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Rehabilitation nach dem Blutvergießen

UN-Vollversammlung bilanziert erstmals Arbeit der neuen Kommission für Friedenskonsolidierung

Von Wolfgang Kötter

Eine Welt voller Gewalt

Am UNO-Hauptsitz in New York eröffnet Tagungspräsident Miguel d’Escoto Brockmann aus Nicaragua am 23.09.2008 die Generaldebatte. Die 192 Mitgliedstaaten beurteilen erstmals auch die Arbeit der neu gegründeten UN-Kommission für Friedenskonsolidierung (Peacebuilding Commission), die bisher vor allem in Afrika aktiv geworden ist. Der Schwarze Kontinent war gestern in New York Thema eines Sondergipfels.

Die neue UN-Institution soll eine empfindliche Lücke in den Friedensbemühungen der Vereinten Nationen schließen, denn zahlreiche Kriege und Konflikte fordern in der heutigen Welt einen hohen Blutzoll. Nach Untersuchungen der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung   an der Universität Hamburg wurden allein im vergangenen Jahr weltweit 42 Kriege und bewaffnete Konflikte geführt. Hunderttausende Männer, Frauen und Kinder verloren in grausamen Kämpfen ihr Leben.

Die Zahl der Todesopfer ist wahrscheinlich sogar noch höher als bisher bekannt. Wissenschaftler vom Institute for Health Metric and Evaluation im US-Bundesstaat Seattle schätzen die traditionellen Methoden zur Erfassung von Kriegstoten als ungenau ein. Laut ihrer im Fachmagazin "British Medical Journal" veröffentlichten Studie kamen in Kriegen der letzten 50 Jahre drei Mal so viele Menschen ums Leben wie angenommen. Ungenauigkeiten in den herkömmlichen Methoden ergäben sich, weil in Kriegszeiten zivile Registrierungsbehörden häufig ihre Arbeit einstellen. Oft finden Kämpfe auch gerade in solchen Ländern statt, wo es schon in Friedenszeiten keine entsprechende behördliche Infrastruktur gab. Die Opferrate würde dann meist durch statistische Erfassungen von einigen wenigen Todesfällen ermittelt, die auf das ganze Land hochgerechnet würden - was große Ungenauigkeiten ergeben kann. Auch Abschätzungen, die auf Augenzeugen und Presseberichten beruhen, seien ungenau, denn die größten Opferzahlen gäbe es fast immer in den gefährlichsten Gegenden, wo keine Beobachter oder Reporter hingelangen.

Ideologische, religiöse und ethnische Spannungen, der Kampf um Unabhängigkeit, Ressourcen oder die Vorherrschaft in einer Region führen besonders häufig zu Konflikten, immer wieder angeheizt durch Folgen der Globalisierung oder Waffenlieferungen aus den Industriestaaten. Auch der Klimawandel, der zu Hungersnöten, Wassermangel und Verwüstung führt, könnte künftig Kriege auslösen. Die internationale Gemeinschaft jedoch sieht häufig tatenlos zu, wenn in entfernten Regionen Gewalt, Massaker und andere Grausamkeiten geschehen. Selbst nachdem UN-Missionen die aktiven Kämpfe unterbunden haben, flammt die Gewalt oft bald wieder auf, weil die Ursachen der Konflikte nicht beseitigt wurden. Ungefähr die Hälfte aller Länder fällt binnen fünf Jahren nach Beendigung eines Krieges in gewalttätige Auseinandersetzungen zurück.

