Aus Gottes Frieden für gerechten Frieden - Ja und? (II)Ein Blick von außen auf die neue Friedensdenkschrift der EKDVon Albert Fuchs (Teil II des Artikels) Download als PDF-Datei (164 KB)
“Politische Friedensaufgaben”Vor dem Hintergrund der im ersten Kapitel dargestellten “Friedensgefährdungen” und der friedenstheologischen und -ethischen Ausführungen in Kapitel zwei und drei wendet sich die Denkschrift im vierten Kapitel einzelnen friedenspolitischen Handlungsfeldern zu. Hervorgehoben werden: die Stärkung universaler Institutionen (Ziff. 125-137) und - damit verbunden - die Wahrnehmung von “Europas Friedensverantwortung” (138-156), der Abbau der Waffenpotenziale (157-169) und der Ausbau des Instrumentariums der zivilen Konfliktbearbeitung (170-183) sowie die Notwendigkeit, alle konkreten Schritte und Maßnahmen - im Sinn des Konzepts “menschliche Sicherheit” - an der Würde und den tatsächlichen Lebensbedingungen der Menschen auszurichten (184-193). Die Darlegungen wirken weitgehend so abstrakt und unverbindlich, dass man sich nur schwer vorzustellen vermag, wie sie Wirkung entfalten könnten. Wenn es bspw. um die “Vereinten Nationen als Weltorganisation” geht (125-133) oder um die Verwirklichung “menschlicher Sicherheit und menschlicher Entwicklung” (185-189) ist i.B. ein weiteres Mal unklar, an wen die Ãœberlegungen und Anregungen eigentlich gerichtet sind, bzw. fraglich, ob sich die adressierten Institutionen oder Institutionen-Vertreter überhaupt in der Kommunikations-Reichweite der EKD befinden. Ãœber diese allgemeine Kritik hinaus sind wenigstens drei spezifischere Bedenken angebracht. Erstens: Im Zusammenhang der Erörterungen zu “Europas Friedensverantwortung” werden, wie bereits angedeutet, NATO und EU nahezu fraglos als “Friedensmächte” adressiert. Der neuen NATO wird zwar ins Stammbuch geschrieben, Auffassungsunterschiede “über Rolle, Strategien und konkrete Operationen des Bündnisses” müssten “offener ausgetragen… und nicht der Bündnistreue untergeordnet werden” (140). Die Umwandlung als solche des ehemaligen Verteidigungsbündnisses in eine “Sicherheitsorganisation, die neben der Aufrechterhaltung einer Sicherheitsgarantie für ihre Mitglieder den Stabilitätsraum Europa… ausweitet” und “sich darüber hinaus für Maßnahmen internationaler Krisenbewältigung und Friedenssicherung bereit” hält, wird jedoch völlig kritiklos als Grundlage für “militärisches Friedenschaffen” akzeptiert (ebd.). Die (effektive) Veränderung des NATO-Vertrags im Rücken von Parlamenten und Öffentlichkeit spätestens mit der strategischen Neuorientierung von 1999 (vgl. Presse- und Informationsamt des Bundesregierung, 1999) wird nicht andeutungsweise problematisiert. Vor diesem Hintergrund wirkt der Hinweis, ein Einsatz “außerhalb des Bündnisgebietes (oder gar weltweit) ohne Mandatierung durch die UN” entspreche “nicht den oben genannten Anforderungen an den Einsatz rechtserhaltender militärischer Gewalt” (ebd.), eigenartig “blauäugig”. Noch um einiges affirmativer als zur neuen NATO positioniert sich die Denkschrift zur EU als “Friedensmacht”. Zwar wird gesehen, dass trotz der “epochale(n) Friedensleistung, welche in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Geschicke und Zusammenleben der Staaten in gänzlich andere Bahnen gelenkt hat als bis 1945 … interne regionale Gewaltkonflikte bis heute nicht dauerhaft gelöst” sind und dass “Misstrauen insbesondere im Verhältnis Russlands zur EU … weiterhin überwunden werden” muss (142). “Mit ihren Werten und Institutionen sowie dank gelungener Verrechtlichung und wirksamer Mechanismen der friedlichen Streitschlichtung” gilt die Union jedoch als “Modell für andere Regionen und von unverändert große Anziehungskraft” (ebd.). Dass sie “im Rahmen der ‘Petersberg-Aufgaben’ … auch über Europa hinaus zur Ãœbernahme von humanitären und Rettungseinsätzen sowie zu Operationen der Friedenserhaltung und -erzwingung bereit ist” (143), findet