Einsame Tage im Weißen HausAbgesang: George Walker Bush geht auf die SchlussrundeVon Konrad Ege Die Ära Bush geht zu Ende. Der Politiker, der noch vor drei oder vier Jahren keine Grenzen kannte und die Welt zur "Demokratie" bekehren wollte, steht am Abgrund. Selbst republikanische Politiker, die von einer dauerhaften republikanischen Mehrheit geträumt hatten, distanzieren sich, so weit es nur geht. Historiker diskutieren, ob George W. Bush der schlechteste Präsident ist in der amerikanischen Geschichte. Oder nur der zweit- oder drittschlechteste. Der Journalist Bob Woodward hat Bush gefragt, wie "die Geschichte" sich wohl an ihn erinnern werde. "Geschichte", habe Bush geantwortet. "Das wissen wir nicht. Wir werden alle tot sein." Zu normalen Zeiten gieren Präsidentschaftskandidaten nach dem Segen des Mannes im Weißen Haus. Den zu haben, signalisiert Legitimität und hilft auch finanziell: Denn Präsidenten verfügen über viele zur Dankbarkeit verpflichtete Anhänger. Noch heute wird gerätselt, ob Al Gores Distanz zum Monica-Lewinsky-geschädigten Bill Clinton im Jahr 2000 George W. Bush zum Sprung ins Weiße Haus verholfen hat. Und 1988 waren Republikaner anfangs besorgt, Ronald Reagan engagiere sich nicht enthusiastisch genug für George Bush, den Vater, als der sich um die Präsidentschaft bewarb. Doch John McCain und Sarah Palin rennen weg von Bush, dem Sohn. McCain will gewählt werden, weil er unabhängig denke und häufig gegen Bush gestimmt habe. Palin kritisierte ihren demokratischen Rivalen Joe Biden, er rede zu viel über die letzten acht Jahre: Es gehe doch um die Zukunft. Das Ende der Ära Bush signalisiert das Zerbröseln des amerikanischen Konservatismus, diese im Grunde mit sich selber im Clinch liegende Ideologie, die Militarismus, Patriotismus, Regierungsfeindlichkeit, Polizeistaatlichkeit, den freien Markt und "christliche Werte" unter einen Hut gebracht hat. Trotz Reagans viel bewundertem Optimismus definierten sich die Konservativen durch ihre Gegner. Man wollte sich bedroht fühlen - von einer vage ausgeloteten kulturellen und glaubensfeindlichen Elite, von den Zweiflern an den traditionellen Geschlechterrollen und von denen mit nicht weißer Hautfarbe. Angeblich nicht wegen deren Hautfarbe, sondern weil die anderen eben andere Werte hätten und möglicherweise illegal in die USA gekommen seien. Restlos abhängig war der Konservatismus vom äußeren Feind. Nach dem Zerfall des Kommunismus nutzten Bush und die Republikaner die Terroranschläge des 11. Septembers 2001. Dabei war George W. Bush im Januar 2001 nicht als hart rechter Kandidat angetreten. Außenpolitisch müsse Amerika auch "Bescheidenheit" und "Demut" zum Zuge kommen lassen, sagte der "frühe Bush". Er gelobte, eng mit den "starken demokratischen Verbündeten in Europa und Asien" zusammen zu arbeiten. Innenpolitisch wollte er Brücken bauen und die harten Ecken der Partei abschleifen. Sein Konservatismus sei ein "mitfühlender". Die Strategie hätte freilich nicht funktioniert gegen Al Gore, wenn nicht der Oberste Gerichtshof eine volle Auszählung der Stimmen in Florida verhindert und die rechte republikanische Basis beim Streit um das endgültige Wahlergebnis die Demokraten überrannt hätte. Die ersten Monate im Weißen Haus erschien Bush konzeptionslos - man fragte sich, was für ein Republikaner war da in höchste Staatsamt geraten? Der 11. September vor sieben Jahren hat diese Frage beantwortet. Präsident Bush handelte danach wie einer, der einen Weg gefunden hat, "das Heimatland", die amerikanischen Werte und den amerikanischen "Lebensstil" zu schützen, und