Was wird für uns am Hindukusch verteidigt?Deutsche Sicherheits- und Friedenspolitik auf dem Weg der Militarisierung?Von Clemens Ronnefeldt Einführung zur Veranstaltung "Was wird für uns am Hindukusch verteidigt?" am 23.5.2008 beim Deutschen Katholikentag in Osnabrück. 1. Zur Militarisierung der deutschen Sicherheits- und FriedenspolitikIm Mai 2008 befanden sich nach Angaben des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr ca. 8.000 SoldatInnen weltweit im Einsatz: Im Kosovo, in Bosnien-Herzegowina, in Georgien, in Afghanistan, in Usbekistan, im Libanon, am Horn von Afrika/Dschibuti, in Äthiopien Eritrea, im Sudan und in Sudan-Darfur. Zwischen 1992 und 2007 waren ca. 200.000 SoldatInnen im Auslandseinsatz. Bis Ende des Jahres 2007 wurden 69 SoldatInnen der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen getötet, davon 44 durch Fremdeinwirkung, mehr als 9.000 wurden verwundet. Ein Schwerpunkt der deutschen Auslandsmissionen befindet sich im Mittleren Osten, wo Zweidrittel der Welterdölreserven lagern. Am 26.11.1992 erließ der Bundesminister der Verteidigung die "Verteidigungspolitischen Richtlinien", in denen es heißt:
Das "Weißbuch 2006" des Bundesministeriums der Verteidigung greift diesen Gedanken erneut auf:
Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, formulierte den Paradigmenwechsel von der Verteidigung zum weltweiten Einsatz folgendermaßen:
Der Generalinspekteur betont:
Diese Aussage steht in Widerspruch zu Presseberichten z.B. mit Fotos deutscher Soldaten in Afghanistan, die diese beim Hantieren mit Schädeln von toten Afghanen zeigen. Der ehemalige Fallschirmjäger Achim Wohlgethan schreibt in seinem Buch:
2. Was wird für uns am Hindukusch verteidigt? - Zahlen und Fakten zum AfghanistankriegDie Kosten des Afghanistan-Krieges für die NATO-Staaten betrugen in den Jahren 2002 bis 2006:
Das Bruttoinlandsprodukt pro Afghane/in pro Jahr liegt bei ca. 355 US-Dollar. Deutschland gab 2008 in Afghanistan für Militär-Ausgaben ca. 530 Mio. Euro, für Zivil- In der Armuts-Statistik rutschte Afghanistan in den letzten Jahren noch einen Platz nach unten: Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 25.6.2007:
Dem Militäreinsatz in Afghanistan fielen in folgenden Zeiträumen zahlreiche Tote zum Opfer:
Im Jahre 2007 wurden unter den ausländischen SoldatInnen ca. 200 Tote gezählt. Von 2005 zu 2006 ereignete sich eine große Zunahme der Gewalt in Afghanistan. Im Jahre 2005 gab es 27 Selbstmordattentate, 783 Straßenbomben und 1588 Direktangriffe, 2006 bereits 139 Selbstmordattentate, 1.677 Straßenbomben und 1588 Direktangriffe. (Quelle: Bündnis Die Opium-Produktion in Afghanistan lag im Jahre 2001 bei ca. 200 t, im Jahre 2006 bei ca. Bei Meinungsumfragen im Februar 2008 zu Afghanistan lehnten 86% der Deutschen Kampfeinsätze grundsätzlich ab, 13% waren dafür. 55% der Deutschen wollen den schnellstmöglichen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, 42% sind für den Verbleib. (Quelle: ARD-Deutschland-Trends für die Tagesthemen von Infratest dimap, 4./5. 2. 