offenbar die ungeteilte Zustimmung von Kammer und Rat der EKD. Die Institutionalisierung einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) bzw. einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) und erste Operationen auf dieser Grundlage werden als besondere Errungenschaften gewürdigt (ebd.). Nicht einmal das Operieren der Europäischen Sicherheitsstrategie von 2003 mit einem “präventiven Gesamtinstrumentarium” (144) ist den Autoren verdächtig. Ebenso wenig die “Kampfverbände … mit kurzer Reaktionszeit für Operationen zur Befriedung von Krisenregionen”. Das EU-Friedensmacht-Gemälde hat einen einzigen Schönheitsfleck: “Bisher vollzieht sich der Prozess der steigenden Verantwortung der EU in der Welt sowohl in militärischer als auch in ziviler Hinsicht wenig transparent für Bürger und unter geringen Mitspracherechten der Parlamente.” (144; vgl. 147). Die nur allzu berechtigte Kritik an der Militarisierung der Union u.a. per Verfassungs- bzw. Reformvertrag wird auf Fehlinterpretationen bzw. auf eine inadäquate Darstellung der EU-Politik zurückgeführt und (wiederum) als PR-Problem behandelt. Man fordert, die EU solle dieser Kritik “durch transparente, glaubwürdige Darlegung ihrer Lagebeurteilung und ihrer friedenspolitisch relevanten Strategien” entgegenwirken (144; vgl. 147) - mitnichten also: sie solle ihre Politik ändern. Kein Satz über die “friedensgefährdende” Migrationsabwehr (Stichwort: Frontex) oder zu den Versuchen der EU, anderen, insbesondere (den) AKP-Staaten ihre zerstörerischen Strukturanpassungsprogramme aufzudrücken (Stichwörter: Afrika-Europa-Gipfel, Freihandelsabkommen). Zweitens: Einen besonders kontroversen Aspekt der Friedensmachtthematik stellt die sog. zivil-militärische Zusammenarbeit dar. Dieser Ausdruck ist zwar nicht in der Denkschrift zu finden, der Sache nach aber steht diese militärstrategische Neuerfindung wiederholt zur Rede. So wird zu den NATO-Einsätzen angemerkt, “immer deutlicher” sei “erkennbar, dass militärischer Einsatz allein nicht Frieden, wirtschaftlichen Aufschwung und demokratisches Zusammenleben bewirkt, dass die Herstellung eines ‘sicheren Umfeldes’ und der Wiederaufbau gleichzeitig und nicht nacheinander zu verwirklichen sind”. Erforderlich sei daher “eine wesentlich engere Zusammenarbeit mit den Internationalen Organisationen, Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen sowie lokalen Kräften” (140). Und für das “Friedenschaffen” der EU wird postuliert: “Zwischen Soldaten und zivilen Kräften kommt es auf situationsangemessene Kooperation an” (146). Andererseits - in partiellem direktem Widerspruch zu diesen Forderungen - wird moniert: “Die Gleichzeitigkeit von Kriegführung und Wiederaufbau … kann den Fortschritt in Entwicklung und Vertrauensbildung beeinträchtigen, besonders wenn erhebliche Verluste der einheimischen Bevölkerung zu beklagen sind.” (150). Wie die geforderte Gleichzeitigzeit der “Herstellung eines ‘sicheren Umfeldes’” und des “Wiederaufbaus” bzw. die “situationsangemessene Kooperation” so realisiert werden könnte, dass Beeinträchtigungen “in Entwicklung und Vertrauensbildung” ausgeschlossen sind, bleibt dahingestellt. Viel verspricht man sich anscheinend von der Erarbeitung eines “friedenspolitischen Gesamtkonzepts”, ohne diesbezüglich jedoch konkreter zu werden (ebd.). Nicht erörtert wird, dass jede zivil-militärische Zusammenarbeit prima facie hoch problematisch sein muss angesichts der grundverschiedenen Handlungslogiken von militärischer und - im emphatischen Sinn - ziviler Konfliktbearbeitung (vgl. Fuchs, 2006) sowie im Hinblick auf den expliziten Anspruch der militärischen Seite auf Unterordnung aller Maßnahmen unter die militärische “Mission” (vgl. NATO, 2002, passim). Vor allem aber bleibt ausgeblendet, dass die westliche Interventionspolitik zumindest durch einen starken Trend gekennzeichnet ist, durch militärisch abgesichertes “nationbuilding” das