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Otto Umfrid - Urvater der Friedensarbeit

Veröffentlicht in: Materialheft für die Ökumenische FriedensDekade 2008

Otto Umfrid war zu Beginn des letzten Jahrhunderts ein im In- und Ausland renommierter Pazifist und sogar für den Friedensnobelpreis im Jahr 1914 vorgeschlagen. Der 1857 im württembergischen Nürtingen geborene evangelische Pfarrer widersetzte sich dem damaligen geistigen Klima der Aufrüstung vor dem 1. Weltkrieg.

Otto Umfrid - Urvater der Friedensarbeit

Von Michael Schmid

In seiner ersten Pfarrstelle im Schwarzwald lernt Umfrid die unhaltbare Lage der kleinen Landarbeiter kennen. Als er 1890 Pfarrer in Stuttgart wird, in einer ausgesprochenen Arbeitersiedlung, der ärmsten Kirchengemeinde in Württemberg, erfährt er vom beinahe unbeschreiblichen sozialen Elend der Industriearbeiter seiner Zeit. Für ihn ist klar: "Die Armut aus der Welt zu schaffen, ist unsere Aufgabe - gerade auch die der Christen". Unerschrocken tritt er als einer der wenigen Pfarrer öffentlich für ein "Evangelium von einer nicht zu fernen besseren Zeit" für das "hartarbeitende und schwergedrückte … Volk" ein. Damit eckt er an in einem konservativen Umfeld und beim Versuch, eine in der sozialen Frage schlafende Kirche zu wecken. Ein Konsistorialrat (heute Oberkirchenrat) macht ihm unmissverständlich klar, "man suche in der Kirche die Ruhe in Gott und nicht soziale Reformideen".

Umfrid wird immer klarer, dass die soziale und die Friedensfrage untrennbar zusammen hängen. In der Innen- wie Außenpolitik verhindern Machtinteressen friedliche Konfliktlösungen. In einer Zeit zunehmender Militarisierung und Aufrüstung gewinnt für ihn nun die Friedensfrage absolute Priorität: "Der größte Jammer unserer Zeit ist der beständige Kriegszustand, in dem wir leben. Vom Frieden wird geredet; aber was ist das für ein Frieden, in dem die Völker bis an die Zähne gewappnet einander gegenüberstehen!"

Der Wechsel vom "sozialen Ruhestörer" zum Friedenskämpfer vollzieht sich endgültig, als er 1894 in die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG) eintritt. Neben der Verkündung in den Kirchen wird nun der aktive Einsatz für den Frieden "außerhalb des Schattens der Kirche" in zunehmendem Maß zum zweiten, unveräußerlichen Pol eines glaubhaften, christlichen Engagements in der Welt. Später erinnert er sich an seine Reden für die DFG: "Dann ging ich, oft mit Aufbietung der letzten Kraft, manchmal an einem Sonntagnachmittag, nachdem ich schon zwei bis drei Gottesdienste gehalten hatte, ins Land hinaus, um dort den Frieden zu predigen."

In der Tat, Umfrid ist zum stärksten Motor der 1892 von Alfred Fried und Bertha von Suttner gegründeten DFG geworden. Durch seine Vortragsreisen gründen sich fast 20 Ortsgruppen im damaligen Württemberg. Seine Organisationsarbeit gedeiht so gut, dass die Geschäftsstelle der DFG im Jahre 1900 von Berlin nach Stuttgart verlegt wird. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs bleibt die süddeutsche Landeshauptstadt das Zentrum des organisierten Pazifismus in Deutschland. Umfrid wird zweiter Vorsitzender der Friedensgesellschaft. Rund 600 Aufsätze, Polemiken und Rezensionen verfasst er für Tageszeitungen und Zeitschriften.

