15 Jahre Lebenshaus: Mit Konstruktivem beginnen
Von Michael Schmid Genau vor 15 Jahren, am 20. Juni 1993, versammelten sich rund 20 Menschen im evangelischen Gemeindehaus in Gammertingen, um den Verein Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie aus der Taufe zu heben. 15 Jahre sind eine ganz schön lange Zeit und es gab manche - vielleicht sogar ziemlich viele -, die dieser “spinnigen Idee” keine lange Lebensdauer zugetraut hätten, jedenfalls keine so lange. Wie heute immer noch, so ging es schon vor 15 Jahren darum, nicht die Augen vor dem zu verschließen, was sich an vielen und vielschichtigen Problemen in dieser Welt wiederfindet, was sich an Katastrophen vollzieht oder anbahnt. Auf der persönlichen wie gesellschaftlichen und internationalen Ebene. Wir wollen nicht einen Großteil unserer ganzen Energie in Verdrängung dessen vergeuden, was wir im Grunde wissen. Dafür brauchen wir zunächst den geschärften Blick für die Zusammenhänge, für die verborgenen Wechselwirkungen zwischen allem und jedem, was sich tut, was wir tun in der Welt. Für das, was man jeden Tag, jede Minute mit selbstverständlicher Bewusstlosigkeit zum Schicksal des Ganzen beiträgt. Es geht darum, ein lebendiges Gefühl zu entwickeln für das Raumschiff Erde, in dem nichts, was wir wegwerfen, in die Luft, ins Wasser, in die Erde ablassen, verloren geht, sondern unerbittlich irgendwo wieder zum Vorschein kommt. Aber es ist nicht nur Negatives, mit dem wir die Erde belasten, zerstören. Positive Handlungen haben ebenfalls - oft verborgen - ihre Wirkung und Wechselwirkung. Die Gründung des Lebenshaus-Projektes diente dazu, Menschen zusammenzubringen, die nicht resignieren, sondern die gemeinsam handeln, mit etwas Konstruktivem beginnen wollen. “Es gibt längst engagierte Minderheiten”, führte ich bei der Gründungsversammlung aus, “die zu neuen Ufern aufgebrochen sind. Sie bilden solidarische Basisgemeinschaften, tun sich zusammen, betrachten sich gemeinsam als eine Pioniergesellschaft. Sie verzichten auf Macht und Mandat und sehen ihre Aufgaben darin, das, was sie gesellschaftspolitisch wollen, innerhalb der eigenen Strukturen zu verwirklichen, sich selbst in die Pflicht zur Umkehr und zur Veränderung zu nehmen. Solche Gemeinschaften können jener Ort sein, der Geborgenheit, Hoffnung, Kraft, Mut und hoffentlich auch Freude gibt. Sie können Platz bieten auch für Schwache, Hilfsbedürftige. Durch die Erfahrung des Aufeinanderangewiesenseins kann dort das Gefühl des Gebrauchtwerdens entstehen. Dies wird das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen mehr fördern wie jegliche individualistischen Selbstverwirklichungsversuche.” Gemeinsam sollte in einer Art Doppelstrategie gehandelt werden. “Dabei gilt es sich einerseits zu organisieren, um mit Druck auf die polit-ökonomischen Großsysteme besonders üble Auswirkungen von Politik und Wirtschaft abwenden zu können und so Reformen durchzusetzen.” Andererseits muss in langwierigen gesellschaftlichen Prozessen versucht werden, Konkurrenzdenken, Ego-Zentrismus, Herrschaft, Vereinzelung und Vereinsamung und damit die Ursachen unserer gesamtgesellschaftlichen Misere abzubauen. Gewaltfreiheit ist dabei der Schlüsselbegriff für “eine wirksame Kraft, mit der Veränderungen in den verschiedensten Bereichen erreicht werden können. Eine sanfte Kraft, die Zeit braucht um ihre Wirkung zu entfalten, die dann aber grundlegend wirken kann. Um diese langfristige, grundlegend verändernde Perspektive bewerkstelligen zu können, wird es hilfreich und notwendig sein, Zellen zu bilden, sich in verbindlichen Gemeinschaften zusammenzuschließen. Darin besteht der zweite Teil der Doppelstrategie.” Wichtig war uns von Anfang an die Verknüpfung von Nachdenken und praktischem Handeln. Nicht zuletzt auch deshalb, weil es z.B. nicht ausreicht, karitative Hilfestellung zu geben und die Strukturen, welche Leid und Elend hervorrufen, unberücksichtigt und unangetastet zu lassen. Wenn ich zurückblicke…Hier