westliche Staats- und Wirtschaftsmodell zu exportieren. Drittens: Die vielleicht befremdlichsten Ausführungen der ganzen Denkschrift sind im dritten Unterkapitel zum Thema Abbau der Waffenpotenziale zu finden. Gemeint sind die Ausführungen zur Strategie der nuklearen Abschreckung (Ziff. 162-164). Zwar wird geltend gemacht, in der veränderten sicherheits- und friedenspolitischen Lage sei einerseits “trotz der 1995 erfolgten unbegrenzten Verlängerung … mittlerweile eine weitgehende Aushöhlung des Nicht-Verbreitungsregelwerks eingetreten” und könne man andererseits “nicht von vornherein mit einem zu rationalem Kalkül geneigten Gegner rechnen”. Und damit hätten “die Gründe für die Kritik an der Abschreckungsstrategie deutlich an Gewicht gewonnen” (109). Dementsprechend wird abweichend von Nr. VIII der Heidelberger Thesen von 1959 (s. EKD, 1984, S. 86 f.) die Auffassung vertreten: “Aus der Sicht der evangelischen Friedensethik kann die Drohung mit Nuklearwaffen heute nicht mehr als Mittel legitimer Selbstverteidigung betrachtet werden.” (162) Dann aber wird ausführlich dargelegt, weshalb “umstritten” bleibt, “welche politischen und strategischen Folgerungen aus dieser gemeinsam getragenen friedensethischen Einsicht zu ziehen sind” (ebd.). Ein politisches Festhalten an Nuklearwaffen als Teil eines komplexen Kriegsverhütungssystems lässt sich jedoch wohl nur dann widerspruchsfrei mit dem zitierten ethischen Unwerturteil verbinden, wenn sich dieses Urteil “auf eine andere Verwendbarkeit von Nuklearwaffen bezieht als diejenige der herkömmlichen Abschreckungslogik” (Hoppe, 2008, S. 23). Wie es scheint, konnte man sich also nicht einmal über den Urteilsgegenstand adäquat verständigen. Das “umstritten” impliziert im Ãœbrigen zwar gewiss nicht logisch, wohl aber politisch-praktisch, dass es eigentlich nichts zu ändern gibt. Jedenfalls wird davon kein neuer Impuls ausgehen, die Atomwaffen abzuschaffen. Worin der friedenspolitische Wert solcher “gemeinsam getragenen friedensethischen Einsicht” bestehen soll, ist ein Rätsel. Man kann sich kaum des Eindrucks erwehren, dass hier Martin Luthers Rechtfertigungslehre durch die Denkschrift geistert, verkommen zur Doktrin von der “billigen Gnade” (D. Bonhoeffer - zit. n. Bethge, 2006, S. 130). Aller Beschwörung der “christlichen Weltverantwortung” zum Trotz wird in einer für das Weiterbestehen der Menschheit entscheidenden Frage Verantwortungsübernahme verweigert. Resümee und AusblickWer die neue Friedensdenkschrift der EKD nur aus (kirchlichen) Presseverlautbarungen oder vielleicht noch von der Einleitung und dem Schluss her kennt, mag den Eindruck haben, die vorliegende kritische Auseinandersetzung sei mit einem anderen Text befasst. In der Tat gibt es auch in der hier eingenommenen Sicht von außen kaum etwas an (den) Leitgedanken des Schlusskapitels zu bekritteln: “Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten” (194) oder “Wer aus dem Frieden Gottes lebt, tritt für den Frieden in der Welt ein” (195) oder “Gerechter Friede in der globalisierten Welt, setzt den Ausbau der internationalen Rechtsordnung voraus” und die “muss dem Vorrang ziviler Konfliktbearbeitung verpflichtet sein und die Anwendung von Zwangsmitteln an strenge ethische und völkerrechtliche Kriterien binden” (196) oder “Staatliche Sicherheits- und Friedenspolitik muss von den Konzepten der ‘Menschlichen Sicherheit’ und der ‘Menschlichen Entwicklung’ her gedacht werden” (197) usw. - wer wollte solchen im besten Sinn erbaulichen Leitgedanken widersprechen? Es dürfte aber nachvollziehbar geworden sein: Je näher man sich die Denkschrift anschaut, umso fremder schaut sie zurück. Der Kern des Problems scheint darin zu liegen, dass die EKD-Repräsentanten in der Lehre vom gerechten Frieden zentrale Elemente des christlichen Pazifismus und der Denkfigur des gerechten Krieges neu kombinieren. Das geht nicht ohne Abstriche in der einen wie in der anderen