für diskussionswürdig gehalten. In Anbetracht der anerkannt unauflösbaren ethischen Problematik militärischen Friedenschaffens (38 u. 103), des offensichtlichen Scheiterns entsprechender, i.B. auch zeitgenössischer Versuche sowie der immensen Ungleichverteilung der Ressourcen zugunsten des militärischen Ansatzes ist diese Abstinenz sehr bedauerlich. Wahrscheinlich denkt man über das Potenzial aktiver Gewaltfreiheit zu sehr aus der Perspektive der zivilen Konfliktintervention "von außen" nach, seitens westlicher (christlicher, kirchlicher) "Gutmenschen", zu wenig aus der Sicht der Konfliktaustragung durch originäre Konfliktparteien. Dementsprechend kommen die einschlägigen Ausführungen mit einem Anflug von Befriedungs-Philosophie daher. Die Perspektive des "gewaltfreien Aufstands" (Ebert, 1981), der "dosierten", gewaltfreien Konflikteskalation mit dem Ziel der Überwindung von aktueller und struktureller Gewalt, zur Annäherung an einen gerechten Frieden, wird nicht vermittelt. Siebtens: Der "Friedensbeitrag der Christen und Kirchen" im Wege religiöser Vollzüge und kirchlicher Erziehungs- und Bildungsbemühungen wird in der Denkschrift ebenfalls sehr positiv gesehen. Dass viele prominente Friedensaktivisten Kraft und Inspiration aus ihrer religiösen Verankerung schöpf(t)en, ist kaum zu bezweifeln. Es soll auch nicht bestritten werden, dass Friedensgebete und -gottesdienste politisch wirksame Bekundungen eines kollektiven Friedenswillens sein können. Wenn aber dargelegt wird, Gebet, Gottesdienst und Gemeindebezug als solche führten zur "Sorge für den Frieden in der Welt", wirkten "gegen das Vergessen und Verdrängen", stärkten "das Bewusstsein menschlicher Solidarität über alle Grenzen hinweg" und trügen "zu einem Abbau von Feindbildern bei" (40), dürfte eher ein Idealbild gezeichnet als relevante Einstellungen und Verhaltensweisen von Gottesdienstbesuchern und aktiven Kirchenmitgliedern beschrieben werden bzw. scheint man den programmatischen Sinn und Zweck der betreffenden Veranstaltungen und ihre Wirkungen zu verwechseln. Man muss auch fragen, ob das Bestehen auf "klare(n) Grenzziehungen bei Gottesdiensten und Gebeten" in diesem Zusammenhang (49) - vorgeblich "wegen der Unterschiede im Gottesverständnis und schon aus Gründen der Achtung anderer religiöser Überzeugungen" (ebd.) - nicht kontraproduktiv ist. Die Ausführungen über kirchliche Bildungs- und Erziehungsbemühungen legen ebenfalls zu bedenken nahe: Aus der Tatsache, dass sie "als ganzheitliches Geschehen der Persönlichkeitsbildung gemeint" sind, "daher wesentlich ‘Herzensbildung’ und… auch die Bildung und Erziehung zum Frieden" einschließen (50), folgt ja noch nicht, dass diese Bildungsziele auch erreicht werden. In diesem gesamten Kontext wäre eine prägnante Auseinandersetzung mit der empirisch gut bestätigten positiven Beziehung von (orthodoxer christlicher) Religiosität und militaristischen Einstellungen angezeigt gewesen (vgl. Zwingmann et al.., 1994). Achtens: Bei der Erörterung des dritten Kapitels kann das Denken "vom gerechten Frieden her" nicht unkommentiert bleiben. Der Begriff "gerechter Friede" wurde erstmals mit dem "Hirtenwort" der deutschen Bischöfe aus dem Jahr 2000 zur Betitelung eines kirchlichen Schreibens zur christlichen Friedenslehre herangezogen. Den Autoren der Denkschrift zufolge gilt die betreffende Idee jedoch spätestens seit der Ökumenischen Versammlung der Kirchen von 1988 in der DDR "als Leitperspektive