An die Front gerufen, zum Gefecht befohlen“Quick Reaction Force” In Afghanistan: Ab 1. Juli kann sich die Bundeswehr einmal mehr als Kombattant in Szene setzen
Sieben Jahre nun schon dauert der Krieg am Hindukusch, länger als der Zweite Weltkrieg. Die Chancen der NATO auf den Sieg schwinden, die Intensität des Widerstandes wächst. Nicht allein in den Ost- und Südprovinzen, wo seit Jahren gekämpft wird, auch im Nordwesten, wo sich NATO-Verbände bei der Operation Karez derzeit erbitterte Gefechte mit der Guerilla liefern. Auf Wunsch der Verbündeten hat Verteidigungsminister Jung auch 60 Bundeswehrsoldaten in die Kampfzone beordert. Immer lauter erschallt der Ruf: “Germans to the Front!”. Die Bundesregierung folgt ihm ein weiteres Mal, wenn sie ab 1. Juli 250 deutsche Panzergrenadiere zusätzlich als Quick Reaction Force (QRF) zur Verfügung stellt. “Mission Creep”, schleichende Ausweitung eines Einsatzes, nennt sich das in der Sprache der NATO. Dass auch damit das Ende der Fahnenstange kaum erreicht sein dürfte, pfeifen die Spatzen in Berlin vom Dach des Bendlerblocks. Auf den nächsten Schub für das deutsche Afghanistan-Korps haben sich die Koalitionsparteien bereits geeinigt. Den parlamentarischen Beschluss dazu soll es im Herbst mit der fälligen Verlängerung des ISAF-Mandats geben. Wenn schon Regierung und Bundestagsmehrheit der NATO in Bündnistreue ergeben folgen, sollte man erwarten, dass wenigstens die militärische Führung vernehmlich warnt. Doch glatte Fehlanzeige - allzu behaglich hat sich die Bundeswehrführung unter einem gründlich missverstandenen Primat der Politik eingerichtet. Dabei leuchten die Desaster der Amerikaner in Vietnam und der Sowjets in Afghanistan wie Menetekel überdeutlich von der Wand. Die Sowohl-Als-Auch-OrderIn zwei Wochen wird auf Wunsch der NATO die Quick Reaction Force als Eingreifverband für das Regionalkommando Nord - das deutsche Revier am Hindukusch - “combat ready” sein. Äußerlich kein spektakulärer Vorgang, wenn derartige Einheiten bereit gehalten werden, zumal die Dislozierung der 250 Panzergrenadiere für ein Territorium, das etwa halb so groß ist wie die Bundesrepublik, eher wie eine strategische Ersatzhandlung anmutet. Ihr wehrtechnisches Rückgrat bildet der Schützenpanzer Marder 1 A 5, ein altgedienter Stahlkoloss, über dessen Nutzwert selbst der künftige Befehlshaber in Mazar-i-Sharif, Brigadegeneral Jürgen Weigt, seine Zweifel hegt: “Es gibt sicherlich Bereiche in Nordafghanistan, wo ein 40-Tonnen-Fahrzeug große Schwierigkeiten hat, weil schlicht und einfach die Geografie den Einsatz dieser Systeme nicht vorsieht.” Abgesehen von solchen Misslichkeiten sorgen Auftrag und Legitimation der QRF für weitaus gravierendere Zweifel. Auf den Punkt gebracht hat die Brisanz der Abgeordnete Werner Hoyer (FDP), als er am 14. Februar während einer Aktuellen Stunde des Bundestages zu Protokoll gab: “Bei dem, was jetzt von der Bundeswehr mit übernommen werden muss - Quick Reaction Force -, kommt es sehr auf die präzise Definition des Auftrages an, um nicht unmittelbar in die OEF hinein zu rutschen. Hier zeigt sich, dass die Dinge sehr nahe beieinander liegen …” Mit OEF ist die Operation Enduring Freedom gemeint und damit der von Präsident Bush 2001 ausgerufene Global War, in dem eine Koalition von Willigen unter US-Kommando weltweit den “internationalen Terrorismus” bekämpft. Tatsächlich kann das, wovor Werner Hoyer warnt, auch eintreten, wie die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der LINKEN vom 26. Februar zu “Aufgabe und Bedeutung der Quick Reaction Force für die Einsatzstrategie der ISAF und die Implikationen für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan” zeigt. Zur Frage: “Können Quick Reaction Forces gemeinsam mit OEF-Einheiten eingesetzt werden, und wenn ja, unter welchen Bedingungen?”, wird geantwortet, dass “Situationen möglich [sind], in denen die QRF in gemeinsamen Operationen mit der ANA (der Afghan National Army - J. R.) eingesetzt werden (sic!), die selbst ggf. durch integrierte