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Das Krachen hinter der Bühne

Magnetische Kraft: Vor 40 Jahren starb Robert F. Kennedy nach einem Attentat. “Barack ist wie Bobby”, sagt seine Witwe Ethel


Von Konrad Ege

Es war ein Riesenfest an diesem Abend unter den Kronleuchtern des Ambassador in Los Angeles. “We want Bobby, we want Bobby”, forderten die Sprechchöre, “We want Kennedy”. 4. Juni 1968. Der 42-jährige Robert F. Kennedy hat in Kalifornien die demokratischen Vorwahlen gewonnen. RFK 46 Prozent, Senator Eugene McCarthy 42. Es war nun vorstellbar, möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich, dass Kennedy, Bruder des 1963 ermordeten Präsidenten John F. Kennedy, selber Präsident werden würde. Die Vorwahlen hätten gezeigt, “dass die Menschen in den Vereinigten Staaten Wandel wollen”, sagte ein sichtlich erschöpfter Kennedy in seiner Siegesrede im Ambassador. “Wir können den Zwiespalt überwinden zwischen Schwarz und Weiß, den Armen und den besser Gestellten und unsere Differenzen zum Krieg in Vietnam.” Doch ein paar Stunden später war alles vorbei.

Das Gefühl, ein Mensch zu sein

Nach der Ansprache wollte Kennedy noch ein paar Interviews geben. Der Weg zum Pressegespräch führte durch einen Ausgang hinter der Bühne und der Hotelküche. Dutzende Freunde, Anhänger, Reporter und Wahlhelfer drängten sich um den Sieger. Kennedy schüttelte Hände mit der Küchenhilfe, auch mit dem 17-jährigen Juan Romero. Der aus Mexiko stammende Teenager hatte am Tag zuvor das Geschirr aus Kennedys Suite geholt. Kennedy habe seine Hand genommen, erzählte Romero später, und “ich habe mich nicht mehr gefühlt wie ein Bediensteter oder ein Hispanischer … sondern war ein Mensch”. In der Küche wollte er Kennedy noch einmal berühren. Sekunden später Schüsse.

Kennedy fällt. Romero kniet im Chaos schreiender Wahlhelfer nieder, stützt Kennedys Nacken und presst seinen Rosenkranz in Kennedys Hand. Eine Kugel trifft Kennedys Berater Paul Schrade am Kopf. “Wie ein elektrischer Schock” sei es gewesen. Schrade, ein Mitarbeiter der Automobilarbeitergewerkschaft, verliert das Bewusstsein. Aber er überlebt.

Robert Francis Kennedy starb am 6. Juni, 26 Stunden nach dem Attentat. Unmittelbar nach dem Mord, noch in der Hotelküche, wurde Sirhan Bishara Sirhan festgenommen. Der 24-jährige christliche Palästinenser, eingewandert 1956 mit seiner Familie, hatte offenbar auf Kennedy gewartet und vor den Augen zahlreicher Zeugen das Feuer eröffnet. Vor dem Attentat hatte Sirhan im nahe gelegenen San Gabriel Gun Club geübt. Bei Sirhan zu Hause fand die Polizei Notizhefte mit Vermerken und Gekritzel, darunter “RFK Must Die”, Robert F. Kennedy muss sterben. Und:”Arbeiter der Welt, vereinigt Euch. Ihr habt nichts zu verlieren, außer Eure Ketten”. Außerdem die Namen von Rennpferden - Sirhan wollte als Jockey arbeiten.

Als Tatmotiv kam vor Gericht zur Sprache, Sirhan sei zornig gewesen über Kennedys Zustimmung zur Lieferung von Kampfflugzeugen an Israel. Sirhan gestand den Mord, erklärte aber gleichzeitig, er könne sich nicht erinnern, Kennedy erschossen zu haben. Das Gericht sah das nicht als Widerspruch und verurteilte Sirhan zum Tod in der Gaskammer. Das Todesurteil wurde 1972 in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt. Sirhan ist bis heute im Hochsicherheitsgefängnis von Corcoran in Kalifornien inhaftiert.

Trauer und Spaltung

Viele in Amerika weinten, als sich die Nachricht von Kennedys Tod verbreitete. Nur zwei Monate zuvor war der Bürgerrechtsführer Martin Luther King in Memphis niedergeschossen worden. Es folgten Rassenaufstände in mehr als hundert Städten. Der Vietnamkrieg schien außer Kontrolle zu geraten, die politische Zukunft in den USA war ungewiss. Präsident Lyndon Johnson hatte im März erklärt, er werde sich nicht zur Wiederwahl stellen. Die Demokraten waren gespalten zwischen Kriegsegnern und Befürwortern. Selbst die Gegner konnten sich nicht auf einen Kandidaten einigen.

