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Der Einzige, der es vorausgesehen hat

Im Gespräch: Der Dramatiker Rolf Hochhuth über die Idee, den Hitler-Attentäter Johann Georg Elser in Berlin mit einem Denkmal zu ehren
 

FREITAG: Herr Hochhuth, Sie wollen Johann Georg Elser, der am 8. November 1939 das gescheiterte Attentat auf Adolf Hitler im Münchener Bürgerbräukeller verübte, in Berlin mit einem Denkmal ehren. Warum?

ROLF HOCHHUTH: Er ist wegen seiner Tat der vorbildlichste Mensch, den wir Deutschen im 20. Jahrhundert hatten. Doch es ist ein ganz schreckliches Kapitel, dass seine Tat so lange völlig ignoriert wurde. Sie müssen sich vorstellen, dass das 22-bändige Brockhaus-Lexikon ihn bis 1997 nicht genannt hat, dass er in den meisten Hitler-Biografien, u. a. von Joachim Fest, nicht genannt wird, dass Golo Mann ihn in der Deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts nicht erwähnt. Er hatte eben niemanden um sich, er war der vollkommene Einzelgänger; und durch den Wutschrei Hitlers, Elser sei "nichts als ein Werkzeug des britischen Geheimdienstes" hat man noch Jahrzehnte später die Tat des konsequenten Elser abstreiten wollen. Er war der Wilhelm Tell der modernen Zeiten, Einsamster in seinem Volk, das ihn fast kollektiv denunzierte, weil es den Führer liebte wie Bier und Beischlaf. - Ich denke, er war der Einzige von 80 Millionen Deutschen, der es vorausgesehen hat.

Wie konnte dieser Einzelgänger die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts vorausahnen?

Die Judenvernichtung war ja gar nicht absehbar, davon wusste er nichts. Es gab die so genannte Reichskristallnacht, die ließ aber noch keinen Schluss auf Auschwitz zu. Diese Idee, die Juden tatsächlich zu ermorden, hatte Hitler zwar schon in Mein Kampf, wo er sinngemäß davon spricht, dass man im Ersten Weltkrieg "schon mal einige Zehntausend dieser Hebräer unter Giftgas hätte setzen sollen". Aber sie wirklich zu töten, diese letzte Hemmung fiel erst von ihm, als er in sechs Wochen Frankreich überrannt hatte.

Was erinnert heute in der Bundesrepublik an den Widerstandskämpfer Elser?

München hat inzwischen immerhin einen Elser-Platz und auch sein Heimatdorf eine Elserstraße. Aber wie die Deutschen sich ihm gegenüber verhalten haben, das ist vollkommen abstoßend. Er, der am 9. April 1945 im Konzentrationslager Dachau ermordet wurde, gehört in die Erinnerungskultur des deutschen Widerstands gegen die nationalsozialistische Diktatur. In der Bibel steht: "Die Letzten werden die Ersten sein." Da wird es Zeit, dass man ihm ein Denkmal, ein Standbild errichtet. Und Johannes Tuchel, der die "Gedenkstätte Deutscher Widerstand" in Berlin leitet, hat mich sehr unterstützt und gesagt, dass dieses Denkmal dort stehen muss, wo sich Hitlers Reichskanzlei befand. Der Vorschlag ist nicht von mir, sondern von Johannes Tuchel, aber er hat mich geradezu biblisch berührt, denn nichts ist nach dem alten Testament logischer als die Stätte der Macht, die nicht mehr existiert. Nur ein großer Rasenplatz und allein darauf das Denkmal Elsers. Das hat eine geradezu symbolische Bedeutung und ich frage Sie, was soll man dort errichten, wenn nicht das? Eine Wäscherei, ein Kaufhaus? Ich habe ein Gedicht geschrieben, das heißt Völker sind, wie ihre Häuptlinge bauen. Sie müssen sich das einmal vorstellen: Diese Fläche zwischen Reichstag und Bundeskanzleramt ohne ein einziges Denkmal, nicht ein Brunnen, gar nichts. Wir sind eine kulturell äußerst primitive Nation geworden. Wir bauen ein Elisabeth-Lüders- und Paul-Löbe-Haus neben den Reichstag, länger als der Reichstag und doppelt so hoch wie das Brandenburger Tor. Eine Nation ohne Maßstäbe. Es gibt sehr wenige Denkmäler in Berlin, mit denen an die Verbrechen der NS-Ditatur erinnert wird. Es gibt die Hinrichtungsstätte Plötzensee, das ist kein Denkmal. Es gibt auf dem Hof des Bendlerblocks von Richard Scheibe das Mahnmal, das einen gefesselten Nackten zeigt. Aber sonst gibt es keine Denkmäler. Was mir vorschwebt und was Elser verdient, ist ein richtiges Standbild seiner Person. Als Die Welt mein Vorhaben bekannt machte, hat sich sofort Hermann-Hinrich Reemtsma gemeldet und angeboten, es zu bezahlen. Dieses Angebot ist sehr ernst zu nehmen. Herr Reemtsma hat bereits die Liebermann-Villa am Berliner Wannsee auf seine Kosten restauriert. Wir sind uns einig, dass wir keinen Pfennig bezahlen, wenn es eine gegenstandslose Skulptur wird, etwa eine Schlinge, ein Kreis oder ein Klumpen Ton oder solche Dinge wie auf dem Mittelstreifen des Kurfürstendamms, von denen kein Mensch weiß, was sie eigentlich bedeuten sollen. Nein, er muss ein Porträt-ähnliches Standbild bekommen, etwa nach dem Vorbild des wunderbaren Brecht-Denkmals vor dem Berliner Ensemble, oder nach dem Vorbild der sehr eindrucksvollen Skulpturen von Marx und Engels im Umfeld des Berliner Rathauses.

Auf welche Reaktionen stoßen Sie mit Ihren Vorstellungen?

Ich hörte, es gibt Vorbehalte, von irgendeiner Justizministerin, die sagt: "Aber es sind doch auch Unschuldige dabei umgekommen." Die Frau ist in keiner Weise informiert. Elser ist zur Tatortbesichtigung gefahren und hat sich als äußerst gewissenhafter Mensch genau darüber erkundigt, dass während Hitlers Rede im Bürgerbräukeller nicht serviert werden durfte. Und dass Hitler entgegen seiner Gepflogenheiten den Raum verließ bevor die Bombe hochging, dass konnte Elser nicht wissen, aber während Hitler sprach, hätte niemand, der kein Nazi ersten Ranges war, sterben können. So allerdings wurde leider eine Kellnerin getötet.

Glauben Sie, dass Sie es bis zum 9. November schaffen?

Es hat sich auch der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit sehr positiv dazu geäußert, vom Bundeskanzleramt liegt natürlich noch kein Kommentar vor. Wenn man es den Regierenden überlässt, dann wird es unter Garantie gar nichts, denn die haben jetzt Monate verstreichen lassen. Ich hatte Gelegenheit, meine Vorstellung im Abgeordnetenhaus vorzutragen. Ich habe drei Mal gesagt, es ist nicht sehr viel Zeit, denn die Sache hat natürlich nur einen Sinn, wenn sie zum 70. Jahrestag am 8. November 2009 enthüllt wird; und ein Denkmal, das kann man ja nicht herstellen wie Brötchen.

Das Gespräch führte Hans Wallow

Rolf Hochhuth, Jahrgang 1931, hat sich als Schriftsteller und Dramatiker viel mit der NS-Vergangenheit beschäftigt. Bekannt wurde er Anfang der sechziger Jahre mit dem Stück Der Stellvertreter.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   32 vom 08.08.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

11. August 2008

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