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Tornado-Piloten zwischen Befehl und Völkerrecht

Piloten üben Atombomben-Abwurf


Von Otfried Nassauer

Tornado-Piloten auf dem Fliegerhorst Büchel lernen, wie man Atombomben abwirft. Deren Einsatz ist der Bundeswehr aber nach Ansicht vieler Völkerrechtler verboten. Das sagt auch das Verteidigungsministerium in einer offiziellen Anweisung. Im Ernstfall hätten die Piloten den Schwarzen Peter.

Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) bringt die Bundeswehrpiloten des Jagdbombergeschwaders 33 in Büchel in schwere Gewissensnöte. In einer Neufassung der “Druckschrift Einsatz Nr. 03 Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten” - einer Taschenkarte für Soldaten der Bundeswehr aus dem Juni 2008 - heißt es auf Seite fünf ganz klar: “Insbesondere der Einsatz folgender Kampfmittel ist deutschen Soldaten bzw. Soldatinnen in bewaffneten Konflikten verboten: Antipersonenminen, atomare Waffen, biologische Waffen und chemische Waffen”.

Revidiert Verteidigungsministerium Grundhaltung?

Die Taschenkarte, eine Kurzfassung der Zentralen Dienstvorschrift 15/2, beschreibt die Rechtslage gemäß der von Deutschland ratifizierten völkerrechtlichen Verträge. Erstmals erklärt das Verteidigungsministerium ohne Wenn und Aber, dass Bundeswehrsoldaten keine Nuklearwaffen einsetzen dürfen. Bislang gab es immer einen Vorbehalt, der eine Hintertür eröffnete: Beachtet werden sollten die völkerrechtlichen Regeln “soweit praktisch möglich”. Dieser Vorbehalt ist nun entfallen.

Unklar ist, ob das Verteidigungsministerium nun auch seine Grundhaltung revidiert, um zu garantieren, dass das Völkerrecht ohne Einschränkung eingehalten wird. Bislang durften Bundeswehrpiloten nach Auffassung des Ministeriums im Rahmen eines NATO-Einsatzes Nuklearwaffen abwerfen.

Noch bis zu 20 US-Atombomben in Deutschland

Bis zu 20 US-Atombomben lagern auch heute noch stark gesichert auf dem Fliegerhorst Büchel. Aufbewahrt werden sie in unterirdischen Magazinen, die in den Fußboden der Flugzeug-Hangars eingebaut wurden. Büchel ist der letzte verbliebene Nuklearwaffenstandort in Deutschland, seit die US-Luftwaffe alle Atombomben für ihre eigenen Flugzeuge abgezogen hat.

Diese Atomwaffen ermöglichen es der Bundesrepublik, sich an der umstrittenen nuklearen Teilhabe der NATO zu beteiligen. Im Kriegsfall können Piloten aus Büchel Nuklearwaffen einsetzen, wenn der US-Präsident diese freigegeben hat. Das will gelernt und geübt sein. Deshalb lernen Bundeswehrtechniker, wie man zusammen mit US-Personal Nuklearwaffen an den Tornadoflugzeugen montiert und Bundeswehrpiloten, wie man mit solchen Waffen fliegt und wie man sie abwirft. Regelmäßig überprüfen die US-Streitkräfte mit Nuklearen Sicherheitsinspektionen, ob in Büchel alle relevanten Vorschriften eingehalten werden.

Regierung sieht Mitsprache durch nukleare Teilhabe

Die Bundesregierung verspricht sich von der Fähigkeit, im Krieg US-Nuklearwaffen einsetzen zu können, mehr Mitspracherechte, wenn die Nato einmal konkret planen sollte, Nuklearwaffen einzusetzen. Deshalb hielt das Verteidigungsministerium an dieser Fähigkeit fest.

Einsatzbefehl in den Händen der US-Militärs

Die nukleare Teilhabe aber ist umstritten. Der Nichtverbreitungsvertrag, besser bekannt als Atomwaffensperrvertrag, verbietet es, dass Staaten, die über Atomwaffen verfügen, die Kontrolle über diese Waffen an nichtnukleare Staaten wie Deutschland abgeben. Das gilt - so haben die Vertragsstaaten es festgelegt - zu jeder Zeit und unter allen Umständen, also auch im Krieg.

US-Atomwaffen unter deutschen Jets

Fliegt ein Bundeswehr-Tornado mit deutschen Piloten aber erst einmal, dann hat zweifellos die Besatzung die Kontrolle über die Atomwaffe an Bord. Sie handelt zwar -so betont das Verteidigungsministerium immer wieder - auf Beschluss und Befehl der Nato und erst, nachdem US-Soldaten die Waffe scharf gemacht haben. Das aber ändert nichts daran, dass die Besatzung nun die Kontrolle über die Waffe ausübt. Auch im Zwei-plus-Vier-Vertrag zur Deutschen Einheit hat die Bundesrepublik auf den Besitz und die Verfügung über nukleare Waffen verzichtet und außerdem mehr und auch strengere Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts akzeptiert als die Nuklearmächte, wie zum Beispiel die USA.

Dilemma für die Piloten

Die Piloten stehen jetzt vor einem Dilemma. Sie üben im Frieden, was ihnen im Krieg verboten wäre: Den Einsatz nuklearer Waffen. Dass sie es nicht dürfen, sagt mittlerweile auch ihr Dienstherr, das Verteidigungsministerium. Käme ein nuklearer Einsatzbefehl der Nato, so müssten sie selbst entscheiden, ob sie diesem Folge leisten oder nicht. Was wäre schlimmer: Völkerrechtsbruch oder Befehlsverweigerung?

Beides kann höchst unangenehme rechtliche Folgen für den Einzelnen haben. Deshalb echauffiert sich der Grünen-Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei: “Die Bundesregierung wäscht vorab ihre Hände in völkerrechtlicher Unschuld und macht den Atomwaffeneinsatz im Krieg zum Privatproblem der Piloten”, so der Abgeordnete gegenüber tagesschau.de, “oder soll ich das etwa als versteckten Befehl des Ministers lesen, im Ernstfall den Einsatzbefehl der Nato zu verweigern?” Schon möglich, dass die Piloten es notfalls so lesen: Das Soldatengesetz erlaubt es, offensichtlich rechtswidrige Befehle zu verweigern.

Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS

Quelle: BITS   vom 11.07.2008. Wir veröffentlichen diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung von Otfried Nassauer.

Veröffentlicht am

12. Juli 2008

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