Obama ist ein neuer Akteur auf derselben alten Bühne
Falls Obama gewählt wird, muss er sich in der Nahost-Tragödie auf eine Seite stellen.
Von Robert Fisk, 04.08.2008 - The Independent / ZNet
Als Obama seine theatralische Reise durch den Nahen/Mittleren Osten unternahm, war ich im Studio von Al Dschasiera. (Der Satellitensender mit Sitz in Katar war in Colin Powells Augen so demokratisch, dass Bush ihn [später] bombardieren wollte.) Als wir auf Sendung waren, sprach ich von einem "Theater". Der Redakteur versuchte verzweifelt, aus dem ganzen lächerlichen Tanz eine gewisse Hoffnung für die Araber zu filtern. Keine Chance, sagte ich. Für die Araber wird es nicht den geringsten Unterschied machen, ob McCain gewählt wird oder Obama.
Im Westen glaubt man, Obama sei den Arabern aufgrund seines zweiten Vornamens und aufgrund seiner schwarzen Hautfarbe sympathisch. Falsch, sie mögen ihn - oder vielmehr mochten ihn -, weil er in armen Verhältnissen aufwuchs. Er begreift, was es heißt, unterdrückt zu sein - das hatten sie zumindest gedacht. Doch schnell stellten sie fest, an welcher Stelle der Nahrungskette sie rangierten: 45 Minuten nahm sich Obama Zeit für Ramallah, 24 Stunden für Israel. Das war seine Gleichung. Ja, ich weiß, dass man von jeher sagt: Jeder US-Präsidentschaftskandidat muss an die Klagemauer pilgern, nach Yad Vashem und in israelische Dörfer und Städte, in denen es zu Opfern kam (und wenn es nur ein Bruchteil der Opfer ist, die den Palästinensern zugefügt werden), um von der Sicherheit Israels zu reden usw.. Ständig sagt man uns, Israel werde es nicht leicht haben, wenn der US-Präsident erst gewählt sei. Falsch. Israel wird es leicht haben. Kaum gewählt, wird der neue US-Präsident in die Nahost-Tragödie verstrickt werden und sich auf eine Seite stellen müssen - auf die israelische natürlich. Dann wird die nächste Wahl kommen, und dem Präsidenten werden wieder die Hände gebunden sein. Er wird von Israels Sicherheit sprechen (und nicht von der palästinensischen Sicherheit), und wir werden dasselbe alte Schlamassel erneut erleben.
Nehmen wir nur die Libanesen. Sie glauben nach wie vor, eine (israelische) Regierung unter der Arbeitspartei wäre besser als eine Kadima- oder Likud-Regierung. Gute Idee. Doch die Bomben werden weiter auf den Libanon fallen, egal, wer in Israel regiert. Natürlich sollte ein US-Präsident über das enorme Leid der Juden im ‘Holocaust’ Bescheid wissen. Es ist traurig, dass die Araber dieses Leid immer noch nicht anerkennen. Doch der Zweite Weltkrieg ist vorbei. Heute baut Israel Kolonien für Juden - und nur für Juden - auf arabischem Land. Das Bauen geht weiter. Obama machte die üblichen Bemerkungen über die jüdischen Siedlungen: Sie seien nicht hilfreich für den Frieden. Gordon Brown hatte wenige Tage zuvor dasselbe gesagt. Die Israelis haben gezeigt, wieviel sie auf Obama und Brown geben: Keine 24 Stunden nach Obamas Abreise kündigten sie den Bau neuer Kolonien an.
Ist niemandem aufgefallen, dass Obama zwei der erbärmlichsten Nieten der amerikanischen Nahost-Politik zu seinen Beratern gemacht hat? Da ist zum einen Dennis Ross, ein früheres prominentes Führungsmitglied des AIPAC (der mächtigsten Israellobby in den USA; es ist derselbe AIPAC, vor dem Obama im letzten Monat geschleimt hat, genau). Ross war derjenige, der das Abkommen von Oslo nicht zum Funktionieren brachte. Die zweite Person ist Madeleine Albright. Als US-Botschafterin bei der UNO sagte sie einst, die Iraksanktionen seien "es wert", dass eine halbe Million irakische Kinder gestorben seien. Auf Albright geht die (spätere) Äußerung zurück, Israel befinde sich "unter Belagerung". Es war wohl das einzige Mal - jemals - dass eine Person der US-Politik glaubte, palästinensische Panzer stünden in den Straßen von Tel Aviv.