Kennedy und McCarthy, Senator aus Minnesota, hatten sich beide gegen den Vienamkrieg gestellt. Den “Kurs beibehalten” wollte Vizepräsident Hubert Humphrey. Der Republikaner Richard Nixon verfolgte mit seiner Kandidatur die Strategie, die demokratische Wählerschaft zu spalten: Die schwarzen von den weißen Wählern, die “Liberalen” und die Hippies und deren Sympathisanten von den “patriotischen Amerikanern”, und die weiße Arbeiterschicht von den Langhaarigen, der “Elite” und den Kriegsgegnern. In Kalifornien residierte Ronald Reagan als Gouverneur. Reagan machte den “zunehmenden Wertezerfall” in der Gesellschaft für das Attentat auf Kennedy verantwortlich.

Robert “Bobby” F. Kennedy dagegen hatte an den Idealismus der Amerikaner appelliert und Hoffnungen geweckt, vor allem unter jungen Menschen, Schwarzen und Latinos - vergleichbar mit dem Enthusiasmus der Anhänger von Barack Obama vier Jahrzehnte später. Er sprach von einer “neuen Politik” mit Veränderungen, die “von unten” kommen sollten. Als Wahlkämpfer kehrte er abends mit zerkratzen Händen ins Hotel zurück, Manschettenknöpfe gingen verloren: Alle wollten den charismatischen Mann berühren, der den Vietnamkrieg zu Ende bringen, den Kampf gegen Armut zur “obersten Priorität machen” und eine Nation schaffen wollte, in der man “mitfühlend” miteinander umgehen würde. Robert Kennedy wirkte jugendlich (trotz seiner zehn Kinder), sportlich, modern.

Und er trat für die “underdogs” ein, für die unten und ganz unten. In Kalifornien besuchte er Cesar Chavez, Chef der Farm Workers-Gewerkschaft, der einen 25-tägigen Hungerstreik für bessere Löhne anführte. “Es lebe Cesar Chavez!”, rief Kennedy. Das habe es noch nie gegeben, sagte Paul Schrade, dass ein Präsidentschaftskandidat bei einem Streik für bessere Löhne und menschlichere Arbeitsbedingungen mit den Arbeitern auf die Picket Line geht. “Liberale Demokraten sind nicht so”, erläuterte der heute 83-jährige Schrade.

Abkömmling einer steinreichen Familie, war Kennedy eigentlich ungeeignet als Hoffnungsträger für Arme, Kriegsgegner und das progressive Amerika. 1953 arbeitete der studierte Rechtsanwalt als Ermittler in Senator Joseph McCarthys Komitee gegen vermeintliche kommunistische Umtriebe. McCarthy war ein alter Freund von Vater Kennedy. Nach McCarthy wechselte Kennedy in einen Senatsausschuss, der sich mit Korruption in Gewerkschaften befasste. Kennedy legte sich besonders mit der Transportarbeitergewerkschaft Teamsters an, konnte dem Präsidenten Jimmy Hoffa letztlich aber nichts nachweisen.

Die zwei Gesichter des Robert F.

1960 hatte Robert Kennedy dann ein größeres Ziel vor Augen: Sein älterer Bruder John wollte Präsident werden. Robert sei in Kennedys Kampagne der Mann fürs Grobe geworden, schreibt Evan Thomas in seiner Biografie über Robert Kennedy. Bei manchen Vorwahlen seien Stimmen regelrecht gekauft worden. John F. Kennedy gewann damals knapp gegen Richard Nixon; Robert Kennedy wurde Justizminister. Er sorgte dafür, dass Bürgerrechtsgesetze eingehalten wurden, ordnete jedoch auch an, Martin Luther Kings Telefon abzuhören. Robert Kennedy war der Präsidenten-Berater Nummer Eins, auch in der Außenpolitik. Er vertrat eine harte Linie gegen Fidel Castro und entwarf mit der CIA Pläne, “auf der Insel etwas ins Rollen zu bringen”.

“Durch seine Trauer hat er sich mit dem Leiden anderer identifizieren können”, vermutet der Historiker Anthony Lewis im Versuch zu erklären, wie aus dem Law-and-order-Politiker der Hoffungsträger von 1968 werden konnte. Das Attentat auf John F. Kennedy im November 1963, da sind sich die Historiker einig, habe Robert entwurzelt. Ein Jahr blieb er noch Justizminister, dann wurde er zum Senator gewählt. Es folgten Reisen ins Apartheid-Land Südafrika, in die Indianerreservate in den USA, ins Mississippi-Delta, wo Kennedy schwarze Kinder mit vor Hunger aufgedunsenen Bäuchen sah. Kennedys älteste Tochter Kathleen erinnert sich, ihr Vater sei bei der Rückkehr von Mississippi “grau im Gesicht” gewesen.