2008). Deutschland setzt sich im Rahmen der Europäischen Union in Afghanistan für die Ausbildung von afghanischen Polizisten ein und spendete Polizeifahrzeuge. "Der geheimnisumwobene Einsatz der Bundeswehr-Elitetruppe ‘Kommando Spezialkräfte’ (KSK) in Afghanistan war rein politisch motiviert, schlecht vorbereitet und militärisch weitgehend überflüssig", so lautet das Fazit des Verteidigungsausschusses des Bundestages. Was wird für uns am Hindukusch verteidigt? Unser westlicher Lebensstil? Das Überleben der NATO? Die Option auf einen deutschen Sitz im UN-Sicherheitsrat? Die Eindämmung Chinas, Indiens und Russlands? Eine Plattform für die US-Regierung zum Iran-Angriff? Der ehemalige Entwicklungsbeauftragte des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) in Afghanistan, Herbert Sahlmann, hat einen 20-Punkte-Friedens-Plan ausgearbeitet. (Quelle: Pax Christi Rundbrief 1/2008, S. 8). Der ehemalige ARD-Sonderkorrespondent Christoph R. Hörstel hat in seinem Buch "Sprengsatz Afghanistan. Die Bundeswehr in tödlicher Mission", München 2007, einen detaillierten 5-Jahres-Friedensplan vorgelegt. Prof. Andreas Buro, friedenspolitischer Sprecher des Komitee für Grundrechte und Demokratie, hat einen zivilen Strategieplan entworfen (Quelle: Friedensforum 1/2008, Hg.: Netzwerk Friedenskooperative, Bonn, S. 20). Alle drei Friedenspläne könnten bei entsprechendem politischen Willen sofort begonnen werden. Die Friedensbewegung in Deutschland fordert in einer Petition an den Bundestag: "Dem Frieden eine Chance. Truppen raus aus Afghanistan" und fordert in einem Aufruf die SoldatInnen der Panzerbrigade 21 in Augustdorf auf: "Verweigern Sie den Kriegseinsatz in Afghanistan". (Quelle: Friedensforum 2/2008, Hg.: Netzwerk Friedenskooperative, Bonn, S. 3f). Jürgen Rose, Oberstleutnant, verweigert derzeit den Afghanistan-Einsatz, weil er diesen nicht im Einklang mit dem Grundgesetz und dem Völkerrecht sieht. Christiane Ernst-Zettl, im Rang eines Hauptfeldwebels, weigerte sich als Sanitäterin, eine Waffe in Afghanistan zu tragen, weil dies nicht mit der Genfer Konvention vereinbar sei. Sie bekam dafür 800 Euro Geldbuße auferlegt, die Humanistische Union zeichnet sie mit dem "Aufrechter Gang"-Preis 2008 aus. Florian Pfaff, Major, verweigerte die logistische Unterstützung des Irak-Krieges, wurde dafür degradiert, klagte dagegen erfolgreich und erhielt die Carl-von-Ossietzky-Medaille. Florian Pfaff hat das lesenswerte Buch "Totschlag im Amt. Wie der Friede verraten wurde" erschienen in Nördlingen 2008, verfasst. "Wir verteidigen unsere Art zu leben - und das ist unser gutes Recht", sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder zur Rechtfertigung des Afghanistan-Krieges am 16.10.2001. (Quelle: Frankfurter Rundschau, 17.10.2001). Solange 20 Prozent der Menschheit 80 Prozent der Rohstoffe verbrauchen und diese Art zu leben - auch in Deutschland - die Lebenschancen eines großen Teiles der Menschheit in anderen Kontinenten einschränkt und verhindert, ist dem Bundeskanzler zu widersprechen - besonders auch von den Kirchen. SchlusswortDer "Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen" hat eine Reihe von zukünftigen Konfliktherden benannt, die die Sicherheit von Menschen weltweit gefährden: Dazu zählen die Verschlechterung der Trinkwasserqualität, die Zunahme von Sturm- und Flutkatastrophen, der klimabedingte Rückgang der Nahrungsmittelproduktion und die umweltbedingte Migration von Millionen von Flüchtlingen. Diese Herausforderungen sind so gewaltig, dass sie eines großen menschlichen und finanziellen weltweiten zivilen Einsatzes bedürfen - mit dem Ziel des gemeinsamen Überlebens der Menschheit. Mein Dank gilt Jürgen Rose sowie Bernt Glatzer von der Arbeitsgemeinschaft Afghanistan für Zuarbeiten zu dieser Einführung, ebenso Florian Pfaff und zahlreichen Soldaten für wertvolle Gespräche.
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