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Libanon: Wo wird der Wahnsinn enden?

Alle Monster aus den Massengräbern des Bürgerkrieges werden wieder ausgegraben


Von Robert Fisk, 17.05.2008 - Independent.co.uk

Ich bin mir nicht sicher, was diese Woche schlimmer war - im Libanon zu leben oder die Worte George Bushs lesen zu müssen? Immer wieder stellte ich mir die Frage: Haben Worte ihre Bedeutung verloren?

Beginnen wir mit meinem Lunch im Cocteau-Restaurant in Beirut. Das Restaurant ist nach Jean Cocteau benannt und eines der chicsten Orte der Stadt. Auf dem Tisch stehen bombastische Blumen, der Service ist perfekt, das Essen köstlich. Stimmt, nur 20 Yards entfernt - bei Sodeco - gab es am Tag zuvor eine Schießerei. Stimmt, wir machten uns Sorgen, weil die libanesische Regierung praktisch kollabiert war sowie über die Demütigung der Sunniten (und der Saudis), wir sorgten uns angesichts der Gefahr weiterer Straßengefechte und angesichts des Sieges der Hisbollah. Wir mussten zugeben, dass sie gesiegt haben (auch wenn nicht zu erwarten ist, dass George Bush dies begreift). Dann brachte ich im Cocteau eine Kleinigkeit auf den Tisch - ein kleines Massaker in Nordlibanon. 10 bis 12 Milizionäre waren dort gefangen und ermordet worden. Man hatte ihre Körper an die Libanesische Armee übergeben. Ich fürchte, es stimmt, dass sie nach ihrem Tod verstümmelt wurden.

Die elegante Dame zu meiner Linken sagte: “Sie haben es verdient”. Ich erschrak, fühlte mich angewidert, überwältigt, zutiefst traurig. Wie kann sie so etwas sagen? Doch das ist der Libanon. In den letzten Tagen wurden viele Menschen ermordet. Ich habe mitgezählt und komme auf 62 allein in den vergangenen Tagen. Alle Monster der Massengräber des Bürgerkrieges sind wieder ausgegraben.

Ich entschied mich für Escalope du Veau - und fühlte mich elend, weil mir die Entscheidung so leicht fiel. Ich versuchte, meinen lieben libanesischen Freunden - und es sind wirklich alles liebe Freunde - zu erklären, wieviel Zorn mir im Libanon begegnet ist.

Als Abed, mein Fahrer, mich vor drei Tagen in den Norden fuhr, sahen wir in Tripoli die Kugeln von den Mauern spritzen. Ein Zollbeamter an der syrischen Grenze bat mich, bei ihm und seinen Freunden zu bleiben. Sie hatten Angst. Ich blieb. Es geht ihnen gut.

Wenn man die falsche Religion hat, ist dies plötzlich wieder relevant. Es spielt eine Rolle, wer einen fährt oder welche Religion der Vermieter hat - das alles ist plötzlich immens wichtig.

Ich wohne in einem Apartment am Meer. Rund um meine Wohnung öffneten gestern Morgen die Schulen wieder (um das Ende der Story gleich vorwegzunehmen und diese damit zu ruinieren). Ich sah eine Frau im Hijab auf einem Fahrrad die Corniche-Straße hinunterfahren und telefonierte mit meinem Reiseagenten über meine nächste Europareise - Beirut Airport ist wieder offen. Da begriff ich, der Libanon ist “zur Normalität zurückgekehrt”.

Die Straßen waren wieder offen. Die vermummten Gewehrschützen waren verschwunden. Die Regierung hatte ihre Konfrontation mit der Hisbollah abgebrochen. Die finale Signierung ihrer Niederlage: Die Regierung verlangt nicht mehr die Auflösung des geheimen Telekommunikationssystems der Hisbollah und auch nicht mehr die Ablösung des schiitischen Sicherheitschefs des (Beiruter) Flughafens (ich glaube, ich erinnere mich, dass er mir vor einem Jahr eine Flasche Champagner spendierte - ausgerechnet er soll ein Hisbollah-“Agent” sein!). Ich sah in die Zeitung. Was musste ich lesen?

George Bush erklärte in Jerusalem, “Al Kaida, Hisbollah und Hamas werden besiegt werden, denn überall in der Region erkennen Muslime die Hohlheit der Vision der Terroristen und die Ungerechtigkeit ihres Anliegen”.