Reha-Klinik für Konfliktschäden

Um hier Abhilfe zu schaffen, entstand das Konzept der Friedenskonsolidierung. Erstmals forderte der damalige UN-Generalsekretär Boutros Ghali in seiner "Agenda for Peace" aus dem Jahre 1992, dass der Frieden, soll er dauerhaft und stabil werden, auch nach Beendigung der Kämpfe konsolidiert werden muss. Zu derartigen Maßnahmen gehört beispielsweise die Entwaffnung und Resozialisierung der ehemaligen Kämpfer. Oftmals handelt es sich um Kindersoldaten, die in ihrem jungen Leben statt Lesen und Schreiben nur das Schießen gelernt haben. Es müssen also Schulen und Ausbildungsstätten geschaffen werden. Ein funktionierender Verwaltungsapparat und eine repräsentative Volksvertretung sind für eine demokratische Entwicklung unerlässlich. Zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit werden unabhängige Rechtsorgane und eine zuverlässige Polizei gebraucht. Nicht selten kommen Wahlen aber erst nach einer langwierigen Vorbereitung und Absicherung durch internationale Hilfe zustande. Schließlich gilt es auch, die sozio-ökonomischen Voraussetzungen für eine prosperierende Wirtschaft und Selbstversorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln sicherzustellen.

Als die UNO sich auf ihren Weltgipfel im Jahre 2005 vorbereitete, entwickelte Generalsekretär Kofi Annan den Gedanken der Post-Konflikt-Friedensstabilisierung weiter und schlug die Bildung einer Kommission zur Friedenskonsolidierung vor. Zwar stimmten die Staatsoberhäupter grundsätzlich zu, doch über die Ausgestaltung entbrannte alsbald heftiger Streit. Um dem neuen Gremium genügend Autorität und Durchsetzungskraft zu verleihen, sollte es ursprünglich dem UN-Sicherheitsrat zugeordnet und vornehmlich aus dessen Mitgliedern sowie weiteren zahlungskräftigen Staaten gebildet werden. Seine Tätigkeit würde bereits mit der Konfliktfrüherkennung und -prävention beginnen, damit auf sich abzeichnende Gefahren rechtzeitig reagiert werden kann. Viele Entwicklungsländer fürchteten jedoch, von den mächtigen und reichen Industriestaaten dominiert und mit unangenehmen Auflagen versehen zu werden. Schließlich einigte man sich wie so häufig bei den Vereinten Nationen auf einen Kompromiss, der zwar nicht die optimale Lösung darstellt, aber die Interessen der Beteiligten ausbalanciert. So erfolgte die institutionelle Anbindung an die Generalversammlung und den Wirtschafts- und Sozialrat ECOSOC. Für die Zusammensetzung einigte man sich auf 31 Mitglieder nach einem breiten geographischen Verteilungsschlüssel.

Am 20. Dezember 2005 betrat die Peace Building Commission dann erstmals die Bühne der internationalen Diplomatie. Sie besteht aus der Kommission selbst mit einem Organisationsausschuss und länderbezogenen Gremien, einem Unterstützungsbüro im UN-Sekretariat und einem Fonds, in den bisher fast 270 Mio. Dollar eingezahlt wurden. Ihre Aufgabe könnte man mit der einer Rehabilitationsklinik vergleichen, die nach überstandener Krankheit den Weg zurück in ein gesundes und selbstbestimmtes Leben begleitet. In diesem Sinne soll sie mithelfen, die erreichten Friedensabkommen umzusetzen, den Wiederaufbau unterstützen, funktionstüchtige administrative Dienstleistungen entwickeln und notfalls in Gefahrenmomenten intervenieren. Zu den ersten Patienten gehören die Problemstaaten Burundi und Sierra Leone, demnächst gefolgt von der Zentralafrikanischen Republik und Guinea-Bissau. In all diesen afrikanischen Ländern waren blutige Kämpfe ausgetragen worden und auch nach deren Ende ist der Frieden äußerst fragil und zerbrechlich geblieben.

