Die sieben energiebedingten WeltkrisenVon Hermann Scheer - Kommentar Die Anhänger des fossil-atomaren Weltbildes machen ihre Rechnung ohne die weltweiten Krisen, die direkt und indirekt von atomaren und fossilen Energien generiert werden. Sieben schwerwiegende Krisen lassen sich ausmachen. Und sie sind in der Zusammenschau zu sehen. 1. Die Weltklimakrise: 1998 hieß es in der Abschlusserklärung der Weltkonferenz der Klimawissenschaftler, dass sich die Welt mit ihrem fossilen Energieverbrauch auf ein Experiment eingelassen habe, dessen Folgen denen eines globalen Atomkriegs gleichkämen. Die Zahl einzelner Katastrophen - Stürme, Fluten, Dürren - steigt, und sie werden heftiger. Sie treten sogar frühzeitiger ein, als vielfach vorausgesagt. 2. Die Erschöpfungs- und Abhängigkeitskrise: Das brisanteste Problem der fossilen Energieversorgung ist die wachsende Abhängigkeit immer mehr Länder von immer weniger Förderquellen, allem voran bei Erdöl und Erdgas. Die USA sind heute bei 56% ihres Energiebedarfs importabhängig, Deutschland zu 80% und Japan zu 95%. Die relativ leicht und kostengünstig zu fördernden Erdölvorkommen gehen in wenigen Jahrzehnten zu Ende. Gleiches gilt für Erdgas. Zur Neige gehende Reserven einerseits und wachsender Bedarf andererseits führen zwangsläufig zu steigenden Energiekosten, die einschneidende Gefahren für die Weltwirtschaft bergen und das soziale Gefüge von Gesellschaften zu zerreißen drohen. Verfügbarkeitskonflikte bis hin zu Kriegen um “billige” Restressourcen sind in dieser Entwicklung angelegt. 3. Die Armutskrise: Entwicklungsländer ohne eigene fossile Ressourcen, also die Mehrzahl, müssen auf den Weltmärkten dasselbe für Energieimporte zahlen wie alle anderen, und das bei einem Bruttosozialprodukt pro Kopf, das deutlich unter 10% der westlichen Industrieländer liegt. Gleichzeitig sind sie wirtschaftlich noch mehr vom nicht leitungsgebundenen Erdöl abhängig. Die Folge der Energiearmut sind Raubbau an Biomasse, Versteppung, Landflucht in überquellende Slums der Städte, Zerstörung sozialer Strukturen und Staatszersetzung, sich zu internationalen Konflikten entwickeln. 4. Die Atomkrise: Seit den 1990er Jahren wollen immer mehr Länder Atomwaffen besitzen, vor allem weil die Atomwaffenstaaten auch nach dem Ende des Ost-West-Konflikts an der Atombewaffnung festgehalten haben. Der Zugang zu atomaren Waffenpotenzialen und die Anheuerung diesbezüglicher Spezialisten ist leichter geworden denn je. Damit ist der Schritt zu Atomwaffen schnell vollziehbar. Die Kündigungsfrist der Mitgliedschaft zum Nichtverbreitungsvertrag beträgt nur drei Monate. Die technische und politische Trennlinie zwischen ziviler und militärischer Nutzung kann also schnell überschritten werden. Hinzu kommt die wachsende Gefahr durch Atomterrorismus. 5. Die Wasserkrise: Die Gesamtwassermenge des Erdballs bleibt zwar konstant. Aber in die Atmosphäre geleitetes kondensiertes Süßwasser, das als Regen in Meeresgewässer fällt, wird dort zu Salzwasser. Die Süßwasserkrise in vielen Regionen des Erdballs geht zu einem erheblichen Teil auf die atomare und fossile Energieversorgung zurück. Drei Viertel des statistisch erfassten Wasserverbrauchs in Deutschland und etwa 50% in den USA gehen auf den Bedarf atomar-fossiler Dampfkraftwerke zurück! Noch gravierender ist das Problem in wasserarmen Regionen. Erheblichen Wasserbedarf gibt es zudem auch für das Waschen geförderter Kohle oder für die Erdölförderung, um damit Förderdruck zu erzeugen. Die Wasserkrise ist damit zu einem erheblichen Teil Resultat des atomar-fossilen Energiesystems. 6. Die Landwirtschaftskrise: Gleiches gilt für die Krise der modernen Landwirtschaft. Durch ihre Umstellung von eigenerzeugter auf chemische Energie sind die wirtschaftlichen Abhängigkeiten in dem der landwirtschaftlichen Produktion vorgelagerten Bereich ständig gewachsen. Die Kosten für den Einkauf von Energie und Düngemitteln sind erheblich gestiegen und reduzieren die Einkommen der Landwirte. Die Reaktion darauf sind weitere Produktionssteigerungen durch vermehrten fossilen Energie- und Düngemitteleinsatz - ein ökologischer und wirtschaftlicher Teufelskreis. 7. Die Gesundheitskrise: Dass schon beim Normalbetrieb von Atomkraftwerken Gesundheitsschäden durch radioaktive Strahlenbelastungen entstehen, wird immer wieder bestritten. Unbestreitbar sind solche im Uranbergbau. Bei Gesundheitsschäden durch fossile Energien sind die Resultate eindeutiger. Etwa ein Viertel der Menschheit ist demnach durch Energieemissionen gesundheitlich beeinträchtigt. Auf 1,8 Millionen jährliche vorzeitige Todesfälle kommt eine WHO-Schätzung allein in Afrika, wo besonders Kinder und Frauen vor allem durch “indoor emissions” betroffen sind, also durch traditionelle Holzverbrennung in Häusern und Hütten in Ermangelung technischer Alternativen zur Energienutzung. Die wechselseitige Krisenansteckung: Nicht zufällig treten die skizzierten Krisen gleichzeitig auf. Je höher der Energieverbrauch, desto mehr heizen sich die damit einhergehenden Probleme an. Man muss nicht einmal die oft beschriebenen Horrorszenarien beschwören, dass das nördliche Europa den warmen Golfstrom verliert und deshalb vereist oder dass weltweit Küstenregionen überschwemmt und dauerhaft unbewohnbar werden, und auch nicht die Gefahren des Durchbrennens eines weiteren Atomreaktors. Solche Gefahren sind mehr oder weniger wahrscheinlich, werden aber immer noch als hypothetisch bewertet. Nicht mehr hypothetisch ist die geschilderte, womöglich immer häufigere Kriseneskalation.
Quelle: Wissenschaft & Frieden 2/2008 Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
|