“Ich fühlte, dass die Stadt Hiroshima auf einen Schlag verschwunden war”Zeugenbericht von Akihiro Takahashi über den 6. August 1945 in Hiroshima
Akihiro Takahashi: Wir waren gerade dabei, alle an einer Stelle auf dem Gelände der Hiroshima Gemeinde-Mittelschule anzutreten. Die Position der Schule war nicht viel anders als heute und das Podest war noch nicht an der heutigen Stelle. Als wir uns gegenüber der Frontseite in einer Reihe aufstellten, sahen wir, wie sich eine B-29 näherte und über uns hinweg flog. Wir alle sahen in den Himmel hinauf und zeigten auf das Flugzeug. Dann kamen die Lehrer aus dem Schulgebäude und die Klassenleiter gaben uns den Befehl, anzutreten. Unsere Gesichter wendeten sich alle vom Himmel weg hin zum Podest. Das war der Moment, als die Druckwelle uns erreichte. Und dann gab es einen gewaltigen Lärm und wir waren auf einmal im Dunkeln. Ich konnte im Moment der Explosion nichts sehen, genau wie auf diesem Bild. Wir alle waren von der Druckwelle umgeworfen worden. Natürlich konnte ich das erst erkennen, als die Dunkelheit verschwand. Ich wurde tatsächlich zehn Meter weit geschleudert. Meine Freunde wurden alle genauso auf den Boden geworfen. Soweit ich sehen konnte, war alles eingestürzt. Ich fühlte, dass die Stadt Hiroshima auf einen Schlag verschwunden war. Dann blickte ich an mir hinunter und sah, dass meine Kleidung sich durch die Hitze in Fetzen aufgelöst hatte. Ich war wahrscheinlich am Hinterkopf, am Rücken, beiden Armen und beiden Beinen verbrannt. Meine Haut löste sich und hing in Fetzen herunter. Automatisch begann ich Richtung Westen zu laufen, weil dort mein Zuhause war. Nach einer Weile bemerkte ich, wie jemand meinen Namen rief. Ich sah mich um und fand einen Freund von mir, der in meiner Stadt lebte und zur gleichen Schule ging. Sein Name war Yamamoto. Genau wie ich hatte er sehr schlimme Verbrennungen. Wir gingen Richtung Fluss. Auf dem Weg sahen wir viele Opfer. Ich sah einen Mann, dessen Haut sich vom gesamten Oberkörper abgeblättert hatte und eine Frau, deren Augäpfel hervorstanden. Ihr Baby blutete überall. Eine Mutter und ihr Baby lagen auf dem Boden, die Haut völlig abgeschält. Verzweifelt krochen wir unseren Weg. Und endlich erreichten wir das Flussufer. Im gleichen Moment brach ein Feuer aus. Wir konnten dem Feuer nur knapp entkommen. Wären wir nur eine Sekunde langsamer gewesen, hätte uns das Feuer getötet. Flammen wurden in den Himmel geblasen, vier oder sogar fünf 5 Meter hoch. Eine kleine hölzerne Brücke war übrig geblieben, die nicht von der Explosion zerstört wurde. Ich ging über diese Brücke hinüber auf die andere Seite des Flusses. Aber Yamamoto war nicht mehr bei mir. Er ist irgendwo verloren gegangen. Ich erinnere mich daran, dass ich allein den Fluss überquert habe und auf der anderen Seite habe ich mich dreimal in den Fluss übergeben müssen. Die Hitze war unerträglich. Ich fühlte mich, als würde mein ganzer Körper in Flammen stehen. Für meinen glühenden Körper war das kalte Wasser des Flusses so kostbar wie ein Schatz. Dann verließ ich den Fluss und lief entlang der Bahnschienen in Richtung meines Zuhauses. Auf dem Weg stieß ich auf einen anderen Freund, Tokujiro Hatta. Ich fragte mich, warum seine Fußsohlen so schlimm verbrannt waren. Es war undenkbar an der Stelle Verbrennungen zu erleiden. Aber es war nicht zu leugnen, die Sohlen lösten sich ab und das rote Muskelfleisch lag frei. Auch wenn ich selbst fürchterlich verbrannt war, konnte ich nicht nach Hause gehen, ohne ihn zu beachten. Ich brachte ihn dazu, auf Armen und Knien zu kriechen. Dann brachte ich ihn dazu, auf seinen Fersen zu stehen und stützte ihn. Wir gingen in Richtung meines Hauses, indem wir beide Methoden abwechselten. Als wir uns ausruhten, weil wir so erschöpft waren, sah ich den Bruder meines Großvaters und seine Frau, also Großonkel und Großtante, auf uns zukommen. Das war reiner Zufall. Wie Sie wissen, haben wir ein Sprichwort darüber, Buddha in der Hölle zu treffen. Mein Zusammentreffen mit meinen Verwandten war so etwas. Sie erschienen mir wie Buddha, der durch die lebende Hölle wandert. Danach war ich eineinhalb Jahre in medizinischer Behandlung und wie durch ein Wunder erholte ich mich. Von 60 Klassenkameraden auf der Mittelschule leben heute nur noch zehn. Yamamoto und Hatta starben bald darauf durch die heftigen Strahlenleiden. Die radioaktive Strahlung zerfraß die Körper und tötete sie. Ich selbst lebe immer noch auf dieser Welt und leide an den Spätfolgen der Bombe. Ich muss regelmäßig zum Ohren- und Augenarzt, zum Dermatologen und zum Chirurgen. Jeden Tag ist mir unwohl wegen meiner Gesundheit. Des Weiteren habe an beiden Händen Narben. Meine Verletzungen waren an der rechten Hand am schlimmsten und ich hatte dort schreckliche Narben. Sie wurden mir 1954 chirurgisch entfernt, wodurch es mir ermöglicht wurde, mein Handgelenk ein wenig zu bewegen. Meine Finger sind unbeweglich und mein Ellenbogen ist im 120°-Winkel fixiert und lässt sich nicht bewegen. Die Muskeln und Knochen sind aneinander befestigt. Außerdem hat der vierte Finger meiner rechten Hand keinen normalen Nagel. Der Fingernagel dort ist schwarz. Ein Stück Glas, dass durch die Druckwelle durch die Luft geschleudert wurde, steckte dort fest und zerstörte die Zellen am Anfang des Fingers. Deswegen wurde der Fingernagel dort schwarz und wird auch weiterhin schwarz nachwachsen und nie wieder normal werden. Wie auch immer, zusammen mit 9 meiner Klassenkameraden bin ich nun 40 Jahre am Leben. Ich habe gelebt im Glauben, dass wir diese Untiefe von Opfern nie verschwenden dürfen. Ich schleife meinen kranken Körper durchs Leben und von Zeit zu Zeit frage ich mich, ob es wert ist, nur mit Mühe und Schmerz leben zu können und dann verzweifle ich. Aber es ist Zeit, dass ich mich zusammenreiße und mir sage, dass ich nun, wo mein Leben einmal gerettet wurde, meinen Auftrag als Überlebender erfüllen sollte - in anderen Worten, es war und ist mein fester Glaube, dass diejenigen, die überlebt haben, weitermachen und ihre Erlebnisse erzählen müssen. Das Überliefern dieser schrecklichen Erinnerungen an zukünftige Generationen soll für die vielen stummen Stimmen derer stehen, die in diesem Elend sterben mussten. Bis an mein Lebensende möchte ich diesen Auftrag erfüllen und ganz Japan und der Welt meine Erlebnisse berichten. Deutsche Übersetzung: Caroline Unger. Englische Fassung: Testimony of Akihiro Takahashi .
Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
|