Richtung. Vom Pazifismus wird die Vorstellung übernommen, Frieden im umfassenden Sinn vorrangig mit gewaltfreien Mitteln zu fördern und zu erneuern - aber eben nur vorrangig. In der bellum iustum-Tradition steht die Akzeptanz “rechtserhaltenden militärischen Gewaltgebrauchs” als letztes Mittel - unter der Voraussetzung, dass im Vorfeld und Umfeld solcher Gewaltanwendung auch alle übrigen Kriterien des bellum iustum-Katalogs einer strengen Prüfung standhalten. Damit bleibt die Denkschrift dem Augustinschen Programm verhaftet, das biblische Ethos der Gewaltfreiheit, insbesondere den entsprechenden kulturrevolutionären Impuls der Jesusbewegung, mit der römisch-imperialen Gewaltkultur zu versöhnen und ihre politisch-praktische Zusammenarbeit zu begründen. Die fatale Wirkungsgeschichte dieser Programmatik ist hinlänglich bekannt. Nach der Lektüre der Denkschrift mag man rätseln, woraus die protestantischen “Christenmenschen” ihre Zuversicht schöpfen, der abendländische “Großversuch”, zum Zusammenspiel zu bringen, was nicht zusammengehört, könne doch noch einen heilsamen Ausgang nehmen - über die Leichengebirge hinweg und durch die Blutseen hindurch, die seinen Weg markieren. Das Operieren mit dem Konzept des gerechten Friedens als solchem kann kaum die Grundlage dieser Zuversicht sein. Dafür wurde es bereits zu oft kompromittiert (vgl. Furth, 1987) und wird hier vor allem mit der Bindung an “rechtserhaltende Gewalt” im Kern nicht wirklich verwandelt. Einen “Mehrwert” des Einbezugs der christlichen Perspektive in die friedens- und sicherheitspolitische Debatte vermag ich der Denkschrift kaum zu entnehmen. Auf der deklaratorischen Ebene ist der “Vorrang” der Gewaltfreiheit doch längst akzeptiert - von den Apokalyptikern diverser Provenienz einmal abgesehen! So nimmt es nicht wunder, dass ein prominenter Vertreter der neudeutschen Außen- und Sicherheitspolitik, der amtierende Außenminister Frank-Walter Steinmeier, sich postwendend veranlasst sah, die Denkschrift in wohlgesetzten Worten zu würdigen (vgl. Auswärtiges Amt, 2007). Bischof Huber mag in solchen Einlassungen seinen Anspruch bestätigt sehen, einen Konsens “stellvertretend für die ganze Gesellschaft” zu präsentieren. Der Beifall von Inhabern staatlicher oder militärischer Macht aber dürfte kein theologisches Positivkriterium darstellen. Dass man die Friedensdenkschrift im Ãœbrigen auch ganz anders lesen kann, exemplifiziert ein Kommentar im Tagesspiegel vom 25.10.07. “So deutlich ist” der Autorin zufolge “sonst nur noch die Linkspartei”. Die EKD verabschiede sich von der Lehre vom gerechten Krieg und gehe “mit rot-grüner wie rot-schwarzer Sicherheitspolitik hart ins Gericht” usw. Insgesamt sei man “über das Ziel hinausgeschossen” (Keller, 2007; vgl. Leicht, 2008). Eine solche Lesart demonstriert einmal mehr die bekannte Relativität bzw. Positionsabhängigkeit der Beurteilung sozialer Gegebenheiten. Angesichts dieses Phänomens bleibt nur die Empfehlung: Man nehme und lese und bilde sich selbst ein Urteil - über den oberflächlichen und den tieferen Gehalt! Derart gegensätzliche Lesarten dokumentieren allerdings, dass Bischof Hubers Anspruch nicht erfüllt ist. Ein solcher eher “unprotestantischer”, vielleicht einem Papstwort- und “Hirtenwort”-Katholizismus kongenialer Anspruch ist in einer pluralistischen Gesellschaft wohl auch grundsätzlich uneinlösbar. Ein großes Verdienst der Denkschrift könnte gleichwohl darin liegen, endlich die seit der Epochen-Wende überfällige öffentliche Auseinandersetzung um eine konstruktive Friedens- und Sicherheitspolitik anzustoßen. Die Kirchen könnten entsprechend einem Vorschlag von Duchrow (2008) diese Auseinandersetzung als partizipatorischen Konsultationsprozess organisieren. Für eine solche Aufnahme und Weiterführung des vorliegenden Impulses aus der EKD aber müssen letztlich die Rezipienten sorgen. Literatur
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