Wo endet der Wahnsinn, wo verlieren Worte ihre Bedeutung? Die Al Kaida ist nicht besiegt, und die Hisbollah hat gerade in einem Krieg im Libanon einen Heimsieg errungen. Sie siegte auf ganzer Linie - ebenso wie es die Hamas in ihrem Krieg in Gaza tut. Afghanistan, Irak, Libanon und Gaza sind höllische Desaster. Ich brauche mich nicht zu entschuldigen, wenn ich an dieser Stelle erneut auf Churchills Beschreibung Palästinas im Jahre 1948 verweise. Und George Bush, dieser närrische, tumbe, böse Mann - belügt die Welt erneut.

Hinter “verschlossenen Türen” trifft er sich mit Lord Blair of Kut al-Amara (der notorisch unfähig ist, irgendeinen “Frieden” im Nahen Osten zu stiften, weshalb das Treffen wohl hinter “verschlossenen Türen” stattfinden musste), gleichzeitig spricht Bush zu der Welt über die Segnungen der israelischen Demokratie - als ob die Palästinenser etwas von einer Demokratie hätten, die ihnen immer mehr von dem Land nimmt, das sie über Generationen besessen hatten.

Müssen wir dies wirklich akzeptieren? Bush sagte: “Wir erachten es als Quelle der Schande, dass die Vereinten Nationen routinemäßig mehr Menschenrechtsresolutionen gegen die freieste Demokratie im Mittleren Osten verabschieden als gegen jede andere Nation in der Welt”.

In Wirklichkeit ist es eine Quelle der Schande, dass die Vereinigten Staaten den Israelis weiter carte blanche geben, um palästinensisches Land zu stehlen. Aus diesem Grunde sollte es (Washington) als Quelle der Schande erachten, dass die UNO Menschenrechtsresolutionen gegen den einzigen wirklichen US-Verbündeten in der Region verhängt.

Und was richtet Washington in dem Land an, in dem ich lebe, im Libanon? Amerika entsandte einen Top-General zu Gesprächen mit dem Kommandeur der Libanesischen Armee. Dieser amerikanische General signalisierte wohl - so mein zunehmender Verdacht - man habe die Unterstützung für die Libanesische Regierung aufgegeben. Die Amerikaner versprechen mehr Ausrüstung für die Libanesische Armee.

Immer mehr Ausrüstung, immer mehr Gewehre und Kugeln für die Armeen im Nahen/Mittleren Osten - wobei ich wiederholen muss, dass die Libanesische Armee uns diese Woche alle gerettet hat (und ich wiederhole auch, dass ich keine Armeen mag). Deren Oberbefehlshaber, General Michel Sleiman, wird der nächste Präsident des Libanon werden, und die Amerikaner werden ihn unterstützen. Sie werden sich - wie stets - sicher fühlen, weil ein General die Macht hat. Der “Chehabismus” ist zurück, würden die Libanesen sagen.

Ich bin mir in diesem Punkt allerdings nicht sicher. Sleiman kommt gut mit Damaskus zurecht. Und er wird seine Soldaten in keinen proamerikanischen Krieg gegen die Hisbollah schicken. Die Libanesen werden nicht mitmachen bei Bushs verrücktem “Dschihad” gegen den “Weltterror”.

Diese Woche im Nordlibanon gab es einen schönen Moment. (An dieser Stelle möchte ich zudem meinen tapferen Freund Abed hochleben lassen.) An einem Checkpoint sah mich ein libanesischer Soldat in unserem Wagen und sprang auf die Straße.

“Sie sind Mr. Robert!” rief er. “Ich sah Sie im Fernsehen, und ich habe Ihr Buch gelesen!” Er hielt den Daumen hoch. Ich musste diesen Mann einfach gern haben. Ich glaube, er würde für den Libanon kämpfen, aber er würde nicht für die Amerikaner kämpfen.

Robert Fisks neues Buch heißt: ‘The Age of the Warrior: Selected Writings’ (erschienen bei Fourth Estate), eine Auswahl seiner Samstagskolumnen für The Independent.

Quelle: ZNet Deutschland   vom 24.05.2008. Orginalartikel: So just where does the madness end?   Übersetzt von: Andrea Noll

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Veröffentlicht am

25. Mai 2008

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