einer christlichen Friedensethik". Sie sei von der EKD zwar auch aufgegriffen, "bislang allerdings nicht systematisch entfaltet" worden (73). Zu Recht wird auf die biblische Verankerung hingewiesen. Besonderheiten des biblischen Friedensverständnisses wurden bereits vor einigen Jahrzehnten auch im Kulturvergleich herausgearbeitet (vgl. Ishida, 1969). Des ungeachtet sind auch Anleihen bei der säkularen Friedensforschung deutlich zu erkennen. Vor allem J. Galtungs Unterscheidung von "negativem" und "positivem" Frieden - verstanden als Abwesenheit von direkter (kriegerischer) Gewalt und als Abwesenheit von struktureller Gewalt, d.h. als Überwindung von Not und Ausbeutung, von Unterdrückung und von Entfremdung - sowie Galtungs Taxonomie menschlicher Grundbedürfnisse scheinen Pate gestanden zu haben (vgl. Galtung, 1975; 1985). Berücksichtigt man die in der Denkschrift als "Dimensionen des gerechten Friedens" herausgearbeiteten Aspekte "Schutz vor Gewalt", "Abbau von Not", "Förderung von Freiheit", und "Förderung von kultureller Vielfalt" (80- 84), wird jedoch deutlich, dass der hier verwandte Begriff des gerechten Friedens Galtungs negativen und positiven Frieden umfasst. Andererseits ist unter Bezugnahme auf biblische Propheten mit stark (moralisch) bewertendem Unterton von "wahrem" und "falschem" Frieden die Rede und wird jener eben als "Werk der Gerechtigkeit" qualifiziert (76). Diese begrifflich-terminologische Unklarheit und das unvermittelte Oszillieren zwischen analytischem und normativem Sprachgebrauch sind etwas verwirrend. Vor allem wird die unterschiedliche Fundierung der besagten Dimensionen in der menschlichen Bedürfnisausstattung verwischt - und damit ihre daraus folgende unterschiedliche friedensethische Relevanz. Das hat u.U. fatale Folgen, besonders im Hinblick auf die Frage "friedenschaffender" oder, wie die Denkschrift zu sagen vorzieht, "rechtserhaltender" Gewalt. Aurelius Augustinus und Thomas von Aquin sahen in (der Teilnahme an) einem "gerechten Krieg" eine Form der Nächstenliebe. In der Tat gehören im (keineswegs nur theologischen) abendländischen Denken "gerechter Frieden und gerechter Krieg … zusammen wie Körper und Schatten" (Furth, 1987, S. 162). Der damit bereitstehenden Krieg-für-Frieden-Falle ist wohl, wenn man schon die pazifistische Position nur beiläufig der Erwähnung wert findet (99), eher zu entkommen, wenn bereits die Analyse eine Grundlage dafür liefert, die (eventuelle) Ausübung von tödlicher Gewalt auf die unmittelbare Schutzfunktion, auf die Sicherung des Überlebens, zu beschränken (vgl. Ökumenischer Rat der Kirchen, 2006). Mit dem Verzicht auf Galtungs Differenzierung bleibt diese Falle aufgestellt. Zwar wird betont: "Die Mittel zum Frieden müssen bereits durch den Zweck qualifiziert, die Methoden müssen dem Ziel angemessen sein." (76) Implikationen dieser Anleihe bei Gandhi (Stichwort: Mittel-Ziel-Kongruenz) werden allerdings weder hier noch im folgenden Kapitel näher erörtert. "Gerechter Friede durch Recht"Das dritte Kapitel reflektiert Fragen der rechtlichen Fundierung einer dauerhaften, an der Vorstellung des gerechten Friedens orientierten Friedensordnung. Dazu werden Anforderungen an eine globale Friedensordnung als Rechtsordnung entwickelt (Ziff. 86-97), Prinzipien einer (nach Meinung der Autoren) dazugehörigen Ethik "rechtserhaltender Gewalt" skizziert (98-103) und Grenzen militärischen Gewaltgebrauchs aufgezeigt (104-123). Das Kapitel stellt