Georgien - Alternativen zur GewalteskalationErklärung des Grundrechtekomitees zum GeorgienkonfliktDer Georgien-Konflikt kann für sich allein nicht verstanden werden. Er ist ein Ereignis in einem größeren Konfliktzusammenhang. Hatte man nach dem Ende des Ost-West-Konflikts viel vom "Gemeinsamen Haus Europa" gesprochen, das Ost und West eng miteinander in Partnerschaft verbinden sollte, so entstand de facto sehr bald eine andere Konstellation. Erstens: Anders als versprochen, wurden ehemalige Staaten des Ostblocks in die NATO aufgenommen, die sich - angeführt von den USA - zur weltweit interventionistischen Militärmacht entwickelte. Russland fühlte sich mehr und mehr militärisch eingekreist. Dies um so stärker, als mit dem Irak-, dem Afghanistan-Krieg und den Bestrebungen, die Ukraine und Georgien in die NATO aufzunehmen, die NATO auch im Süden Russlands ihre Positionen ausbaute. Zweitens: Nach einer chaotischen Phase erhob Russland, gestärkt durch seine Drittens geht es um die Beherrschung der Öl-, Gas- und Rohstoffmärkte und der dazu gehörigen Transportwege. Der Westen und allen voran die USA sind bemüht, die Vorkommen um das Kaspische Meer für sich zu erschließen und das Monopol Moskaus auf Lieferung über seine Pipelines zu umgehen. Eine solche neue Pipeline führt durch Georgien, nicht weit entfernt von der Demarkationslinie zu Süd-Ossetien. Die militärische Ausbildung und Aufrüstung von Georgien wird dementsprechend von den USA mit Nachdruck betrieben, wie auch ihre Forderung in den NATO-Gremien, Georgien und die Ukraine möglichst bald in die NATO aufzunehmen. Moskau muss dies als Signal werten: die USA und die NATO-Mächte wollen ihre wirtschaftlichen Interessen notfalls auch mit militärischen Mitteln durchsetzen. Russland fühlt sich viertens auch durch die Stationierung von Raketenabwehrsystemen in Polen und Tschechien bedroht. Es glaubt nicht an die unglaubhafte Story, diese würden gegen bisher nicht existierende iranische Raketen gebraucht. Sie wissen, dass Kräfte in den USA sich um eine atomare Erstschlagsfähigkeit gegenüber Russland bemühen. Die Abfangsysteme würden in diesem Zusammenhang benötigt, um bei einem US-Erstschlag nicht zerstörte russische Raketen abzuschießen. Das sind höchst bedrohliche Kriegsszenarien! Fünftens wiegen die Erfahrungen aus dem Kosovo-Konflikt schwer. Bisher galt, dass Separatismus auf keinen Fall geduldet werden könne. Die Grenzen der Staaten seien unantastbar. Im Kosovo unterstützte jedoch der "Westen" Separatismus und setzte ihn unter Bruch der UN-Charta mit seiner überlegenen Militärmaschine durch. In Hinblick auf den Vielvölkerstaat Russland war dies ein gefährliches Exempel. Moskau führt seit Jahren einen barbarischen Krieg gegen die separatistischen Tschetschenen. Sein Protest gegen die Loslösung des Kosovo von Serbien wurde vom "Westen" ignoriert. Im Georgien-Konflikt dreht nun Russland den Spieß um und schützt und unterstützt die separatistischen Absichten in Süd-Ossetien und Abchasien. Der unverständlich brutale Überfall Georgiens auf seine eigenen Landsleute in Süd-Ossetien mit einer erheblichen Zerstörung der Hauptstadt und mit vielen Toten ist nur ein Element in den größeren Konfliktzusammenhängen. Wohl zu Recht vermutet Moskau, die USA steckten hinter diesem Überfall. Diese nämlich drängen am stärksten auf den Beitritt Georgiens zur NATO, bilden mit einem erheblichen Militärkontingent die georgischen Truppen aus und sind die engsten Verbündeten des georgischen Präsidenten, der zudem noch US-Staatsbürger ist. Bei seinem militärischen Gegenstoß kalkulierte Moskau treffend, die NATO würde im Kaukasus keine direkte militärische Konfrontation eingehen. Es zerschlug mit seinen weit überlegenen Truppen nicht nur den georgischen Angriff, sondern zerstörte gemäß militärischer Logik auch noch wichtige georgische Militärstützpunkte. Unter Berufung auf sein UN-Mandat als regionaler "Friedenshüter" besetzte es außerdem eine Pufferzone auf georgischem Territorium. Moskau setzte damit das deutliche Zeichen, in seinem Einflussgebiet könne