Die afrikanischen Patienten

Sierra Leone gehört zu den allerärmsten Staaten der Erde, obwohl es reich an natürlichen Ressourcen wie Diamanten, Gold und anderen Edelmetallen ist. Doch ein Jahrzehnt Bürgerkrieg hat das Land an der westafrikanischen Küste total verwüstet. Der Krieg ging zwar Anfang 2002 nach dem Einsatz der bis dahin größten UN-Blauhelmmission mit über 17.000 Soldaten offiziell zu Ende, doch noch auf lange Zeit werden die Wunden schmerzen. Mehrere zehntausend der 4,6 Millionen Einwohner wurden getötet, 1,6 Mio. mussten aus ihren Heimatorten flüchten. 95 Prozent aller hochgebildeten Bürger verließen das Land. Mehrere Male stand Sierra Leone am Rande des Zerfalls in Territorien marodierender Banden. Um die Lage zu entspannen, organisierte die UNO ein aufwändiges Programm der Demobilisierung, Entwaffnung und Reintegration. In seinem Verlauf gab eine große Zahl der ehemaligen Kämpfer ihre Waffen an UN-Sammelstellen ab. Am 11. August 2007 wurden die Einwohner an die Urnen gerufen, doch Wahlen sind schwierig in einem Land, wo mehrere tausend Ortschaften zerstört und unbewohnbar und die Lebensbedingungen katastrophal sind. Fast jedes dritte Kind stirbt vor seinem sechsten Geburtstag und 70 Prozent der Erwachsenen sind arbeitslos. Manch Topmanager verdient weit mehr als die 12,6 Millionen Euro, die insgesamt im Jahr für Bildung ausgegeben werden. Die Hauptstadt Freetown mit ihren 1,3 Millionen Einwohnern ist die einzige Hauptstadt Afrikas, die nicht an ein Stromnetz angeschlossen ist und wo Wasserleitungen ein Luxus sind. Die von den Herrschenden enttäuschten und frustrierten Wähler entschieden sich deshalb für den Vertreter der stärksten Oppositionspartei und wählten mehrheitlich Ernest Bai Koroma vom "All Peoples Congress" APC. Er wurde am 17. September 2007 als Präsident vereidigt und muss nun die Hoffnungen seiner Landsleute auf eine bessere Zukunft erfüllen.

Der zentralafrikanische Kleinstaat Burundi durchlebte zwischen 1993 und 2005 besonders gewaltsame Jahre. In blutigen Kämpfen und Massakern zwischen den Volksgruppen Hutu und Tutsi verloren über 300.000 Menschen ihr Leben und in den schlimmsten Krisenzeiten waren etwa 1,3 Millionen Menschen intern vertrieben oder ins Ausland geflohen. Andererseits drangen Flüchtlingsströme von verfolgten Tutsi aus Ruanda ins Land ein. Dies wiederum führte zu immer wiederkehrenden Konflikten im Grenzgebiet und auch innerhalb Burundis zu Spannungen zwischen Tutsi und Hutu. Doch selbst zwischen verschiedenen Tutsi-Fraktionen kam es zu massiven Rivalitäten und Auseinandersetzungen. Eine Friedenstruppe der Afrikanischen Union, die vor allem von Südafrika gestellt und geführt wurde, sorgte für eine gewisse Stabilisierung. Anschließend setzte auch der UN-Sicherheitsrat eine Blauhelmtruppe ein, der zeitweise mehr als 5.000 Soldaten angehörten. Im Juli 2001 unterzeichnen Hutus und Tutsis in Arusha ein Abkommen über eine wechselnde Rotation zwischen ihnen im Amt des Staatsoberhaupts und im Frühjahr 2003 wurde ein Waffenstillstand aller Parteien ausgehandelt. Aber erst im Februar 2005 stellt die Forces National de Libération (FNL) als letzte Rebellengruppe ihre Kampfhandlungen ein. Danach verbesserte sich die Sicherheitslage zunächst und viele Flüchtlinge kehrten zurück. Im Sommer desselben Jahres wurden erstmals seit langem wieder Wahlen abgehalten, bei denen die Conseil National Pour la Défense de la Démocratie (CNDD) die Mehrheit erhielt. Ihr Führer Pierre Nkurunziza trat am 26. August in der Hauptstadt Bujumbura sein Amt als neuer Präsident an. Gegenwärtig steht das Land vor riesigen Problemen. Die Wirtschaft ist durch die ewigen Kämpfe völlig zerrüttet. Burundi ist laut Welthungerindex das am stärksten von Hunger betroffene Land der Welt. Gründe dafür sind neben den verheerenden Kriegsfolgen auch die Übernutzung der Böden, eine mit 6,6 Mio. Einwohnern hohe Bevölkerungsdichte und der damit verbundene Landmangel. Letzterer wird durch die Rückkehr von Flüchtlingen noch verschärft. Immer wieder aufflammende Auseinandersetzungen zwischen den ehemaligen Kontrahenten verschlimmern die Lage zusätzlich.

