Atomstreit mit BlickkontaktEin Iraner und ein Amerikaner haben sich in Genf gesehen. Kein Durchbruch im Atomstreit. Aber die Mauer zeigt Risse und man erkennt sogar die Konturen von Türen.
Am Persischen Golf steht nun doch wohl kein weiterer Krieg bevor. Schwere dunkle Wolken hängen da noch, aber das Gewitter ist abgezogen. Die Washingtoner Supermacht-Führer und die Teheraner islamischen Revolutionäre begreifen, dass es den jeweils anderen gibt - auch wenn in den Führungsgruppen beider Mächte noch Sturköpfe mitreden und mitentscheiden. Das Genfer Zusammentreffen des hohen US-Diplomaten William Burns mit dem iranischen Atomunterhändler Said Dschalili konnte noch nicht eitel Sonnenschein schaffen. Es war ohnehin kein Durchbruch zu erwarten. Die Mauern der Interessen, Ideologien und Erinnerungen sind massiv. Burns durfte nicht verhandeln und kein vertrauliches Zweiergespräch führen; dafür hatten die Bremser aus der Cheney-Riege vorbeugend gesorgt. Dschalili durfte um keine Nuance abweichen von der Teheraner Grundposition, die Urananreicherung sei nicht verhandelbar; das hatten seine Vorgesetzten daheim gründlich genug gesagt. Doch beide waren präsent. Die Mauern werden rissig, und durch die Risse erkennt man sogar die Konturen von Türen. Mag sein, dass US-Präsident George W. Bush hofft, seine auslaufende Regierungszeit als Friedensstifter beenden zu können. Bisher ist er der Präsident der Kriege in Afghanistan und Irak und der Einschränkung der Bürgerfreiheit in Reaktion auf den Terrorangriff vom 11. September 2001. Seine Präsidentschaft ist verbunden mit der unmäßigen Bereicherung der Superreichen, der Begünstigung einiger weniger Über-Trusts, beispielloser Rüstungsausgaben, Wirtschaftskrise und Dollarverfall. Ein freundlicheres Kapitel, das von Frieden handelt, kann da nur angenehm sein. Das erklärt die Motive des Kurswechsels noch nicht, der sich da anscheinend anbahnt. Nicht nur Washington, auch Teheran ist in letzter Zeit einiges klarer geworden. Beide Seiten haben offenbar über Gewinn und Verlust im Konfrontationsfall ernsthafter nachzudenken begonnen. Das israelische Luftwaffenmanöver, das einen Angriff auf iranische Atomanlagen simulierte, und die iranische Raketenübung haben gezeigt, was auf dem Spiel steht: die Existenz der unmittelbaren Konfliktparteien im unvermeidlichen Fall weiterer Eskalation und die materielle Existenz der industriellen Zivilisationen, sobald die Versorgung mit Öl und Gas zusammenbricht. Die Meerenge von Hormuz - den Transportweg für zwei Fünftel allen exportierten Erdöls - zu sperren, wird Iran allemal imstande sein, wenn es hart auf hart kommt. Iran ist schon deswegen ein Faktor, der aus keiner Gleichung weggelassen werden kann. Zudem muss es dem letzten Washingtoner Hardliner mittlerweile einleuchten, was die USA selbst mit ihrem Krieg gegen Irak angerichtet haben. Den Zugriff auf das Öl dort sichern sich derzeit die üblichen Konzerne. Der Diktaturstaat Saddam Husseins existiert nicht mehr, doch allen frommen Wünschen zum Trotz existiert auch kein lebensfähiger demokratischer irakischer Staat. Nach zwei Kriegen, einem Jahrzehnt der Sanktionen und geradezu treuherzig unfähigem Besatzungsregime ist die Zivilisation Iraks zusammengebrochen. In dem, was vom Staat übrig geblieben ist, hat der Nachbar Iran stärkere Sympathisanten als je zuvor: die schiitischen Parteien. Und Iran ist zur entscheidend mitbestimmenden Macht in der Region geworden, bleibt dies auch, wenn es keine Nuklearmacht wird und sogar, wenn es auf das ihm zustehende Recht verzichtet, Uran (für zivile Zwecke und international kontrolliert) anzureichern. Teherans “rote Linie” der Unverzichtbarkeit ist eine Frage eher des Prestiges als der technischen Notwendigkeit. Auch dieses Thema ist verhandelbar. Kriegsgrund darf es nicht sein. Verhandelt wird zwar noch nicht; selbst auf das “doppelte Einfrieren” (in nächster Zeit keine neue Urananreicherung und keine neuen Sanktionen) einigte sich die Genfer Runde nicht. Wie hätte sie auch sollen. Dass sie die weitere Eskalation abgewendet hat, ist der wesentliche Fortschritt. Ein Richtungswechsel auf eine neue Straße wird wahrscheinlicher. Die Klügeren in den beteiligten Hauptstädten haben verstanden, dass Krieg nicht als Politik-Ersatz taugt. Zu Carl von Clausewitz’ Zeit mag er noch als Fortsetzung der Politik zu definieren gewesen sein; aber Clausewitz hat die Konsequenz mitgedacht, dass die Parteien danach noch in der Lage sein müssen, miteinander Politik zu treiben. Und damit postmoderne Ideologen es verstehen: Es ist immer ein Plan B nötig. Manchmal ist er besser als Plan A.
Quelle: Frankfurter Rundschau vom 21.07.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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