Mit seinem Glauben, "dass jedes echte Christentum aufs Schärfste gegen den Brudermord, wie er im Krieg ausgeübt zu werden pflegt, protestieren müsse", stößt Umfrid bei der Regierung ebenso auf scharfen Widerstand wie bei den so genannten "Kriegstheologen", die die Aufrüstungspolitik theologisch untermauern. Zu den alltäglichen Erfahrungen der "Friedenspfarrer" gehören bald gesellschaftlicher Boykott und Diffamierung in der Öffentlichkeit, Pressekampagnen und Denunziationen. So wird Otto Umfrid z.B. 1897 nach einem Vortrag in Münsingen auf der Schwäbischen Alb von einem Pfarrerskollegen der "agitatorischen Friedenshetze" bezichtigt. Umfrid muss zum Vorgesetzten. Dieser macht ihm deutlich, dass ihn "seine agitatorische Thätigkeit für die sogenannte Friedensbewegung in Gesellschaft und Situationen bringe, die weder seiner noch seines Amtes würdig seien". Umfrid lässt sich dadurch nicht von seinem Engagement abbringen.

Die Botschaften der von Umfrid und seinen Mitstreitern verfassten Friedensaufrufe bleiben aktuell, wie der Aufruf aus dem Frühjahr 1913: "Aber die Tatsachen zeigen, daß, da alle Kulturstaaten das gleiche tun, die Kriegsgefahr so nicht vermindert wird, weil gerade die immer drückendere Last des bewaffneten Friedens, verschärft durch Haß und Mißtrauen der Völker untereinander, zur blutigen Entscheidung drängen kann, die wiederum nicht das Ende, sondern den Anfang erneuten Wettrüstens bedeuten würde."

Umfrid gehört zu den wenigen, die sich nicht von der Kriegsbegeisterung und dem nationalen Rausch anstecken lassen, der nach Beginn des Krieges ganz Deutschland erfasst. Er nimmt während der Kriegsjahre regelmäßig an Konferenzen in neutralen Ländern teil und ist weiterhin publizistisch tätig. Da die Zensurstellen seine Schriften im Deutschen Reich verbieten, muss er in der Schweiz veröffentlichen.

1920 stirbt Otto Umfrid nach schwerem körperlichem und seelischem Leiden im Alter von 63 Jahren.

Als ich in Umfrids Geburtsstadt Nürtingen lebte, war mir der Name Otto Umfrid wie wohl fast allen Nürtingern überhaupt kein Begriff. Wenn von berühmten Persönlichkeiten Nürtingens die Rede war und ist, fallen Namen wie Hölderlin, Mörike und Peter Härtling. Neuerdings noch Harald Schmidt. Das ändert sich langsam. Anlässlich seines 150. Geburtstags im Jahr 2007 hat der Konvent der württembergischen evangelischen Beistandspfarrer Umfrid als landeskirchlichen "Urvater der Friedensarbeit" gewürdigt. Die evangelische Stuttgarter Nordgemeinde gedachte seiner am Grab auf dem Pragfriedhof. Und in Umfrids Geburtsstadt Nürtingen hat die Stadtverwaltung zusammen mit dem Landkreis Esslingen, der Evangelischen Kirche und dem Arbeitskreis Friedenswochen Nürtingen bei einer Podiumsdiskussion, deren prominentester Teilnehmer der Schriftsteller und Nürtinger Ehrenbürger Peter Härtling war, an den Pazifisten erinnert. Die Kreuzkirche war bis auf den letzten Platz gefüllt. Manche Saat geht spät auf. Sehr spät.

Michael Schmid, Mitglied u.a. in der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), lebt und engagiert sich im Lebenshaus Schwäbische Alb. Mit Mahnwachen, publizistischer Arbeit und Vorträgen setzt er sich für eine friedliche Welt ein.
Literaturhinweis:

Mauch, Christof und Brenner, Tobias: Für eine bessere Welt ohne Krieg. Otto Umfrid und die Anfänge der Friedensbewegung. Ulm. 1987 (dieses empfehlenswerte Buch ist noch zum Preis von 10.00 € erhältlich beim Online-Shop der DFG-VK )

 

Die von Umfrid mitgegründete älteste deutsche Friedensorganisation heißt heute: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) . Mitglieder unterzeichnen folgende Grundsatzerklärung: "Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten."

 

Veröffentlicht am

04. Oktober 2008

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