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Israel/Syrien: Nicht um jeden Preis

Kaum denkbar, dass Präsident al-Assad nur einem Teilabzug von den Golan-Höhen zustimmt


Von Lutz Herden

Wozu sollte es gut sein, das jähe Besinnen auf Verhandlungen in Istanbul, bei denen sich Syrer und Israelis seit Wochenfrist nicht direkt gegenübersitzen, sondern nur über einen türkischen Emissär miteinander reden? Es nützt wenig, wenn die Israelis nicht wirklich entschlossen sind, die Golan-Höhen nach mehr als 40 Jahren Besatzung endlich zurückzugeben, denn keine syrische Regierung kann einen Friedensvertrag unterschreiben, der die israelische Kriegsbeute von 1967 unangetastet lässt. Ebenso gilt, keine israelische Regierung kann derzeit diesen 1.150 Quadratkilometer umfassenden strategischen Höhenzug preisgeben, ohne innenpolitisch einen Taifun auszulösen, der wenig bis nichts von ihr übrig lässt. Ist Ehud Olmert tollkühn? Oder entdeckt er gerade, wie hilfreich das Thema Syrien für einen wie ihn sein kann, der im Korruptionssumpf wieder festen Grund zu finden hofft?

Wäre es dennoch denkbar, dass Syriens Präsident Bashar al-Assad einem bloßen Teilabzug der Israelis vom Golan etwas abgewinnt, sollte der mit angemessenen Sicherheitsgarantieren für sein Land verbunden sein? Im Jahr 2000, als letzte bilaterale Kontakte abbrachen, beharrte die Führung in Jerusalem noch darauf, nur das Terrain bis zu der 1923 von London und Paris deklarierten Grenze zwischen dem einstigen britischen Mandatsgebiet Palästina und der französischen Halbkolonie Syrien zu räumen. In diesem Fall würden die Israelis ein 60 Quadratkilometer großes Territorium behalten, vermutlich ausgestattet mit Vorwarnstationen und Wehrsiedlungen, auch bliebe der See Genezareth als größtes Süßwasserdepot der Region unter ihrer Kontrolle. Im Jahr 2000 beschied das Agrarministerium in Jerusalem: Man beziehe jährlich etwa 300 Millionen Kubikmeter Wasser aus den Reservoiren der Golan-Höhen, vorrangig aus den Banyas-Quellen, die den See Genezareth versorgen - diese 300 Millionen deckten seinerzeit ein Sechstel des nationalen Wasserbedarfs.

Nichts deutet bisher darauf hin, dass die Syrer nun plötzlich, acht Jahre später, solch fragwürdigen Kompromissen folgen könnten, nachdem sie jahrelang US-Sanktionen, der Denunziation als “Schurkenstaat” und anderen Schikanen widerstanden haben. Es sei daran erinnert, dass Präsident Assad Anfang Mai 2003 das zweifelhafte Privileg zuteil wurde, vom damaligen Außenminister Colin Powell aus erster Hand über die “neue strategische Lage” aufgeklärt zu werden, die dank des US-Triumphes über den Irak Saddam Husseins entstanden war. Die Vereinigten Staaten ermahnten Damaskus zu Demut und Wohlverhalten. Jeglicher Beistand für Staaten und Bewegungen im Nahen Osten habe zu unterbleiben, die das Weiße Haus für “terroristisch” halte - das seit dem 11. September 2001 mehr denn je geltende Stigma für all jene, die an militanter Gegnerschaft zu Israel festhalten. Schockiert von diesem ultimativen Verdikt wehrte sich al-Assad mit dem Argument, was man leichthin “Terrorismus” nenne, sei Konsequenz der israelischen Besetzung arabischen Landes, auch der syrischen Golan-Höhen. Gehört wurde er nicht.

Inzwischen kreist die US-Besatzung im Irak um den toten Punkt, woraufhin selbst Arrangements mit dem Todfeind Iran geboten scheinen, so dass vom US-Druck auf Damaskus nicht viel bleibt, wenn der auf Teheran schwankt. Davon abgesehen kann Syrien noch aus einem anderen Grund gelassener agieren als 2003. Innerhalb der libanesischen Exekutive darf die verbündete Hisbollah künftig ein Vetorecht im Namen der schiitischen Mehrheit reklamieren. Sollten die Israelis in einem solchen Moment Verhandlungen einsetzen wollen, um Damaskus den Verzicht auf die libanesische Karte zu empfehlen, müssen sie sehr viel zu bieten haben - genau genommen nicht weniger als den völligen Rückzug vom Golan, wie das seit vier Jahrzehnten die UN-Resolutionen 242 und 338 fordern (was einer deutschen Kanzlerin vor der Knesset jüngst keine Silbe wert war). Kann Ehud Olmert soviel riskieren? Will er 13.000 Golan-Siedler brüskieren, die als gut bewaffneter Außenposten in Israel einen aggressiveren Widerstand auslösen dürften, als das 2005 den von Ariel Sharon zum Abmarsch aus dem Gaza-Streifen genötigten Landsleuten vergönnt war?

Eine solche Zerreißprobe kann sich Olmert schon wegen seiner ultra-orthodoxen Koalitionäre nicht leisten. Er verhandelt trotzdem, um aus der politischen Defensive zu kommen. Ein israelisch-palästinensischer Konsens noch 2008 bleibt wegen der offenen Gaza-Frage so gut wie ausgeschlossen, also gerät Syrien in den Blick. Schließlich könnte es gelingen, eine Bresche in die pragmatische Partnerschaft zwischen Damaskus und Teheran zu schlagen. Und: Scheitert der jetzige Verhandlungsversuch, erleichtert das eine erneute militärische Konfrontation. Die liegt sowieso in der Luft, weil sich im Libanon die innere Kräftebalance so gravierend zugunsten von Hisbollah verschoben hat. Für Israel eine Herausforderung, aber auch eine Folge des im Sommer 2006 gescheiterten Feldzuges, mit dem eigentlich die Partei Hassan Nasrallahs ausgeschaltet werden sollte - ohne dabei Syrien direkt anzugreifen. Im Wiederholungsfall muss das nicht so bleiben. Damit ist auch jene Gratwanderung angedeutet, auf die sich Bashar al-Assad begibt, wenn er sagt, “nicht um jeden Preis” mit Israel Frieden schließen zu müssen.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   22 vom 30.05.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

31. Mai 2008

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