Zwei Boote fahren in Gaza ein‘Liberty’ und ‘Free Gaza’ erreichen den Hafen von Gaza-Stadt\nVon Huwaida Arraf, 29.08.2008 - Detroit Free Press / ZNet Am letzten Samstag - nach 32 Stunden auf hoher See - segelte ich gemeinsam mit 45 anderen Weltbürgern in den Hafen von Gaza-Stadt ein, um der israelischen Blockade zu trotzen. Wir waren von Zypern aufgebrochen und hatten humanitäre Versorgungsgüter für die belagerten Palästinenser an Bord. Meine Familie in Michigan machte sich sehr, sehr große Sorgen. Meine Familie ist nicht naiv. Sie wusste, dass die Israelis uns angreifen könnten. Man denke nur an 2003, als die gewaltlose amerikanische Augenzeugin Rachel Corrie von israelischen Soldaten getötet wurde (Anmerkung der Detroit Free Press: Auch Corrie war Mitglied des International Solidarity Movement [ISM] und wurde während eines Protestes gegen den Abriss palästinensischer Privathäuser von einem Bulldozer der Israelischen Armee überfahren; eine Untersuchung des israelischen Militärs stufte den Vorfall als Unfall ein). Oder man denke an den Briten Tom Hurndall (ein Mitglied der ISM, der nach neun Monaten [im Koma] an den Folgen eines Kopfschusses starb, den ihm ein Heckenschütze der Israelischen Armee in Gaza zugefügt hatte [der Schütze wurde später wegen Totschlags verurteilt]). Oder man denke an Tausende von unbewaffneten palästinensischen Zivilisten, die in den vergangenen Jahren Opfer wurden. Meine Familie erinnert sich aber auch daran, dass einige unserer Angehörigen vor 60 Jahren in Palästina von den israelischen Streitkräften aus ihren Häusern vertrieben und entwurzelt wurden. Dieser Verlust spornte meinen Entschluss an, meine persönliche Sicherheit und Freiheit zu gefährden und mich für die Menschenrechte von unschuldigen Männern, Frauen und Kindern einzusetzen. Tausende jubelnde Palästinenser begrüßten unsere Boote bei ihrer Einfahrt. In 41 Jahren der Okkupation hatten sie eine solche Szene noch nie gesehen. Unterwegs kämpften wir gegen anonyme Todesdrohungen und gegen Störmanöver des israelischen Militärs (gegen unsere Kommunikation). Diese Störungen gefährdeten unsere Sicherheit, da die See sehr rauh war. Bevor wir ablegten, hatte das Israelische Außenministerium betont, es besitze das Recht, mit Gewalt gegen unsere unbewaffneten Boote vorzugehen. Dennoch entschieden wir uns, zu handeln und die Belagerung Gazas symbolisch zu beenden - und als Zivilisten das zu tun, was Regierungen aus Mangel an Mut oder Mitgefühl versäumen. Bei unserer Ankunft überbrachten wir dringend benötigte Versorgungsgüter, wie medizinische Ausrüstung, Batterien, Schmerzmittel und Hörgeräte. Als China von einem großen Erdbeben erschüttert wurde und Zyklone über Myanmar tobten, reagierte die Welt. Regierungen und Zivilisten eilten zu Hilfe. Im Falle Gaza sehen die Regierungen dieser Welt einer menschgemachten humanitären Katastrophe zu, die sich vor ihren Augen entfaltet. Karin Koning Abu Zayd, Leiterin der UNRWA bestätigt: "Gaza ist an der Schwelle, das erste Gebiet zu werden, das mit Wissen und Stillschweigen der internationalen Gemeinschaft - einige würden sogar sagen, mit deren Ermutigung -, absichtlich auf den Zustand des absoluten Zerfalls reduziert wird". Israel behauptet, die Besatzung Gazas vor drei Jahren beendet zu haben, als es seine Soldaten und Siedler abzog. Israel stellte sich jedoch 2006 gegen die Ergebnisse der palästinensischen Wahlen, die vom Carter Center als fair und frei eingestuft wurden. Israel blockierte/blockiert Gaza und schränkt die Bewegungsfreiheit der Menschen und den freien Güterverkehr massiv ein. Kurz nachdem die neue Hamas-Regierung ihren Amtseid ablegte, wurde Dov Weinglass - Berater des Israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert - mit den Worten zitiert: "Es ist wie ein Treffen mit jemandem auf Diät. Wir müssen dafür sorgen, dass die Palästinenser Gewicht verlieren, ohne dass wir sie verhungern lassen". Laut der Organisation Physicians for Human Rights starben 2007 mehr als 200 Palästinenser - weil sie Gaza nicht verlassen konnten, um sich medizinisch versorgen zu lassen. Mehr als 80% der Bevölkerung Gazas hängt am Tropf der Lebensmittelhilfe der UNO-Organisation UNRWA und des Welternährungsprogramms. Die Arbeitslosigkeit liegt bei unglaublichen 45%. Hunderte junge Menschen werden intellektuell ausgehungert, weil Israel entschied, sie daran zu hindern, ins Ausland zu reisen, um ihre akademischen Chancen zu nutzen. Nun sind wir in Gaza angekommen.Anmerkung d. Übersetzerin: Inzwischen sind die beiden Boote - ‘Free Gaza’ und ‘Liberty’ - wieder nach Zypern zurückgekehrt. Wir wollen den Fischern von Gaza helfen. Wir werden sie mit unseren Booten bis jenseits der 6 (nautischen) Seemeilen begleiten - eine Grenze, die ihnen von der Israelischen Marine illegalerweise aufgezwungen wurde. Die palästinensischen Fischer werden regelmäßig angegriffen und schikaniert, wenn sie in den Gewässern fischen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Wir hoffen, unsere Anwesenheit wird das israelische Militär abhalten. Wir sind extrem schockiert, dass die Belagerung dieser 1,5 Millionen Männer, Frauen und Kinder weitergehen darf. Es macht uns traurig, dass sich die Welt in einem Zustand befindet, in dem sich Entscheidungsträger einfach zurücklehnen können und zusehen, wie ein ganzes Volk langsam und mit voller Absicht ausgehungert und gedemütigt wird. Uns ist klar, dass unsere beiden kleinen Boote nicht stark genug sind, Gaza völlig nach außen zu öffnen. Wir können die Bewegungsfreiheit nicht importieren, wir können keinen Jobzugang oder medizinische Hilfe oder Nahrung und andere lebenswichtigen Versorgungsgüter, die ihnen derzeit verweigert werden, verschaffen. Aber wir haben den Menschen von Gaza eine Botschaft überbracht: Ihr seid nicht allein. Mit unserer erfolgreichen Reise haben wir ihnen gezeigt, dass die Bürger Amerikas und die Bürger von Ländern überall auf der Welt sich dazu angestoßen fühlen, die Menschenrechte und die humanitären Prinzipien zu fördern. In der letzten Woche haben wir in diesem Sinne gehandelt - und in der Hoffnung, dass unsere gewählten Vertreter unserem Beispiel eines Tages folgen. Huwaida Arraf ist eine Menschenrechtsanwältin aus Roseville/USA. Sie lehrt an der School of Law der Al-Quds-Universität in Jerusalem. Sie ist Mitbegründerin des International Solidarity Movement (ISM). Dieser Artikel wurde vom Institute for Middle East Understanding - mit ihrem Einverständnis - an Detroit Free Press weitergeleitet.
Quelle: ZNet Deutschland vom 29.08.2008. Originalartikel: Sailing Into Gaza . Übersetzt von: Andrea Noll. FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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