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Zum Thema Nahrungsmittelkrise: Was sind die Alternativen?

Von Esther Vivas, 28.09.2008 - América Latina en Movimiento (ALAI) / ZNet

Die Nahrungsmittelkrise hat weltweit Tausenden die Nahrung genommen. Laut Statistik hungern 850 Millionen Menschen. Die Weltbank schätzt allerdings, dass die Zahl der Hungernden durch die aktuelle Krise um weitere 100 Millionen gestiegen ist. Der "Tsunami" des Hungers ist kein natürlicher Prozess sondern eine Folge der neoliberalen Politik, die von internationalen Institutionen seit Jahrzehnten verhängt wird.

Welche Alternativvorschläge gibt es - angesichts dieser Situation? Ist es möglich, andere Modelle der Nahrungsmittelerzeugung und -verteilung sowie des Konsums zu adoptieren? Bevor wir uns diesen Fragen stellen, sollten wir uns einigen der grundlegenden strukturellen Probleme zuwenden, die zu der Situation geführt haben.

Erstens. Der Hunger ist zurückzuverfolgen bis in die Gemeinden, bis an die Wurzeln der natürlichen Ressourcen. Erde, Wasser, Saatgut - diese Ressourcen sind alle privatisiert und nicht länger öffentliches Gut. Die Nahrungsmittelerzeugung liegt nicht mehr in den Händen kleinbäuerlicher Familienbetriebe, sondern in denen der Agroindustrie. Die Nahrungsmittelproduktion ist zu einer Form der kapitalistischen Bereicherung geworden. Die fundamentale Bedeutung von Nahrung - uns zu ernähren -, wurde zugunsten ihres Marktwertes in den Hintergrund gedrängt, ganz reduziert. So gibt es heute zwar mehr Nahrung denn je, doch den Menschen ist der Zugang zu diesem Überfluss verwehrt, da sie die ständig steigenden Preise nicht mehr bezahlen können.

Wenn Bauern kein Land mehr haben, um sich selbst zu ernähren und keine Möglichkeit, ihren Überschuss zu verkaufen - in welchen Händen liegt dann die Ernährung der Welt? Sie liegt in den starken Händen der Agro-Multis. Diese kontrollieren alle Verbindungen in der kommerziellen Vermarktungskette. Dieses Problem gilt natürlich nicht nur für die natürlichen Ressourcen, es ist ein Problem unserer Produktionsmodelle. Die Landwirtschaft, wie wir sie heute kennen, kann beschrieben werden wie das "Drogen-" oder "Öl"-Geschäft: abhängig, industrialisiert, delokalisiert und mit langen Transportwegen. Sie ist, kurz gesagt, die Antithese zu einer Landwirtschaft, die Mensch und Umwelt respektiert.

Zweitens. Es geht nicht nur um die Usurpation der Ressourcen. Was wir - seit Jahrzehnten - erleben, ist eine neoliberale Politik, die die Liberalisierung des Kommerzes, die Privatisierung der öffentlichen Dienste, und den Geldtransfer von Süd nach Nord (siehe auch die Auslandsverschuldung) usw. begünstigt. Die Welthandelsorganisation WTO, die Weltbank (WB) und der Internationale Währungsfonds (IWF) sind einige der wichtigsten Architekten dieser Politik.

Es ist eine Politik, die es ermöglicht, die Märkte des Südens zu öffnen, da diese Politik subventionierte Produkte (die unter Produktionspreis angeboten werden können) begünstigt. Produkte dieser Art können selbst die Preise einheimischer Produkte unterbieten. Das ist effektiv das Ende der Bauern vor Ort. Diese Politik hat auch zu einem Abbau der Diversivität bei den Anbaupflanzen geführt. Entstanden ist eine Schmalspurindustrie, entstanden sind exportorientierte Monokulturen.

Drittens, sollten wir das Monopol der Nahrungsmitteldistribution - der Verteilerketten - beachten. Megasupermärkte wie Wal-Mart, Tesco oder Carrfour diktieren die Preise für die Lebensmittel. Sie kontrollieren, was die Bauern bekommen und was die Konsumenten bezahlen müssen. So liegt in Spanien die Durchschnittsmarge zwischen originalem Preis und Marktpreis bei 400%. Das meiste Geld bleibt in der Vermarktungskette hängen. Die Bauern erhalten immer weniger für ihre Waren und die Konsumenten bezahlen immer mehr für ihren Einkauf.

Vorschläge

Es gibt Alternativen: Bei der Wiederaneignung der natürlichen Ressourcen muss gleichzeitig die Souveränität über den Landbau zurückgefordert werden, müssen landwirtschaftliche Gemeinden wieder die Kontrolle über ihre Agrikulturpolitik erlangen. Erde, Wasser, Saatgut - das alles gehört zurück in die Hände der Bauern. Sie sollen sich selbst ernähren können und ihre Produkte an die Gemeinden vor Ort verkaufen. Dies setzt allerdings integrale Agrarreformen voraus, sowohl die Besitzverhältnisse als auch die Produktion betreffend, und die natürlichen Ressourcen müssen verstaatlicht werden.