einen bemerkenswerten Versuch dar, die Annahme, dass (militärische) Gewalt (wieder) geeignet und ethisch vertretbar oder gar geboten sein kann, um Unrecht und Gewalt Einhalt zu gebieten, in Einklang zu bringen mit der Pflicht, den Krieg zu überwinden. Dazu wird das Kantische Paradigma des "Friedens durch Recht" ergänzt um die der bellum iustum-Lehre entstammenden Kriterien für die Ausübung "rechtserhaltender Gewalt". Die Gedankenführung wirkt beeindruckend schlüssig - solange man wiederum nicht genauer hinschaut. Erstens: So wird erklärt, nur "eine kooperativ verfasste Ordnung ohne Weltregierung" liege "in der Zielperspektive eines gerechten Friedens" (87). In diesem Rahmen sei auch das zwischenstaatliche Sicherheitsdilemma, "das Problem globaler Friedenssicherung… legitim lösbar durch ein System kollektiver Sicherheit, wie es in der UN-Charta vorgezeichnet" sei. Denn ein solches, "nicht wie ein Verteidigungsbündnis gegen potenzielle Angreifer von außen, sondern auf Binneneffekte" angelegtes System liege "im gleichen Interesse aller Beteiligten", sei "nicht ausschließlich auf militärische Mittel fixiert", sondern schließe "vorrangig zivile Mechanismen der Krisenprävention und Konfliktbearbeitung ein", und beschränke "sich auf die Garantie der äußeren Bedingungen" der Verwirklichung eines gerechten Friedens (88). Leider geben die Autoren fast keinen Hinweis, wie diese ideale, "kooperativ verfasste Ordnung" vom herrschenden quasi-anarchischen Verhältnis der Staaten zueinander aus erreicht werden soll - zumal dieser Zustand mit immensen Macht- und entsprechenden sozioökonomischen Privilegierungsasymmetrien einhergeht (vgl. 92). Die Hoffnung, insbesondere "internationale Organisationen und Regelwerke" trügen "durch verstärkte Politikkoordination und Verrechtlichung der Beziehungen zu nachhaltiger Inderdependenz zwischen den Staaten" und damit zur Etablierung der besagten Ordnung bei (87), kann sich nur sehr bedingt auf die reale Entwicklung seit der Epochenwende stützen. Das deutsche Bundesverfassungsgericht kompromittiert das für den gesamten Ansatz zentrale Konzept der kollektiven Sicherheit, indem es seit 1994 in kontinuierlicher Rechtsprechung ein erklärtes Militärbündnis, die NATO, zu einem System kollektiver Sicherheit befördert - ohne dass das der Denkschrift auch nur eine Fußnote wert ist. Zweitens: Mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit wird aus dem Postulat, Recht sei "auf Durchsetzbarkeit angelegt", nicht nur gefolgert, "in der Perspektive einer auf Recht gegründeten Friedensordnung" seien "Grenzsituationen nicht auszuschließen, in denen sich die Frage nach einem (wenn nicht gebotenen, so doch zumindest) erlaubten Gewaltgebrauch und den ethischen Kriterien dafür" stelle (98). Im Weiteren wird auch grundsätzlich unterstellt, dass diese Frage "in Grenzsituationen" eben positiv zu beantworten ist. Dann wird allerdings in Anlehnung an die bellum iustum-Lehre ein "zumindest erlaubter Gewaltgebrauch" u.a. wesentlich von einer "Aussicht auf Erfolg" abhängig gesehen (102). Damit wird die zunächst begriffslogische Herleitung der Rechtfertigungsfähigkeit eines Rückgriffs auf Gewalt in ungeklärter Weise mit kontingenten Bedingungen verbunden. Demzufolge kann Recht, das nicht einmal mit Gewalt durchsetzbar ist, eigentlich kein Recht sein. Insofern wird nahe gelegt, Recht werde durch Gewalt konstituiert - und der Glaube an das "Recht des Stärkeren" wird gerade dadurch gestützt, dass