Das ermüdende alte Bühnenstück ist noch nicht zu Ende, aber niemand verfolgt mehr die Handlung, weil sich alles so wiederholt. Nehmen wir nur Nouri al-Maliki, den PMIGZ (Premierminister in der Grünen Zone des Irak). Er war das Hauptziel der US-Demokraten, jetzt ist er plötzlich ihr Wahlkampf-"Superkumpel (wie Max Boot in The Washington Post so treffend bemerkte). Maliki machte gegenüber Obama den Vorschlag, der Irak werde bis 2010 in der Lage sein, die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Bingo, passt prima zu Obamas eigenen Versprechen.
Aber langsam. Im Mai 2006 hatte Mailiki angekündigt: "Unsere Kräfte werden in anderthalb Jahren fähig sein, die Sicherheit in allen irakischen Provinzen zu übernehmen". Fünf Monate später kündigte derselbe ‘Premierminister der Grünen Zone’ an, es sei nur eine Frage "von Monaten", bevor die irakischen Kräfte "das Sicherheits-Portfolio komplett übernehmen und einige (!) multinationale Kräfte in lediglich unterstützender Rolle" im Land behalten würden. Im Januar 2007 schließlich protzte er, "unser Bedarf an amerikanischen Truppen wird innerhalb von drei bis sechs Monaten dramatisch sinken".
Vier Monate später kam er erneut darauf zu sprechen. Diesmal behauptete er, die irakischen Kräfte würden binnen acht Monaten die Sicherheit "in allen Provinzen" kontrollieren. Seine eigenen Militär-Kumpels weisen diesen Blödsinn von sich - die Idee ist abwegig, dass es im Irak ein Sicherheits-"Portfolio" gibt. Selbst der Verteidigungsminister des ‘Premierministers der Grünen Zone’ sagt, seine Streitkräfte könnten die Verantwortung nicht vor 2012 übernehmen, und der (irakische) Kommandeur von Basra will die US-Truppen gar bis 2020 halten!
Aber selbst wenn wir all diese Probleme ignorierten - was wird Obama mit seinen Truppen machen, wenn er sie aus dem Irak abzieht? Er wird die armen Teufel wieder nach Afghanistan (dem Friedhof der ausländischen Armeen) senden, wo die Taliban 2001 so gründlich besiegt wurden, dass sie heute stärker sind denn je. Ich würde Obama empfehlen, einen Blick in den Appendix XXIV (Ergänzung 24) des offiziellen britischen Berichts über den Zweiten Afghanistankrieg 1878- 80 zu werfen. Die Briten verkünden darin ihren Sieg über eine massive afghanische Streitmacht, zu der auch eine wilde Gruppe gehörte, die als "Talibs" bekannt war. Diese Männer suchten sich einzelne Soldaten aus den Reihen der Briten aus und griffen sie in Selbstmordmanier an: Sie packten einen Soldaten und schnitten ihm, vor den Augen seiner Kameraden, die Kehle durch.
Ich "entsinne" (wie Jack Straw zu sagen pflegte, um mit seinem guten Englisch zu protzen) eine nüchterne Unterhaltung, die ich in den letzten Tagen der dunklen Talibanherrschaft 2001 mit einem Berater der Taliban-"Ältesten" in Kandahar geführt habe, einem gewissen Mullah Abdullah. "Wenn unsere Leute zurückkehren und dieses verlorene Land wieder holen, wird dies ein Erfolg sein", sagte er. "Wenn wir bei dem Versuch sterben, werden wir Märtyrer sein. Auch das wäre ein großer Erfolg für uns… Wenn wir aus Kandahar geworfen werden, gehen wir in die Berge und starten einen Guerillakrieg, wie damals gegen die Russen". Die Taliban würden weiterkämpfen, sagte er damals. Sie würden mehr und mehr Anschläge auf die Amerikaner verüben. Und so wird Obama in einem weiteren muslimischen Land seine Truppen verstärken, um weiterzukämpfen - falls er die Wahl gewinnen sollte.
Quelle:
ZNet Deutschland
vom 30.07.2008. Originalartikel:
New actor on the same old stage
. Übersetzt von: Andrea Noll.