ist nicht genügend Platz vorhanden, auch nur annähernd auszuführen, was in diesen vergangenen 15 Jahren alles geschehen und gemacht worden ist. Deshalb möchte ich diesen Versuch gar nicht unternehmen. Wir haben ja all die Jahre recht ausführlich in unseren vierteljährlich erscheinenden Rundbriefen berichtet. Deshalb hier nur einige wenige Andeutungen. Wenn ich zurückblicke, dann fallen mir ganz viele Begegnungen mit Menschen ein. Mit Menschen, die in unserem Verein mitgemacht haben und mitmachen; die zu einem Besuch gekommen sind, weil sie sich für dieses Projekt interessieren oder etwas Ähnliches aufbauen wollen. Und dann vor allem diejenigen, die Unterstützung gesucht und zumeist auch bekommen haben. So haben zum Beispiel rund 160 Menschen kürzer oder länger mit uns im Lebenshaus zusammen gewohnt. Ein äußerst reichhaltiger Erfahrungsschatz ist auf diese Weise zusammengekommen. Manche Freundschaft ist entstanden. Allerhand Probleme haben uns gefordert, manches Mal auch überfordert. Und immer wieder wurde für uns deutlich: Damit sich Leben entfalten kann, braucht es Menschen, die sich Zeit füreinander nehmen, also Zeit teilen. Beim Zurückblicken fallen mir ebenfalls viele, viele Veranstaltungen zu verschiedenen Inhalten ein. Lebhaft erinnere ich mich an zahlreiche Mahnwachen am Gammertinger Stadtbrunnen, manches Mal mit vielen Menschen, wie zum Beispiel zu Beginn des US-geführten Angriffs auf Irak, oft aber mit höchstens einer handvoll Teilnehmenden. Selber ins Leben gerufen oder unterstützt haben wir unzählige Aktionen. Herausragend war eine Unterschriftensammlung mit fast dreitausend Unterzeichnenden unter eine von uns spontan nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 herausgegebene Erklärung oder die Anzeigenaktion vor zwei Jahren anlässlich des 20. Jahrestages der Tschernobyl-Katastrophe ( “Für eine grundlegende Wende in der Energiepolitik” ). Aktuell sammeln wir auf der Lebenshaus-Website Unterschriften unter eine Ökumenische Erklärung gegen Wirtschaftskriege . Bestärkt durch vielgestaltiges NetzwerkEingebunden sind wir in ein vielgestaltiges Netzwerk von Einzelnen, Gruppen, Organisationen und Bündnissen, das sich für das Leben, für Frieden, Gerechtigkeit und eine lebenswerte Umwelt einsetzt. Und aus dem heraus versucht wird, Druck auf die polit-ökonomischen Systeme auszuüben. Entsprechend Teil I der Doppelstrategie. Durch dieses Netzwerk fühlen wir uns wesentlich bestärkt auf unserem Weg mit dem Lebenshaus, das seinen Sitz in einer Kleinstadt auf der Schwäbischen Alb hat, in einer der politisch-kulturell konservativsten Gegenden Deutschlands. Unser Weg, das will ich gar nicht unter den Teppich kehren, war in den vergangenen fünfzehn Jahren gewiss nicht immer einfach. Dass wir nicht nur im breiten Strom des Zeitgeistes mitschwimmen, wird beileibe nicht nur honoriert. Da kann man leicht zum Außenseiter werden, in schwierige Lebenssituationen geraten, bekommt es manches Mal zu tun mit bösartigen Angriffen, Rufmordkampagnen und Gerichtsverfahren. Es werden also manche schwierigen Prüfungen auferlegt. Auch wenn es einige Mühe gekostet hat, so haben wir doch versucht, diese Prüfungen durchzustehen, ohne uns durch sie erdrücken zu lassen. Und wir haben erfahren, dass gerade schwierige Situationen zu Zeiten geistlicher und spiritueller Erfahrung werden können. Aus unserer Erfahrung wissen wir, dass die Hoffnung mitten in der Prüfung aufkeimt. Hoffnung haben, das bedeutet immer auch Kampf. Kampf, bei dem auf die Anwendung von Gewalt verzichtet wird. Großes Risiko - viele wunderbare MenschenEs gab noch andere Sorgen und Ängste. War das Risiko, mit einem Verein ein eigenes Gebäude zu kaufen, nicht zu hoch? Ist es nicht zu riskant, auf andere Menschen in so starkem Maße zu vertrauen, dass ein solches Gebäude und das damit verbundene Engagement zu finanzieren ist? Ist es nicht eine Illusion, genügend Menschen zu finden, die diesen Weg mitgehen? Mit großer Dankbarkeit kann ich feststellen, dass