man "rechtserhaltende Gewalt" dagegen propagiert. Der Kern des Problems dürfte darin liegen, dass der Durchsetzungsanspruch des Rechts nicht vom Durchsetzungsmittel Gewalt unterschieden wird. Ähnliche Fragen zum Rechtsverständnis der Denkschrift gibt Hahn (2008) zu bedenken. Drittens: Die Rede von "rechtserhaltender Gewalt" ist zweifelsohne mit der Konnotation soziale Kontrolle verbunden. Es geht jedoch nicht (primär) darum, eine bestehende Rechtsordnung aufrechtzuerhalten. Da sich "die gegenwärtige globale Lage als ein Kontext der Ungerechtigkeit" darstellt (90), muss vielmehr die Überwindung von kriegerischer Gewalt Hand in Hand gehen mit dem Aufbau von wirtschaftlicher und politischer Gerechtigkeit. Dieser zu einer "globalen Friedenssicherung" komplementäre Prozess findet der Denkschrift zufolge seine "Konkretisierung in den Menschenrechten" (88). Mit den betreffenden Überlegungen werden die Friedensthematik und die Menschenrechtsthematik in systematischerer Weise positiv aufeinander bezogen, als das in der UN-Charta vorgezeichnet ist (vgl. Art. 55c). Das könnte ein Korrektiv dazu sein, dass im Zusammenhang der Debatten zur sog. humanitären Intervention seit den 1990er Jahren immer wieder ein Konkurrenzverhältnis zwischen "negativem" Frieden (sensu Galtung, 1975) und Menschenrechten konstruiert wird. Mit der kommentarlosen Übernahme des Unteilbarkeitspostulats im Hinblick auf die Menschenrechte, das noch kontroverser diskutiert zu werden scheint als das Universalitätspostulat (vgl. Hamm & Nuscheler, 1995), vergibt man die Möglichkeit, vorab eine (Interventions-) Verpflichtungsabstufung entsprechend der Fundamentalität der zu schützenden Rechte zu begründen - und bestärkt damit u.U. den (vorgeblichen) Gegensatz zwischen Frieden und Menschenrechten. Viertens: Auch in diesem Zusammenhang unterbleibt eine Auseinandersetzung mit der "Position des unbedingten Pazifismus". Die Denkschrift von 1981 hatte in Initiativen wie "Ohne Rüstung leben" noch "eine höchst reale Möglichkeit und Chance der Friedenspolitik" gesehen (EKD, 1984, S. 62). Zwar sind auch in dem neuen Papier Zweifel im Hinblick auf "rechtserhaltende Gewalt" zu finden. So etwa wenn konstatiert wird, "jeder Gewaltanwendung - auch derjenigen, die ein Mittel zur Abwehr des Bösen sein" wolle, wohne "eine innere Dynamik auf ihre eigene Potenzierung hin inne" (38, vgl. 150). Auf den Pazifismus bezieht man sich jetzt jedoch nur, um die "vorrangige Option für die Gewaltfreiheit" kontrastiv zu markieren (99). Das besagt i.B: Die grundlegende Frage, ob Töten von Menschen zum Schutz von Menschen nicht ein in sich verwerfliches Mittel ist, wird nicht diskutiert. Weiter bleibt, wie schon erwähnt, unerörtert, wie "rechtserhaltende Gewalt" in Einklang zu bringen sein soll mit der im vorausgehenden Kapitel kommentarlos befürworteten Mittel-Zweck-Kongruenz à la Gandhi (76). Immerhin macht man sich nicht die Augustinische Rationalisierung zu Eigen, wonach es letztlich (nur) auf die gute Gesinnung, auf "wahre" Nächstenliebe, ankommt. Irgendwie setzt die Denkschrift auf eine "sorgfältige Güterabwägung" (103). In der dunklen Rede von dem trotzdem "bleibenden Risiko des Schuldigwerdens" (ebd.) scheinen die unbedachten schwierigen ethischen Fragen in den Text zu drängen. Fünftens: Als Grundlage der Güterabwägung sollen die "moralischen Prüfkriterien" dienen, "die in den bellum iustum-Lehren enthalten waren" (102). Im Vertrauen offensichtlich auf