Gemeinsam mit der beigeordneten UN-Generalsekretärin Jane Holl Lute und ihren Mitarbeitern in den lokalen Unterstützungsbüros UNIOSIL und BINUB entstanden für beide hilfsbedürftigen Länder Prioritätspläne, nach denen Gelder für den Wiederaufbau bereitgestellt werden. In einer integrierten Strategie haben einheimische Akteure, Vertreter der Zivilgesellschaft und internationale Helfer gegenseitige Verpflichtungen in den Bereichen Politik, Sicherheit, Entwicklung und Menschenrechte vereinbart. Gleichzeitig soll ein Überwachungsmechanismus garantieren, dass die finanziellen Mittel sachgerecht und effizient eingesetzt werden. Die Umsetzung wird regelmäßig evaluiert und wenn notwendig korrigiert. Schritt für Schritt will sich das UN-Personal dann aber wieder aus dem Tagesgeschehen zurückziehen und die Menschen ihr eigenes Leben selbst gestalten lassen.

Insgesamt fällt die Bilanz der Kommission zum dritten Geburtstag gemischt aus. In der Anfangsphase beschäftigte sie sich vor allem mit sich selbst, um die optimalen Strukturen und Verfahren zu entwickeln, auch flossen die Gelder nur zögerlich. Andererseits hat sie mehr erreicht, als im Hinblick auf ihre magere finanzielle und personelle Ausstattung zu erwarten war. Konkrete Hilfe für die konfliktgeschädigten Länder ist zumindest auf den Weg gebracht. Um allerdings ihr Mandat umfassend erfüllen zu können, müssen alle relevanten Akteure eingebunden werden. Außerdem benötigt sie dringend weitere technische Kapazitäten und finanzielle Ressourcen. Im Übrigen ergeht es ihr wie andern Geschwistern aus der UNO-Familie auch: Nicht für Erfolge, sondern bei Versagen gibt es Schlagzeilen. Es liegt nun an den UN-Mitgliedstaaten selbst, ob diese wichtige Tätigkeit zur Friedenskonsolidierung weiter ausgebaut wird.

Politische und friedensbildende Missionen der Vereinten Nationen
ANZAHL DER MISSIONEN     12
Gesamtzahl des an den Missionen beteiligten Personals 4.050
Uniformiertes Personal   444
Internationales Zivilpersonal 1.028
Lokales Zivilpersonal 2.232
UNO-Freiwillige   346

 

Integrierte Büros der UN-Kommission für Friedenskonsolidierung

UNIOSIL seit 1. Januar 2006

  • Integriertes Büro der Vereinten Nationen in Sierra Leone
  • Exekutivbeauftragter des Generalsekretärs: Victor da Silva Angelo (Portugal)

Truppenstärke:

  • Internationales Zivilpersonal 73;
  • Lokales Zivilpersonal 190;
  • Militärbeobachter 10;
  • Polizei 19;
  • UNO-Freiwillige 21

BINUB seit 1. Januar 2007

  • Integriertes Büro der Vereinten Nationen in Burundi
  • Exekutivbeauftragter des Generalsekretärs: Youssef Mahmoud (Tunesien)

Truppenstärke:

  • Internationales Zivilpersonal 119;
  • Lokales Zivilpersonal 223;
  • Militärbeobachter 8;
  • Polizei 8

 

Veröffentlicht am

23. September 2008

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