Eine atomwaffenfreie Welt - Vision und Wirklichkeit: 2. Die Kubakrise als Katalysator: Der Vertrag von Tlatelolco über eine kernwaffenfreie Zone in LateinamerikaVon Wolfgang Kötter Mit der Kubakrise von 1962 rückte Lateinamerika in den Brennpunkt der Weltpolitik. Hier gerieten die Supermächte Sowjetunion und USA erstmals dramatisch nahe an einen direkten nuklearen Schlagabtausch. Dreizehn Tage lang stand die Welt am Abgrund eines Atomwaffenkrieges. Er hätte katastrophale Folgen vor allem für die unmittelbar betroffenen Länder der Region gebracht (siehe Infokasten). Irrtümer und Fehleinschätzungen hatten die Welt in die gefährlichste Krise der Nachkriegszeit gestürzt. Später stellte sich heraus, dass die Sowjetunion bereits funktionstüchtige atomare Kurzstrecken-Raketen auf Kuba stationiert hatte. Sie sollten gegen die erwarteten US-Invasionstruppen eingesetzt werden. Wäre das geschehen, so erklärte US-Verteidigungsminister McNamara rückblickend, hätten die USA “zu 99 Prozent” einen nuklearen Vergeltungsschlag gegen die UdSSR ausgelöst. In beiden Lagern gab es genug Scharfmacher, die den Nuklearkrieg wirklich riskieren wollten. So warf US-Luftwaffenchef Curtis LeMay Kennedy vor, er habe “die größte Niederlage unserer Geschichte” hingenommen und Fidel Castro soll Chruschtschow ein feiges “Arschloch” genannt haben, er selbst hätte den Abschuss der Atomraketen befohlen. Beide Supermächte zogen Lehren aus der Beinahekatastrophe: Sie schufen mit dem “heißen Draht” eine Direktverbindung zwischen den Hauptstädten, um bei künftigen Krisen direkt kommunizieren und folgenschwere Missverständnisse vermeiden zu können. Außerdem begannen erste Verhandlungen zur nuklearen Rüstungskontrolle, die alsbald zum Teil-Teststoppvertrag führten. McNamara räumte später ein: “Wir standen so nah am nuklearen Abgrund wie nie zuvor. Und verhindert haben wir den atomaren Schlagabtausch nicht etwa durch ein gekonntes Management, sondern durch schieres Glück. Keiner von uns begriff damals wirklich, wie nahe wir am Rand der Katastrophe standen.” Das Schockereignis des nur knapp vermiedenen atomaren Showdowns wirkte für die Länder Lateinamerikas als traumatisches Grunderlebnis. Durch die Schaffung einer von Nuklearwaffen freien Zone suchten sie ihm zu entkommen. Eine Region, die selbst ohne Atomwaffen ist, so hoffte einer der Gründungsväter und spätere Außenminister Alfonso García Robles aus Mexiko, stellt für niemanden eine Bedrohung und deshalb auch kein Angriffsziel dar: “Wenn ich weiß, dass meine Nachbarn nicht an der Bombe bauen, gibt es auch für mich keinen Grund dazu.” Auf seine Initiative hin begannen am 15. März 1965 die Verhandlungen in Tlatelolco, einem Vorort von Mexiko City, und wurden zwei Jahre später erfolgreich abgeschlossen. Der “Vertrag über das Verbot von Kernwaffen in Lateinamerika und der Karibik” verbietet die Produktion, den Erwerb, die Anwendung, Erprobung, Entgegennahme, Lagerung und Stationierung von Kernwaffen in der Region und den angrenzenden Seegebieten. Die Partner werden zur ausschließlich friedlichen Kernenergienutzung verpflichtet und dürfen sich nicht an militärisch orientierten Nuklearaktivitäten in anderen Ländern beteiligen. Friedliche Kernexplosionen, z.B. für die Errichtung eines Staudamms oder zur Flussbegradigung, wie auch der Transit von Kernwaffen bleiben jedoch erlaubt. In Zusatzprotokoll I verpflichten sich die Staaten mit Territorialhoheit (Frankreich, Großbritannien, Niederlande und USA), den kernwaffenfreien Status der Mitgliedstaaten zu respektieren und in Protokoll II garantieren die offiziellen Kernwaffenmächte (China, Frankreich, Großbritannien, Sowjetunion/Russland und die USA), keinen Staat der Zone mit Atomwaffen anzugreifen. Seit auch Kuba im Jahre 2002 beigetreten ist, gehören heute alle Regionalstaaten der kernwaffenfreien Zone an.
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