Eine atomwaffenfreie Welt - Vision und Wirklichkeit: 6. “Unsere zukunft - atomwaffenfrei!” - Für ein atomwaffenfreies DeutschlandVon Wolfgang Kötter Die beiden deutschen Staaten gehörten während des Kalten Krieges zu den am dichtesten mit Atomwaffen bestückten Regionen. Allein im Westen waren Berechnungen der Wissenschaftlerorganisation Federation of American Scientists zufolge etwa 7.300 Atomsprengköpfe der Alliierten deponiert. Ab 1953 verlegten die USA zunächst als "Atomic Annie" bezeichnete Atomgeschütze, dann atomare Fliegerbomben, später aber auch Granaten, Raketen und Atomminen in die Bundesrepublik. Berühmtberüchtigt wurde der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer mit seiner Forderung nach Ausrüstung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen, denn sie seien ja "nichts weiter als die Weiterentwicklung der Artillerie". Einer der emsigsten Befürworter des deutschen Kernwaffenbesitzes, der Atom- und spätere Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, befand, die Deutschen könnten "den Russen doch nicht mit Pfeil und Bogen" gegenüberstehen. Im Osten waren andererseits seit 1958 sowjetische nukleare Trägermittel z.B. in den brandenburgischen Wäldern nahe dem kleinen Ort Himmelpfort zwischen Fürstenberg und Lychen, später auch bei Storkow, und eine kleinere aber nicht exakt bekannte Zahl von Sprengköpfen stationiert, die bis 1991/92 endgültig abgezogen wurden. Nicht nur, dass auf deutschem Boden die atomaren Vernichtungswaffen so dicht wie nirgends sonst gesät lagerten. Hier drohte im Konfliktfall auch am ehesten ein Atomkrieg zwischen Ost und West auszubrechen. Das Territorium sowohl der Bundesrepublik als auch der DDR wäre zum ersten Gefechtsfeld eines nuklearen Schlagabtausches mit Millionen Opfern geworden. Die atomar aufmunitionierten Jagdbomber der US-Air-Force befanden sich in Sofortbereitschaft und konnten binnen Minuten von den Militärflughäfen Memmingen in Bayern und Nörvenich in Nordrhein-Westfalen abheben. Regelmäßig übten sie den Luft-Boden-Einsatz atomarer Waffen auf den Schießplätzen Nordhorn und Siegenburg. Nicht vergessen werden sollte auch, dass die Alt-Bundesrepublik Deutschland in der Vergangenheit eine höchst unrühmliche Rolle gespielt hat, um sich die nukleare Option möglichst lange offenzuhalten. In den 1950er und -60er Jahren galt die BRD als einer der hartnäckigsten Anwärter auf den Atomwaffenbesitz. Während der Verhandlungen zum Atomwaffensperrvertrag trat sie als Hauptbremser auf, verwässerte den Abkommenstext, wo sie nur konnte und unterzeichnete den Nichtverbreitungsvertrag mit mehr als einem Jahr Verspätung erst im November 1969. Bis zur Ratifikation vergingen dann noch weitere vier Jahre. Heute bekennt sich Deutschland zum nuklearen Nichtverbreitungsregime, aber das Engagement für die nukleare Abrüstung ist bestenfalls lauwarm. Zwei Jahrzehnte nach Ende des Kalten Krieges proben die USA in dem verträumten Eifeldorf Büchel mit seinen 1160 Einwohnern immer noch den Nuklearkrieg. In unterirdischen Bunkern unweit des Ortsausgangs halten sie bis zu 20 Atomwaffen vom Typ B61 mit einer Sprengkraft von insgesamt 150 Hiroshima-Bomben einsatzbereit. Im Ernstfall würden hier die Bomben unter Bundeswehr-Tornados montiert und entsprechend der "nuklearen Teilhabe" von deutschen Soldaten des Jagdbombengeschwaders 33 transportiert und abgeworfen. Doch der Widerstand gegen die Atomwaffen in Deutschland wächst, zumal einer aktuellen Studie zufolge die Sicherheitsvorkehrungen längst nicht den geltenden Standards entsprechen. Der Atomwaffenexperte Hans Kristensen von der Federation of American Scientists machte einen Untersuchungsbericht der US-Air-Force öffentlich, der erhebliche Sicherheitsmängel feststellt. Reklamiert werden z.B. reparaturbedürftige Gebäude, Zäune, ungenügende Ausleuchtung der Anlagen und Sicherheitssysteme. Bundeswehrsoldaten im Grundwehrdienst ohne Spezialausbildung und wenig Erfahrung sollen die Waffen vor Diebstahl durch Kriminelle oder Terroristen schützen. Darüber hinaus seien die Dienstposten nur einfach besetzt, so dass schon bei Krankschreibungen oder Personalwechsel bestimmte Aufgaben nicht mehr wahrgenommen werden können. Die Atomwaffengegner in Deutschland haben sich gut organisiert. 48 Vereine, Verbände und Initiativen, darunter Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW), Bürgermeister für den Frieden, die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), schlossen sich zum Bündnis "unsere zukunft - atomwaffenfrei" zusammen (Mitgliedsorganisationen siehe unten). Im Mai übergab eine Abordnung im Bundeskanzleramt 10.000 Unterschriften mit Forderungen nach Abschluss einer internationalen Konvention zum Verbot aller Atomwaffen. In einem offenen Brief forderte die Initiative Kanzlerin Angela Merkel im Juni zur Beendigung der deutschen Teilhabe und den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland bis spätestens 2010 auf. Für den Fall, dass bis zum Hiroshima-Tag am 6. August keine entsprechenden Taten folgen, kündigt das Bündnis für die Zeit vom 23. August bis 1. September ein Aktionscamp "Kehraus" am Atomwaffenlager Büchel an. "Bringt Besen mit!", rufen sie die Teilnehmer auf, um gemeinsam die Atomwaffen in die symbolische Tonne zu kehren. Mit einer Großdemonstration am 30. August, einer gewaltfreien "Go-In-Aktion" , die den reibungslosen Arbeitsablauf stören soll, und 16-km-Wanderungen um den Fliegerhorst wollen die Friedensgruppen gegen die Atomwaffenpolitik der Bundesregierung protestieren.
USA-Atomwaffen in Europa
Quelle: Federation of American Scientists
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