Ausbilderteams begleitet werden (sic!), die nicht Teil von ISAF sind. Unbenommen davon ist die Möglichkeit der Unterstützung von OEF-Einheiten im Rahmen der Nothilfe.” Der durch die NATO definierte militärische Auftrag der QRF deckt gleichfalls Einsatzoptionen zur Hilfe für OEF voll und ganz ab, indem er “Evakuierungsoperationen” sowie “offensive Operationen gegen regierungsfeindliche Kräfte im Zusammenwirken mit den afghanischen Sicherheitskräften” einschließt. Das heißt, die QRF der Bundeswehr kann unter dem völkerrechtlich nicht substantiell zu beanstandenden ISAF-Mandat, aber genauso zur Unterstützung der OEF zum Einsatz kommen. Und deren völkerrechtliche Legitimität ist höchst umstritten. Während sich die Kriegsallianz, inklusive die Berliner Republik, gebetsmühlenhaft auf das in der UN-Charta verankerte Selbstverteidigungsrecht beruft, bestreiten ganze Legionen von Völkerrechtsprofessoren genau diese Argumentation und bezeichnen Operation Enduring Freedom schlicht als völkerrechtswidrig. Selbst Hans Rühle, ehemals Leiter des Planungsstabes beim Bundesverteidigungsminister, musste einräumen: “Die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan ist - die Klage der Linksfraktion und zweier Unionsabgeordneter vor dem Bundesverfassungsgericht belegt dies - verfassungsrechtlich und völkerrechtlich umstritten. Dabei ist die Völkerrechtswidrigkeit des Krieges in Afghanistan längst keine esoterische Mindermeinung vermeintlich konfuser deutscher Berufsquerulanten mehr, sondern eine in der internationalen Völkerrechtslehre durchaus verbreitete Sicht der Dinge.” Einsilbige Richter in KarlsruheFormal war es bei den von Rühle erwähnten Klagen der Abgeordneten Willy Wimmer (CDU) und Peter Gauweiler (CSU) sowie der LINKEN in Karlsruhe um die Verletzung von Beteiligungsrechten des Bundestages gegangen. Inhaltlich jedoch zielte ihre Intervention darauf, die parallel zu einer global entgrenzten NATO stetig erweiterte ISAF-Mission der Bundeswehr als verfassungs- und völkerrechtswidrig erklären zu lassen. Am 3. Juli 2007 wiesen das die Verfassungsrichter mit einer teilweise als skandalös zu bewertenden Begründung ab. Geradezu ins Auge springen musste jedoch, wie distanziert und einsilbig sie sich zur Operation Enduring Freedom äußerten. Dreh- und Angelpunkt der höchstrichterlichen Argumentation war die Fiktion von der strikten Trennung der realiter eng verwobenen Militäreinsätze: “ISAF und die Operation Enduring Freedom richten sich nach getrennten Zwecksetzungen, unterschiedlichen Rechtsgrundlagen und klar abgegrenzten Verantwortungssphären.” Darauf rekurrierend lehnte das Gericht jedwede rechtliche Bewertung von OEF strikt ab, ließ aber durchaus Zweifel an der Rechtskonformität von OEF erkennen, wenn es erklärte: “Zwar mag, soweit die Operationen in der dargestellten begrenzten Weise zusammenwirken, eine Zurechnung völkerrechtswidrigen Handelns im Einzelfall nicht auszuschließen sein; soweit etwa eine Aktion der Operation Enduring Freedom mit dem Völkerrecht nicht im Einklang stünde …, könnte dies möglicherweise die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der NATO oder ihrer Mitgliedstaaten auslösen. Auf diese völkerrechtlichen Fragen ist hier jedoch nicht näher einzugehen.” Trotz - oder vielleicht gerade wegen - des offenkundigen Unwillens, sich mit dem Thema Völkerrecht und OEF näher zu befassen, lassen diese Einlassungen darauf schließen, was das höchste deutsche Gericht von jenem “Kreuzzug gegen den Terror” hält, den George Bush einst ausgerufen hatte: nämlich rein gar nichts. Wie würden die Hüter des Grundgesetzes urteilen, wenn sich einer der betroffenen Panzergrenadiere der Quick Reaction Force über den Umweg einer soldatischen Gehorsamsverweigerung mit einer Verfassungsbeschwerde an sie wenden und eine Überprüfung der Kriegsbeteiligung erzwingen würde?
Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 24 vom 13.06.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Rose und des Verlags.
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