Wenn ein Totalverweigerer gehtBarack Obama und John McCain wollen die Blockade von George Bush bei der Abrüstung beenden. Ein Pazifist wird freilich nicht ins Weiße Haus einziehen
Verbrannte Erde hinterlässt die Regierung von George W. Bush auf dem Feld der Abrüstung, und das großflächig - die für Rüstungskontrolle zuständige Abteilung im State Department wurde geschleift, der ABM-Vertrag zur Begrenzung von Raketenabfangsystemen 2002 gekündigt und der Teststopp-Vertrag nicht ratifiziert, um Mini-Nukes und atomare Bunkerknacker erproben zu können. Die Liste der unilateralen Verweigerung ließe sich fortsetzen mit der Antiminen-Konvention, die ohne amerikanische Unterschrift blieb, oder mit dem Boykott eines Verbotes von Streubomben. Das Kontrollprotokoll zur Biowaffenkonvention wurde versenkt, das Chemiewaffenverbot hintertrieben und das Regime der nuklearen Nichtverbreitung an den Rand des Zusammenbruchs getrieben. Vorhandene Vereinbarungen galten dem Weißen Haus unter George Bush als Relikte des Kalten Krieges, so dass die Frage, was kommt nach dem bald auslaufenden SORT-Abkommen (s. Glossar) über die Reduzierung der strategische Kernwaffen, nicht zu existieren schien. “Sechs Jahre Bush haben die regelgeleitete, kooperative Sicherheit in ein Koma versetzt”, schreiben die deutschen Friedensforscher in ihrem jüngsten Jahresgutachten (s. Freitag 23/08). Werden John McCain oder Barack Obama diese Wagenburg verlassen und wiederbeleben, was die Bezeichnung Abrüstung verdient? Die Signale sind widersprüchlich. Durchaus in Distanz zu Bush meint der republikanische Bewerber, “die USA müssen wieder eine Führung übernehmen, wie die Welt sie von uns erwartet - in der Tradition amerikanischer Präsidenten, die sich für eine Reduzierung der atomaren Bedrohung für die Menschheit eingesetzt haben”. Vor allem müsse man die Gefahr abwenden, dass Kernwaffen jemals gebraucht werden. Deshalb werde er sich verifizierbaren Rüstungskontrollverträgen etwa mit Russland und China nicht verweigern. Auch wolle er sich den Teststoppvertrag, der ihm früher zu restriktiv war, “noch einmal neu anschauen”. Andererseits soll es bei den Polen und Tschechien zugedachten Anlagen zur Raketenabwehr bleiben, so vehement die Regierung in Moskau diese Dislozierung auch immer bekämpfen mag. Die Entwicklung neuer taktischer Sprengköpfe werde er jedoch stoppen, verspricht John McCain nukleare Mittelstreckenwaffen weltweit verbieten und die in Europa gelagerten taktischen Kernwaffen abziehen. “Wir können unsere Nichtverbreitungsziele nicht allein erreichen”, meint McCain und verspricht, “bestehende internationale Verträge und Institutionen gegen die nukleare Verbreitung zu konsolidieren und neue zu entwickeln”. Der 72-jährige Senator aus Arizona will der Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien einen höheren Mitgliedsbeitrag überweisen, sofern er demnächst darüber zu befinden hat. Und im Übrigen sei es Sache des UN-Sicherheitsrates, den Transfer sensitiver Nukleartechnologie zu überwachen. Allein mit militärischen Mitteln könne man eine Weiterverbreitung von Atomwaffen nicht verhindern. Der Einsatz von Gewalt bleibe immer nur ein letzter Schritt. Barack Obama hat viel Prominenz unter seinen Beratern rekrutiert - neben den Ex-Ministern Madeleine Albright, Warren Christopher und William Perry auch den ehemaligen Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski und - immerhin - Friedensforscher Lawrence Korb. Mit Sam Nunn und Joseph Cirincione assistieren ihm zwei engagierte Befürworter der atomaren Abrüstung. Für ihn - so Obama - sei US-Nuklearpolitik immer noch von der “Mentalität des Kalten Krieges” durchsetzt. Deshalb brauche man neue Denkansätze, die Vorschläge von Henry Kissinger, George Shultz, William Perry und Sam Nunn zur Schaffung einer atomwaffenfreien Welt seien es wert, nach einer Politik zu suchen, die ihrer Vision gerecht werde. Im US-Senat hat Barack Obama mehrfach für die Ratifizierung des Teststoppvertrages votiert und gegen die Entwicklung neuer Nuklearsprengköpfe. Auch die Stationierung von Abfangraketen in Osteuropa sieht er skeptisch. Von einseitiger Abrüstung hält der 47-jährige Senator aus Illinois nichts, aber er werde auf Russland zugehen, um zunächst die gefährlich hohe Gefechtsbereitschaft des eigenen Kernwaffen-Arsenals herunter zu fahren und danach die Zahl der Sprengköpfe wesentlich zu reduzieren. “Wir müssen mit anderen Staaten kooperieren, um Atomwaffen abzubauen und Nuklearmaterial zu kontrollieren”, verkündet der Kandidat. “Als Präsident werde ich sagen: Amerika strebt eine Welt an, in der es keine Nuklearwaffen gibt.” Der beste Weg, um die Vereinigten Staaten sicher zu machen, sei nicht, Terroristen mit Atomwaffen zu bedrohen, sondern dafür zu sorgen, dass Nuklearmaterial nicht in deren Hände gerate. Obama verspricht einen raschen Abzug aus dem Irak, setzt im Atomstreit mit Iran auf Verhandlungen und will den Militäretat verringern. McCain hingegen möchte “bis zum Sieg” im Irak ausharren und diesen innerhalb der nächsten fünf Jahre ausrufen können. Bei alldem bleibt als Fazit: Von der neuen US-Regierung ist zwar eine moderatere Rüstungspolitik zu erwarten, aber auf einen Pazifisten im Weißen Haus wird man vergeblich hoffen. Obama würde notfalls Taliban-Stützpunkte in Pakistan bombardieren und sich dafür nicht unbedingt das Plazet der dortigen Regierung einholen. Und John McCain will gegenüber Teheran weiterhin “eine aggressive Diplomatie” und “die militärische Option nicht vom Tisch nehmen.” Wolfgang Kötter ist Konfliktforscher und Politikwissenschaftler an der Uni Potsdam.
Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 27 vom 04.07.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Wolfgang Kötter und des Verlags. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
|