niemand mit militärischen Mitteln Politik treiben. Alle beschriebenen Konfliktebenen waren und sind im Kampf der Staaten, Koalitionen und Interessen mit Gewalt besetzt und haben unzählige Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert. Wir stellen deshalb - als Mitglied der Friedensbewegung - Vorschläge für eine Politik der zivilen Konfliktbearbeitung dagegen: EU-Europa ist nicht einseitig von Russland abhängig. Es braucht zwar die Rohstoffe Russlands. Russland benötigt aber auch die Einnahmen aus diesen Verkäufen. Vor allem benötigt es Investitionsgüter und vielleicht sogar Investitionen zur Diversifizierung seiner Produktionsstrukturen. Beide Seiten sind auf einander angewiesen. Das ist eine gute Grundlage für gegenseitigen Respekt und Kooperation. Es liegt also der Vorschlag nahe, zu dem am Ende des Ost-West-Konflikts viel diskutierten Konzept des "Gemeinsamen Hauses Europa" zurückzukehren. In ihm war gemeinsame Sicherheit ebenso vorgesehen wie ein ständiger Dialog über Interessen und Kooperationsmöglichkeiten. Darunter würde auch die Frage der Sicherheit von Rohstofflieferungen fallen. In der Charta von Paris 1990 wurden einige Gedankengänge in dieser Richtung festgehalten, aber später zugunsten der NATO-Erweiterung nicht umgesetzt. In einem solchen Konzept haben NATO-Erweiterungen ebenso wenig Platz wie Raketenschilde und gewalttätige Überfälle auf Minderheiten. Böte die EU eine solche Politik unter Aufwertung der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) an, würde bereits die Eskalation des gegenwärtigen Klimas der Verfeindung unterbrochen werden. Im Rahmen einer aufgewerteten OSZE könnten in verschiedenen "Körben" die unterschiedlichsten Probleme laufend verhandelt werden. Der Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Bearbeitung der Kaukasus-Konflikte würde ferner die schon lange anstehende Ratifizierung des "Angepassten Vertrages über Konventionelle Streitkräfte in Europa" (AKSE) von 1999 durch die NATO-Staaten dienen. Eine weitere Aktualisierung dieses Vertrages könnte folgen. Die Einberufung einer Internationalen Konferenz über den Umgang mit Minderheiten im OSZE-Raum ist längst überfällig. Hierbei handelt es sich um ein generelles Problem, das in vielen Nationalstaaten eine bedeutende Rolle spielt. Auf einer solchen Konferenz müssten auch die RepräsentantInnen der Minderheiten ausführlich gehört werden, da die nationalen Regierungen häufig ein gebrochenes Verhältnis zu ihren Minderheiten haben. Aus der Konferenz könnte eine dauerhafte Schied-Institution hervorgehen, die sich als Schlichtungsinstanz bei Minderheiten-Konflikten im "Gemeinsamen Haus" engagiert. Die OSZE hat in diesem Feld in den baltischen Staaten bereits Bedeutendes geleistet. Der Staat Georgien ist nach dem Zerfall der Sowjetunion sehr herbe mit Abchasien und Süd-Ossetien umgegangen. Georgien und seine Gesellschaft sollten diesen beiden Völkern gegenüber eine Versöhnungsinitiative einleiten, an deren Anfang ein Schuldeingeständnis und das Bemühen um historische Aufarbeitung der gegenseitigen Beziehungen stehen könnten. Georgien könnte ferner Armenien, Aserbeidschan, Abchasien, Süd-Ossetien und Bergkarabach - alle südlich des Kaukasus gelegen - einladen, um mit ihnen die Möglichkeit und die Dimensionen einer gemeinsamen Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in dieser Region auszuloten. Die OSZE könnte dabei die Moderation übernehmen, wodurch auch die anderen Länder des OSZE-Bereiches eingebunden werden würden. Gelänge es, zu einer Annäherung und sogar Zusammenarbeit zu kommen, so werden auch etwaige Bedrohungsängste von Minderheiten der Region verringert werden. Der Konkurrenzkampf der Großmächte könnte in dieser Region gezähmt werden. Eine neue Politik der Entspannung und des gegenseitigen Respekts ist angezeigt. Die Devise lautet: Einbindung statt Ausgrenzung - Kooperation statt Konfrontation. gez. Prof. Dr. Andreas Buro, Friedenspolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie, Köln
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