gleichzeitig die Macht seiner Partei auszubauen. Psychologen könnten vielleicht mutmaßen oder beurteilen, was in Bush seinerzeit vor sich ging. Woher der reformierte Alkoholiker und bekennende Christ sein festes Sendungsbewusstsein bekam, mit dem er die "Achse des Übels" verurteilte, die vorbeugende Kriegsdoktrin verkündete, den Irak angriff und zur Verteidigung der amerikanischen Werte Geheimgefängnisse anlegen ließ. Nicht viele Präsidenten haben die USA so tiefgreifend verändert wie der gescheiterte Erdölunternehmer. Der außenpolitische Kreuzzug ging innenpolitisch Hand in Hand mit dem Schärfen der Ecken und Kanten: Bush regierte und wurde 2004 wiedergewählt, indem er sich auf den harten Kern seiner Partei stützte. Wer das Programm Bush kritisierte, stand im Ruf, kein wahrer Patriot zu sein. Macht wollte man behalten nicht durch das Gewinnen neuer Anhänger, sondern die Mobilisierung der rechten Basis. Macht wurde erweitert, indem der Kongress mit verfassungsrechtlich fragwürdigen Manövern ins Absteits gedrängt wurde. International setzten die USA aufs Militär und missachteten Verträge. Wirtschaftspolitisch regierte der deregulierte "freie Markt". Noch nie waren die Profite am Finanzmarkt so groß. Die Mittelklasse belastete das Eigenheim mit zusätzlichen Hypotheken und zahlte so für den "amerikanischen Lebensstil" oder auch für den Arztbesuch, den sie sich wegen der real fallenden Einkommen und der auslegenden Honorare für Mediziner sonst nicht hätte leisten können. Auch das war für Bush ein Glaubensbekenntnis: Aktien steigen, die Immobilienpreise steigen - Regierungsintervention schadet dem Markt. Wie oft intonierten Nachrichtensprecher begeistert, der Dow Jones und die Wall Street hätten wieder einen guten Tag gehabt. Inzwischen hat Existenzangst die Glaubensbekenntnisse eingeholt. George W. Bush wird seinen Lebensabend als der Ex-Präsident verbringen, der einen endlosen "Krieg gegen den Terrorismus" geführt, den Verfall des amerikanischen Ansehens in der Welt bewirkt und möglicherweise die größte Wirtschaftskatastrophe seit dem Bankencrash von 1929 mit zu verantworten hat. Bushs Demokratisierungskampagne erscheint als letztes Aufbäumen einer Weltmacht, die sich der Realität ihres Abstiegs widersetzen will. Kein Wunder, dass McCain das Weite sucht. Aber McCain weiß nicht, wohin er steuern soll. Noch vor ein paar Wochen wollte er das republikanische Zelt erweitern. Wegen negativer Umfragen hat er nun offenkundig beschlossen, Schmutz zu werfen, die Basis zu mobilisieren und der Hoffnung zu folgen: die verunsicherten Wähler wollen einen starken weißen Mann und eine weiße Frau aus dem Volk. Ob die Attacken auf Barack Obama, der sich laut Palin "mit Terroristen herumtreibt", Wirkung haben, wenn der Dow Jones in den Keller fällt und Hunderttausende ihr Eigenheim verlieren - das bleibt abzuwarten. In einem Feature über den Wahlkampf im Südwesten von Virginia, einem sozialkonservativen Pflaster, zitierte die Los Angeles Times kürzlich einen demokratischen Wahlkämpfer im Gespräch mit weißen Arbeitern, die anscheinend Probleme hatten, für einen Schwarzen zu stimmen: Sie hätten nach Bush die Wahl zwischen einem "schwarzen Freund" im Weißen Haus und einem Weißen, der nicht ihre Interessen vertrete, hieß es. Was der schwarze Freund aber konkret tun könnte angesichts des Niedergangs der amerikanischen Wirtschaft, das ist eine andere Frage. Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 41 vom 10.10.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags. 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