es sehr viele wunderbare Menschen gibt, die diesen Weg mitgegangen sind und mitgehen. Weniger bei der ganz praktischen Arbeit, die hätten wir gerne mit einigen Menschen mehr geteilt. Aber ansonsten gab es bisher eine beachtliche Unterstützung für dieses im Grunde ja doch sehr kleine Projekt. Für dieses großartige Engagement kann ich mich nur ganz herzlich bei allen Menschen bedanken, die sich in irgendeiner Form beteiligt haben! Wir haben noch etwas vor!Auch nach 15 Jahren haben wir mit unserem Verein noch vieles vor. Ganz aktuell beschäftigen uns ziemlich stark die Sanierungsmaßnahmen an unserem Gebäude in Gammertingen. Für unsere Verhältnisse relativ viel Geld wollen wir investieren in Maßnahmen zur Energieeinsparung und Nutzung erneuerbarer Energien sowie in einige weitere erforderliche Sanierungsmaßnahmen. Natürlich versprechen wir uns davon langfristig auch einen finanziellen Nutzen - die stetig von einem Rekordhoch zum nächsten steigenden Ölpreise machen deutlich, dass es schon deshalb sinnvoll ist, weg vom Öl zu kommen. Aber vor allem angesichts des zunehmenden Klimawandels mit seinen verheerenden Folgen und vor dem Hintergrund knapper werdender Ölvorräte halten wir eine Energiewende dringend für erforderlich. Durch einen sorgsamen Umgang mit Energie und der Nutzung erneuerbarer Energien wollen wir dazu beitragen, unseren kleinen Planeten namens “Erde” nicht noch weiter zu zerstören, die Menschen in der Gegenwart nicht noch katastrophaleren Lebensbedingungen auszusetzen und den kommenden Generationen eine lebenswerte Umwelt zu hinterlassen. So komplex und doch so einfach sind die Zusammenhänge, die hinter unseren energetischen Sanierungsmaßnahmen stehen (ausführlicher hierzu siehe: Ökologische Umgestaltung von Lebenshaus-Gebäude ). Aufgaben in einer ungerechten und friedlosen WeltIn einer ungerechten und friedlosen Welt sehen wir auch zukünftig viele Aufgaben. So werden wir uns beispielsweise weiter gegen eine Umverteilungspolitik von unten nach oben wenden, die Globalisierungsverlierern Lohnverzicht, Sozialkürzungen und eine höhere Mehrwertsteuer zumutet, während sie die Gewinner durch Steuersenkungen und Steuerschlupflöcher für Unternehmen und Erben systematisch aus der Verantwortung entlässt. Auf der persönlichen Ebene werden wir konkrete von Armut betroffene Menschen weiter unterstützen. Dazu gehören unter anderem Flüchtlinge, von Arbeitslosigkeit Betroffene, aber ebenso andere gehandicapte Menschen. Angesichts weltweit tobender Kriegsmaschinen werden wir uns weiter einsetzen für “Frieden schaffen ohne Waffen” (siehe Interview mit Ulli Thiel: 30 Jahre “Frieden schaffen ohne Waffen”, 25 Jahre Menschenkette ). Gandhis Erkenntnis, dass der Weg zum Frieden und das Ziel Frieden in einem ebenso unauflöslichen Zusammenhang stehen wie Saat und Pflanze, ist genial. Es ist eine aussichtslose Unternehmung, Frieden durch Krieg, friedliche Verhältnisse im zwischenmenschlichen Bereich mit gewalttätigen Mitteln erreichen zu wollen. Freude, Mitgefühl, Mitmenschlichkeit werden Oberhand behaltenNatürlich hat unser Projekt eine begrenzte Wirkung. Aber ohne Kleines gibt es auch nichts Großes. Und es ist eine Tatsache, dass inzwischen weltweit ganz praktisch schon viel Richtiges, Neues geschieht. Leider wird es oft gar nicht bemerkt, dass die Ideen von einer anderen, besseren Welt und die Arbeit an deren praktischen Umsetzung, an der Tagesordnung sind. Aber es gibt sie, diese Menschen, Gruppierungen, Netzwerke, weltweit und mächtig und unaufhaltsam wachsend. Deshalb besteht Grund zur Hoffnung, dass das, was der südafrikanische Friedensnobelpreisträger und Erzbischof Desmond Tutu dieser Tage beim Weltkirchenrat in Genf sagte, sich verwirklicht: “Böses, Ungerechtigkeit, Unterdrückung - alle diese schrecklichen Dinge werden nicht das letzte Wort haben. Güte, Lachen, Freude, Mitgefühl, Mitmenschlichkeit … - diese Dinge werden die Oberhand behalten.”
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