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Atompolitik: Strahlende Lauge

Im Salzbergwerk Asse II droht ein GAU

Von Wolfgang Ehmke

Je drohender die Energiekrise, desto lauter wird nach der Atomkraft gerufen, Pläne für neue Meiler machen die Runde. Wird da ein “ungeliebter Klimaschützer” wieder verstärkt ins Spiel gebracht, der verkannt war und angesichts größerer Risiken wie dem Klimawandel neu bewertet werden muss? Wohl kaum, wenn man die mit der Technik verbundenen Gefahren und tatsächlichen Potenziale sieht.

Jahrelang galt “die Asse” als Prototyp für Gorleben, jetzt kämpfen Anwohner der havarierten Atommülldeponie dafür, den Strahlenmüll herauszuholen, bevor es zu spät ist. Denn täglich fließen zwölf Kubikmeter Wasser in die Anlage, unkontrollierbar. Der Schacht droht abzusaufen. Das Wasser wird bisher aufgefangen und abgepumpt. Dann flog auf, die Laugen sind kontaminiert: mit Cäsium-137, Strontium, Radium, Plutonium.

Das Helmholtz Zentrum München, Betreiberin der Anlage, beschwichtigt, für Menschen und Umwelt bestünde keine Gefahr, obwohl geringe Mengen der Salzlösung dort aufgefangen werden, wo nukleare Abfälle lagern. Doch die Cäsium-137-Konzentration überschreitet an einigen Auffangstellen die Freigrenze um das Neunfache.

Das Umweltministerium in Hannover gab sich pikiert. Das Verklappen der kontaminierten Lauge in die tiefsten Schichten des Bergwerks wurde untersagt. Die Opposition im Landtag, Grüne und Linkspartei, sehen die Genehmigungsbehörde jedoch als Teil des Problems. Schließlich wurde der Sonderbetriebsplan, die Lauge in den Grubensumpf in 975 Metern Tiefe zu pumpen, von eben jenem Ministerium genehmigt.

Verschwiegen wurde und sogar bestritten, dass diese Suppe kontaminiert ist. Haben die Sickerwässer bereits Atommüllfässer zersetzt? Schon als Kurt Georg Kiesinger die Republik regierte, begann die Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF) in dem stillgelegten Salzbergwerk Atommüll zu stapeln: Zwischen 1967 bis 1978 wurden 124.494 schwachradioaktive Fässer und 1.293 mit mittelradioaktiven Abfällen in die Stollen gekippt. Lauge sickert seit 1988 in die Salzstöcke ein. Das Fluten der Anlage mittels eines Magnesiumschutzfluids soll das drohende Absaufen abmildern. Das Helmholtz Zentrum, das zum Jahreswechsel die Nachfolge der GSF antrat, nennt diese Variante euphemistisch “Nassverwahrung”. Strömungsbarrieren sollen verzögern, dass der Atommüll schnell umspült wird. Der Einbau der ersten von drei Sperren wurde im Frühjahr abgeschlossen.

Sollten die Schachtanlage und damit die Atommüllfässer tatsächlich geflutet werden, verrosten sie in wenigen Jahrzehnten. Kontaminierte Salzlösungen würden ins Erdreich einsickern. Gerade hatte ein Gutachten des Bundesamtes für Strahlenschutz in der Region für Furore gesorgt, in dem berechnet wurde, wie schnell Wässer und Gase aus dem Bergwerk austreten könnten. Alarmierendes Ergebnis: Kontaminierte Gase würden bereits in 150 Jahren in die Biosphäre entweichen, und zwar in einer Konzentration, bei der aktuelle Grenzwerte der Strahlenschutzverordnung um das Vierfache überschritten würden.

Wurde seitens der GSF sogar vorsätzlich gehandelt? Professor Werner Schneider von der TU Braunschweig hatte vor rund 40 Jahren Bereiche des nördlichen Harzvorlandes geologisch kartiert, speziell den Bereich der Asse. Sein Fazit gegenüber dem Freitag: “Aus fachlicher und ethischer Sicht war die Umwidmung des Kalibergwerks zu einer Atommülldeponie ein reiner Nullinger.” Also ein Fehler.

Trotz der Havarie preist das Helmholtz Zentrum München die Asse immer noch ungeniert als Forschungsfeld. Für diese Zwecke hatte die GSF die Anlage 1965 im Auftrag des Bundes errichtet. Im Umweltprogramm der Regierung Brandt hieß es 1971, man habe mit der Asse “ein Endlager geschaffen, das nach vollem Ausbau die bis zum Jahr 2000 anfallenden etwa 250.000 Kubikmeter radioaktiver Rückstände sicher aufnehmen kann”. 1976 kam dann allerdings die Wende: Ein Planfeststellungsverfahren zur Einrichtung einer Atommülldeponie wurde nicht eröffnet, weil es zu große Sicherheitsbedenken gab und das Lager keine Aussicht auf Genehmigung als Atommüllendlager hatte.

Die Asse blieb jedoch Versuchslabor: Es wurden “in-situ-Versuche” durchgeführt, bei denen radioaktive Abfälle mit Zement und tritiumhaltigem Wasser gemischt wurden, das man durch Röhren in unterirdische Kavernen leitete. Auch radioaktiv strahlende Kobalt-60-Quellen wurden eingebracht, um zu studieren, wie sich Salz verhält, wenn es erwärmt wird. Das hochbrisante Projekt wurde Anfang der neunziger Jahre wegen des massiven Protests allerdings gestoppt.

Eine Million Jahre soll eine Atommülldeponie dicht halten - die Asse säuft schon eine Generation nach Betriebsbeginn ab. Namhafte Gorleben-Befürworter wie der Bergbau-Professor Klaus Kühn setzen aber unverdrossen auf Salzgestein als Endlagermedium.

“Verklappen, vertuschen, vergessen?”- Laugenzuflüsse gab es auch beim Aufschluss des Endlagerbergwerks in Gorleben. Dort ruhen die Arbeiten seit dem Herbst 2000. Das Moratorium endet 2010. Am Dienstag dieser Woche fand ein Krisentreffen mit Ministern in Berlin statt. Klar ist: Die Endlagersuche in Deutschland steht vor einem gravierenden Dilemma.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   26 vom 27.06.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

26. Juni 2008

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