ihre Evidenz werden diese Kriterien nicht weiter begründet, sondern nur kurz erläutert (ebd.). Die immensen Operationalisierungsprobleme, die Versuchen zu schaffen machen, diesen Kriterienkatalog zur politisch-moralischen Situationsanalyse zu verwenden, werden nicht reflektiert. Gleichwohl finden diese Probleme auch in der Denkschrift ihren Niederschlag. So etwa - um sie nur für das Kriterium "Erlaubnisgrund" zu verdeutlichen -, wenn vergleichsweise breit über Grenzen des Selbstverteidigungsrechts im Rahmen der Terrorbekämpfung bzw. im Hinblick auf "antizipierte Gefahrenabwehr" diskutiert werden muss (105-107) oder über "aktuelle schwerste Unrechtshandlungen" als Anlass für "Militärinterventionen aus humanitären Gründen" (112) - während die abstrakten Kennzeichnungen dieses Kriteriums doch so plausibel klingen: "schwerste, menschliches Leben und gemeinsam anerkanntes Recht bedrohende Übergriffe" oder "ein evidenter gegenwärtiger Angriff" (102). Die Autoren machen es sich auch einfach im Hinblick auf die Informationsintegration, d.h. im Hinblick auf die eigentliche Urteilsfindung anhand des klassischen Kriterienkatalogs. Dazu wird nur lapidar konstatiert: "Nach herkömmlicher Auffassung der Ethik müssen für den Gebrauch von legitimer Gegengewalt alle diese Kriterien erfüllt sein." (103). Indes hat just der EKD-Vorsitzende in einem Beitrag jüngeren Datums dieses Prinzip als zu restriktiv, als auf einen de facto-Pazifismus hinauslaufend, kritisiert (Huber, 2004). Durch die beliebige Iteration dieses Verfahrens entspreche diese Haltung "extensional" sogar "dem prinzipiellen Pazifismus" (a.a.O., S. 4). Vor dem Hintergrund dieser u.a. Probleme hätte sehr instruktiv sein können - und vielleicht auch heilsam ernüchternd -, wenn die EKD-Repräsentanten versucht hätten, ihre Vorschläge an einem kontroversen zeitgenössischen Beispiel militärischen Gewaltgebrauchs zu testen, etwa an der deutschen Beteiligung am "war on terror" am Hindukusch. Ergebnisse entsprechender empirischer "Tests" finden keine Berücksichtigung (vgl. Fuchs, 1998; Hoppe, 1991; Yoder, 1991). Sechstens: Außer Betracht bleibt ferner ein besonders vertracktes Problem der bellum iustum-Figur: die Frage, wer eigentlich das ausschlaggebende Erkenntnis- und Entscheidungs-Subjekt sein soll. Wenn nämlich für diese Rolle die jeweilige Obrigkeit in Aussicht genommen wird - wie es für Augustinus und Thomas von Aquin selbstverständlich war - verliert das Kriterium der adäquaten Autorisierung seinen Sinn. Der liegt erklärtermaßen darin, dass niemand sich zum Richter in eigener Sache eignet; dass vielmehr "im Namen verallgemeinerungsfähiger Interessen aller potentiell Betroffenen" (102) entschieden werden sollte. Wenn dagegen eigentlich an die jeweiligen Untergebenen als Soldaten (und Kriegssteuer-Zahler) gedacht ist - wie die vielfache Betonung des Vorrangs des Gewissens des einzelnen auch "gegenüber demokratisch legitimierten Maßnahmen militärischer Friedenssicherung oder internationaler Rechtsdurchsetzung" nahe legt (62) -, steht eine zentrale Funktionsbedingung des Militärs in Frage: die Erzwingbarkeit des Gehorsams der Regierten gegenüber dem obrigkeitlichen Ansinnen, sich zum Töten und Sich-töten-Lassen zu verdingen (bzw. Militär- und Kriegssteuer zu zahlen). Bischof Hubers Folgenerwägungen zu der von der Denkschrift befürworteten restriktiven Verwendung der bellum iustum-Kriterien verdeutlichen, wie ernst diese "Gefahr" zu nehmen sein müsste - wenn man denn die eigenen Prinzipien ernst nähme. Siebtens: Damit liegt die Frage nahe, an wen sich die Denkschrift gerade in diesem Zusammenhang überhaupt wendet und wie ernsthaft die Gemeinten adressiert werden. Wenn das restriktive Verfahren der Integration der Einzelurteile zu einem Gesamturteil auf einen de facto-Pazifismus hinausläuft bzw. extensional sogar dem prinzipiellen Pazifismus gleichkommt, werden sich die sicherheitspolitischen Zirkel kaum dafür erwärmen lassen und noch viel weniger die Militärführung. Denn damit würde man selbst die eigene Brauchbarkeit und Daseinsberechtigung als Profession in Frage stellen, zumindest aber seine Betätigungsfelder und Handlungsspielräume erheblich beschränken. Solche Zumutungen dürften die Autoren kaum im Sinn gehabt haben; dazu ist die Denkschrift insgesamt viel zu "staatstragend". Näher mag liegen, dass es hier (abermals) vor allem um die sog. einfachen Soldaten geht. Das aber würde wiederum bedeuten, dass kaum noch jemand im Dienst der "Armee im Einsatz" zu finden sein dürfte (!) ohne ein Register von (situationsbezogenen) Kriegsdienstverweigerungen in seiner Personalakte. Damit aber würde die Funktionsfähigkeit des Militärapparates erst recht untergraben - und ein verlässlicher Einsatz von "rechtserhaltender Gewalt" nahezu unmöglich. Demnach dürfte auch das nicht in der Aussageintention der Denkschrift liegen. Um wen und was geht es aber dann? Man kann sich kaum des Eindrucks erwehren, dass die Implikationen der Vorschläge abermals nicht genau durchdacht wurden. Bleibt wohl (im Effekt) eine diffuse Akzeptanzbeschaffung für "rechtserhaltenden militärischen Gewaltgebrauch": der Eindruck in der Öffentlichkeit, dass es bei entsprechenden Entscheidungen doch recht "vernünftig" zugeht oder wenigstens zugehen kann, da doch eine elaborierte Entscheidungshilfe zur Verfügung steht. Achtens: Die Denkschrift erhebt die bellum iustum-Kriterien zu "allgemeine(n) Kriterien einer Ethik rechtserhaltender Gewalt… - unabhängig vom jeweiligen Anwendungskontext". Sie sollen sich - "ausgehend vom Grundgedanken individueller Notwehr oder Nothilfe - auf das Polizeirecht, die innerstaatliche Ausübung des Widerstandsrechts und einen legitimen Befreiungskampf beziehen" lassen (102). Diese Parallelisierung von zwischenstaatlichen und innerstaatlichen gewaltförmigen Konfliktkonstellationen beinhaltet eine demokratie- und friedenspolitisch hoch problematische Verwischung der Grenzen zwischen militärischen und polizeilichen Maßnahmen bzw. zwischen Militär und Polizei und eine Konfundierung von (kriegs-)ethischen Fragen und von Rechtsfragen i.e.S. Und natürlich beinhaltet das Reden von "rechtserhaltendem militärischem Gewaltgebrauch" bereits diese zweifache Grenzverwischung. Statt zur Eindämmung und zur Verrechtlichung von militärischer Gewalt könnte das aber zur Militarisierung und Entrechtlichung des staatlichen Gewaltgebrauchs nach innen führen. Auf eine entsprechende "Gefahr" haben die Autoren im ersten Kapitel der Denkschrift selbst hingewiesen (25). Viele Beobachter sehen die Waagschale im Zuge des "war on terror" sich längst zur zweiten Seite hin neigen - vor allem wenn bei Polizeieinsätzen im Ausland kein gemeinsamer Rechtsraum von Zivilisten im Einsatzgebiet und dort agierenden "fremden" Polizisten gegeben ist (vgl. Fischer-Lescano, 2004; Harder, 2006; Haydt, 2008).
Fortsetzung: Teil II des Artikels
FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
|