Paul Schrade sieht Kennedys Wandel etwas anders: Robert Kennedy habe vor dem Attentat immer nur die Wünsche der Familie und seines Präsidenten-Bruders erfüllt. Erst danach konnte er Robert Kennedy sein. Kennedy sei ein “Moralist” gewesen, urteilt auch Evan Thomas. Für Robert hat es offenbar wenige Grautöne gegeben, weder im Kampf gegen Hoffa noch bei der Unterstützung von Cesar Chavez. Man müsse auch Kennedys katholischen Glauben berücksichtigen, betont Schrade. Kennedy ging Zeit seines Lebens fast jeden Tag zur Messe.

Nach dem Mord im Ambassador wurde Hubert Humphrey Präsidentschaftskandidat der Demokraten. Er verlor gegen Richard Nixon. Nixons “Spalterpolitik” legte den Grundstein für Ronald Reagan und George Bush. Der Vietnamkrieg sollte noch sieben Jahre dauern, 30.000 US-Soldaten und weit mehr als eine Million Vietnamesen sollten dabei umkommen. Robert F. Kennedy wurde im Arlington Nationalfriedhof neben seinem Bruder begraben.

Eine Verschwörung?

Seither sei um RFK ein Mythos gewachsen, schreibt Ronald Steel in seinem Kennedy-Buch In Love with Night. Amerika trauere um das, was hätte sein können. Was genau Kennedy getan hätte, kann man bestenfalls erahnen: Sein Wahlkampf währte nur 85 Tage. Kennedy sprach mehr von Hoffungen als von konkreten Programmen. Robert Kennedys Witwe Ethel unterstützt heute Barack Obama. “Barack ist wie Bobby”, sagt sie. Er verkörpere eine “magnetische Kraft”, die Menschen ansporne, für eine bessere Zukunft zu kämpfen. Auch Paul Schrade ist für Obama. Er habe wieder Hoffnung.

Nicht zufrieden ist Paul Schrade mit dem Urteil gegen Sirhan. “Nicht, dass er unschuldig ist”, sagt Schrade in einem Gespräch für diesen Beitrag. Er habe schließlich Sirhans Kugel in den Kopf bekommen. Aber er bezweifle, dass Sirhan Robert Kennedy erschossen hat. Robert Kennedy sei wie er selbst frontal vor Sirhan gestanden, Und Kennedys Wunden seien durch einen Schuss von hinten verursacht worden. Außerdem ist vor kurzem ein Tonband von der Bluttat aufgetaucht. Bei einer akustischen Analyse haben Experten angeblich festgestellt, dass in sechs Sekunden 13 Schüsse abgegeben worden seien. Sirhans Revolver hatte aber nur acht Kugeln.

Sirhans langjähriger Berufungsanwalt Larry Teeter starb im Juli 2005. Es habe einen zweiten Schützen gegeben, betonte Teeter, Sirhan sei nur das Bauernopfer gewesen. Wer hinter der angeblichen Verschwörung stehe, das wisse man freilich nicht. Sirhan Berufungsanwalt ist nun William Pepper, Anwalt des verstorbenen Martin Luther King-Attentäters James Earl Ray.

Auch wenn man es nicht gerne zugibt: Der Mord an Robert F. Kennedy steht nach 40 Jahren wieder im Raum und die Furcht angesichts von Barack Obamas erfolgreicher Kandidatur. Hillary Clinton hat es recht unverblümt ausgesprochen: Sie bleibe im Rennen, denn man erinnere sich, “dass Bobby Kennedy im Juni (1968 - K.E.) in Kalifornien ermordet worden ist”, erklärte sie kürzlich. Und eine Moderatorin erörterte in einer Nachrichtensendung bei FOX den “Vorschlag”, dass jemand “Osama, um…, Obama umlegt, - oder beide, wenn möglich”. Gelächter im Studio. Bei einer Versammlung des Schusswaffenverbandes National Rifle Association mit dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mike Huckabee war ein Krachen hinter der Bühne zu hören. Das sei Barack Obama, der sich ducke, um den Kugeln auszuweichen, scherzte Huckabee. Er hat sich hinterher entschuldigt. Hillary Clinton ebenfalls.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   23 vom 06.06.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags.

Veröffentlicht am

06. Juni 2008

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