Die Regierungen müssen Kleinproduzenten unterstützen. Dann können sich die Böden regenerieren und auf natürliche Weise erneuern. Nicht nachwachsende Rohstoffe müssen bewahrt werden und die globale Erwärmung reduziert. Eine unabhängige Ernährung der Menschen muss möglich werden. Heute ist die Situation so, dass wir alle vom internationalen Markt und den Interessen der Agroindustrie abhängig sind.

Die Agrikultur gehört wieder in die Hände kleiner Familienbetriebe. Das ist der einzige Weg, universellen Zugang zu Nahrung zu gewährleisten. Die öffentliche Politik muss sich für eine einheimische, nachhaltige, organische Landwirtschaft, frei von GMOs (genetisch veränderten Organismen) einsetzen. Für Produkte, die nicht vor Ort produziert werden können, müssen auf internationaler Ebene Fairtrade-Regeln eingeführt werden. Wir müssen das Agro-Öko-System schützen, und wir müssen die Biodiversität schützen, die durch das heutige Agrikulturmodell in ernsthafter Weise bedroht ist.

Als Antwort auf die neoliberale Politik müssen wir Mechanismen und Interventionsregularien schaffen, die auf eine Stabilisierung der Marktpreise und auf Importkontrolle abzielen und der Finanzspekulation, dem Handel mit Lebensmittel-Futures und dem großflächigen Anbau von Agrosprit einen Riegel vorschieben. Der Mechanismus der Vorherrschaft des Nordens über den Süden muss abgeschafft werden - zum Beispiel gehört die Auslandsverschuldung abgeschafft -, und die Macht der Agrokonzerne muss bekämpft werden.

Angesichts der Großmonopole bei der Nahrungsmitteldistribution müssen wir Regulation und Transparenz fordern - für die gesamte Produktions- und Vermarktungskette. Distribution in großem Stil hat äußerst negative Folgen für die Bauern, die Zulieferer, die Arbeiter, die Umwelt und den Konsum. Aus diesem Grund sollten wir uns auf der Ebene des Konsums nach Alternativen umsehen: Kaufen wir auf lokalen Märkten ein, werden wir Mitglieder von organisch-landwirtschaftenden Kooperativen, fördern wir die Vermarktung im Stile kleiner Kreisläufe. Diese Dinge wirken sich positiv auf das Land aus, und wir bekommen ein besseres, direkteres Verhältnis zu den Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten.

Es ist unsere Pflicht als Konsumenten, uns verantwortlich zu verhalten. Hier ein Beispiel: Würde die ganze Welt das Konsumverhalten der US-Bürger übernehmen, bräuchten wir fünf Planeten voller Land, um die Bedürfnisse der Bewohner der Erde zu befriedigen. Doch persönliche Verhaltensänderung allein genügt nicht. Sie muss verbunden sein mit kollektiver, politischer Aktion - gründend auf Solidarität zwischen Stadt und Land. Denn wenn das Land ausstirbt - die Menschen abwandern und die Ressourcen zurückgehen -, wird es irgendwann niemanden mehr geben, der das Land bearbeitet und uns alle ernährt. Blühende ländliche Landschaften zu schaffen, sollte den Stadtbewohnern daher ein direktes Bedürfnis sein.

Letzter Punkt. Wir müssen Bündnisse zwischen den unterschiedlichen Bereichen schmieden, die von der kapitalistischen Globalisierung betroffen sind und politisch aktiv werden. Gesunde Ernährung wird nicht möglich sein, ohne dass die Gesetzgebung transgene Lebensmittel und das wahllose Abholzen (der Wälder) verbietet. Nichts wird sich ändern, solange die Multis, die die Umwelt ausbeuten, nicht gestoppt werden. Damit dies alles möglich wird, brauchen wir eine Gesetzgebung durch die Parlamente, die die Bedürfnisse der Menschen und die Ökosysteme an erste Stelle setzt - und nicht die Ökonomie - und sich mit diesen Themen auseinandersetzt.

Bei der Nahrungsmittelproduktion und -verteilung und beim Konsum wird ein Paradigmenwechsel nur dann möglich sein, wenn es auf breiter Ebene zu politischen, ökonomischen und sozialen Veränderungen kommt. Die Unterdrückten dieser Erde müssen sich verbünden: Bauern, Arbeiter, Frauen, Immigranten, junge Menschen. Nur so machen wir jene "andere Welt" möglich, für die sich alle Sozialbewegungen engagieren.

Esther Vivas ist Autorin des Buches "Stand Up against external debt" und Ko-Autorin von "Supermarkets, No Thanks" und "Where is Fair Trade headed?" (alle drei Bücher sind im Original in spanischer Sprache erschienen). Vivas ist Mitglied der Redaktion von Viento Sur (siehe www.vientosur.info )

Dieser Artikel ist im Original auf América Latina en Movimiento (ALAI) Nr. 433 erschienen. Übersetzung ins Englische von Danielle Hill.

 

Quelle:  ZNet Deutschland   vom 29.09.2008. Originalartikel: Facing the food crisis: what alternatives? . Übersetzt von: Andrea Noll.

Veröffentlicht am

01. Oktober 2008

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