Eine atomwaffenfreie Welt - Vision und Wirklichkeit: 7. Chancen und Perspektiven der AtomwaffenfreiheitVon Wolfgang Kötter Überall auf der Welt gedenken Menschen in diesen Tagen (6.und 9.8.) der US-Atombombenabwürfe auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki vor 63 Jahren. Sie forderten mehr als 240.000 Todesopfer und immer noch leiden tausende Überlebende an unheilbaren Folgeschäden. Nur die vollständige Beseitigung aller Atomwaffen kann die Wiederholung einer solchen Tragödie verhindern und deshalb darf keine noch so geringe Chance, die zu diesem Ziel führen kann, vergeben werden. Wir beenden unsere siebenteilige Folge mit einem Ausblick auf Projekte und Perspektiven für eine Welt ohne Nuklearwaffen. Angesichts der neuen Spirale im nuklearen Wettrüsten wenden sich Rüstungsgegner aber auch immer mehr verantwortungsvolle Politiker nachdrücklich dem Konzept kernwaffenfreier Zonen als einer möglichen Abwehr der existentiellen Bedrohung zu. Doch die Atomwaffenmächte zelebrieren gerade eine neue Renaissance der Nuklearwaffen. Sie reduzieren zwar deren Anzahl, erhöhen jedoch Zielgenauigkeit wie auch Zerstörungskraft und in den Sicherheitsdoktrinen rangieren Nuklearwaffen ganz oben. Das könnte einen gefährlichen Dominoeffekt in Gang setzen, bei dem weitere Staaten nach der verheerenden Massenvernichtungswaffe greifen. Mehr als ein Dutzend Anwärter könnten demnächst die Schwelle zum exklusiven Club der Atomwaffenmächte überschreiten. Dazu gehören neben dem Iran auch Ägypten, Algerien, Argentinien, Brasilien, Japan, Saudi-Arabien, Syrien, Südafrika, Südkorea, Taiwan, Venezuela und sogar die Türkei. Wenn auch nur ein Staat Atomwaffen hat, werden andere sie ebenfalls haben wollen, warnen Abrüstungsexperten. Solange diese Waffen existieren, wird auch das Risiko bestehen, dass sie eines Tages absichtlich oder irrtümlich benutzt werden. Jegliche Anwendung wäre katastrophal. Der Ost-West-Konflikt ist inzwischen überwunden, dennoch stehen in Europa einer Entnuklearisierung immer noch erhebliche Barrieren entgegen. Frankreich verfügt über ca. 350 Kernwaffen und Großbritannien besitzt rund 200 nukleare Sprengköpfe. Dazu kommen bis zu 340 US-Atombomben vom Typ B-61, von denen jede die mehrfache Zerstörungskraft der Hiroshimabombe besitzt. Die USA haben sie in Belgien, Deutschland, Italien, den Niederlanden und in der Türkei stationiert. Nach dem Ende des Kalten Krieges sahen viele Staaten zunächst Chancen für weitere Projekte kernwaffenfreier Zonen. Ein atomwaffenfreies Mitteleuropa von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer strebte Belorussland eine zeitlang an. Da entsprechend dem 2+4-Vertrag in den östlichen Bundesländern Deutschlands keine Kernwaffen stationiert werden dürfen, wäre somit das gesamte Territorium zwischen Elbe und russischer Westgrenze zu einem völkerrechtlich garantierten atomwaffenfreien Raum geworden. Inzwischen legten die Neu-NATO-Staaten bzw. -bewerber in Osteuropa die Idee allerdings zu den Akten. Die Auseinandersetzung um das Atomprogramm Irans und die Bemühungen zur Wiederbelebung des Friedensprozesses im Nahen Osten machen die Schaffung einer kernwaffenfreien Zone in dieser Region dringender denn je. Israel hat unmissverständlich deutlich gemacht, dass es einen nuklear bewaffneten Iran für lebensbedrohlich hält und auf keinen Fall dulden wird. Beide Seiten rasseln zurzeit mit dem Säbel und demonstrieren in martialischen Manövern militärische Stärke. Für den Fall, dass israelische Bomben auf iranische Atomanlagen in Natanz und Isfahan fallen, stehen tausende Antwortraketen zum sofortigen Gegenschlag auf Jerusalem, Tel Aviv und die atomare Waffenschmiede Dimona bereit. Das aber bedeutet Krieg und würde den gesamten Nahen und Mittleren Osten in ein Flammenmeer verwandeln. Andererseits bilden die Atomwaffen Israels eines der Hauptprobleme für den immer wieder stockenden Friedensprozess und liefern den arabischen Nachbarstaaten den Grund, sich offen oder verdeckt um eine eigene Nuklearoption zu bemühen. Darum könnten sofortige und ernsthafte Bemühungen aller Beteiligten um eine kernwaffenfreie Zone möglicherweise der einzige Ausweg aus der hochexplosiven Situation sein. Erschreckende Aktualität erhält die Kernwaffenfreiheit ebenfalls im Lichte der von der Bush-Administration entwickelten Präventivkriegs-Doktrin, denn diese sieht im Bedarfsfall auch den unilateralen Ersteinsatz von Atomwaffen vor. Abkommen der räumlichen Denuklearisierung könnten durch den erwiesenen Verzicht auf den Besitz, die Herstellung und die Erprobung derartiger Massenvernichtungswaffen für die Teilnehmer eine gewisse Schutzfunktion erfüllen. Sie binden auch die Kernwaffenmächte in einen völkerrechtlichen Verpflichtungsrahmen ein und begrenzen deren nukleare Kriegsführungsoptionen. Nuklearfreie Zonen reduzieren Bedrohungsängste und verhindern regionale nukleare Aufrüstung. Das Vorgehen wirkt somit einerseits der weiteren Verbreitung von Nuklearwaffen entgegen, kann aber gleichzeitig eine Zwischenetappe zur umfassenden nuklearen Abrüstung darstellen. Seit einigen Jahren verfolgt Brasilien in der UNO die Initiative für eine "Kernwaffenfreie Süd-Hemisphäre", die von rund 170 Staaten unterstützt wird. Die bereits existierenden Zonen und die vertraglich seit langem nuklearfreie Antarktis würden zu einem einheitlichen Netzwerk verknüpft werden. Damit entstände ein internationaler Rechtsrahmen für die südliche Hälfte der Welt, in der bereits fast zwei Milliarden Menschen in über 100 Staaten von Nuklearwaffen befreit sind. Sofortmaßnahmen zum Ingangsetzen der nuklearen Abrüstung:
1. Verhandlungen zwischen Russland und den USA über weitergehende Reduzierungen der Nukleararsenale, Einbeziehung der übrigen Atomwaffenmächte. 2. Abzug der vorne und im Ausland stationierten Atomwaffen mit dem Ziel ihrer völligen Beseitigung. 3. Ratifizieren und Inkraftsetzen des Nuklearen Teststoppvertrages. 4. Verlängerung der Vorwarnzeit durch Herabsetzung des Alarmstatus der Atomwaffen. 5. Verbesserung des Schutzes und der Sicherheit bestehender Nukleararsenale vor Diebstahl und Überfällen. 6. Vereinbarung eines Produktionsstopps für nukleares Spaltmaterial zu militärischen Zwecken. 7. Reduzierung und langfristige Eliminierung taktischer Nuklearwaffen mit bis zu 150 km Reichweite. Atomwaffenarsenale weltweit (2008)
Quellen: Arms Control Association, Bulletin of the Atomic Scientists
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