Wie im SchlaraffenlandIrreführende Hoffnung: Mit staatlichen Konjunkturhilfen allein ist es nicht getanVon Eugen Drewermann In den vergangenen 30 Jahren hat sich das Volksvermögen in Deutschland fast verdreifacht. Wir könnten leben wie im Schlaraffenland. Aber: zehn Prozent der Bevölkerung halten inzwischen mehr Besitz in Händen als 60 Prozent der übrigen, und so haben wir über zwei Millionen Kinder, die in Armut aufwachsen, und etwa 15 Millionen Menschen, die mit Hartz IV, Sozialhilfe und minimalen Renten nicht zu leben und nicht zu sterben wissen. Mindestlöhne von acht Euro? Nein, das würde ja die Arbeitsplätze mit den Fünf-Euro-Jobs gefährden. Lieber soll der Steuerzahler doch den Unternehmern noch die Ausbeutung von Leiharbeitern finanzieren - ein wirklicher Beitrag zur Senkung der Arbeitslosenzahlen, wie wir wissen. Dass Millionen Menschen mit all der oft entwürdigenden Arbeit - mobil, flexibel, willig, stets als Sklavenarmee des Kapitals verfügbar - nicht einmal genug verdienen, um das Existenzminimum zu finanzieren, hat allerdings seit Jahren einen nicht so schönen Nebeneffekt: die "Binnennachfrage" lahmt. Und wenn nun noch dem Exportweltmeister Deutschland durch die Finanzkrise die Aufträge wegbrechen, muss die Politik reagieren. Mit einem Mal stellt die Regierung Merkel 50.000.000.000 Euro als Konjunkturspritze zur Verfügung, zur Rettung von einer Million Arbeitsplätzen, wie es heißt - 50.000 Euro also für einen Arbeitsplatz. Und an wen geht das Geld? Genau! An die Hausbesitzer, damit sie billiger an "schadstoffarme" Autos kommen. Und, ach ja, auch neue Straßen sollen gebaut werden. So rettet man das Klima und die Umwelt und die Konjunktur. Dann muss man den Volkszorn nur noch auf die überhöhten Managergehälter lenken und rettet damit noch einmal das Gesamtsystem, glaubt man jedenfalls. Doch das System ist nicht zu retten. Denn es denkt und lenkt vorbei an den Menschen, die es in weltweiter Konkurrenz gegeneinander in Stellung bringt. Der Einzug der Dritten in die Erste Welt ist längst im Gange - da helfen kein Mauerbau wie an der Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko (mit 400 Toten jährlich) und auch keine Söldner und Schnellboote im Mittelmeer, wo im Jahr Tausende bei dem Versuch ums Leben kommen, als Migranten aus Nord- oder Westafrika ihr Glück in Europa zu finden. So zeigt sich derzeit überdeutlich, was Kapitalismus im Prinzip bedeutet: maximale Profitsteigerung durch maximale Ausbeutung von Menschen und natürlichen Ressourcen. Nicht private Gier ist der Grund, sondern das Ausleseprinzip eines Wettbewerbs der wechselseitigen Vernichtung. Liberalisierung und Deregulierung der Märkte sind das Credo von Weltbank und Internationalem Währungsfonds. Der Missionierungsauftrag von Milton Friedman und den Chicago-Boys hat ganze Regionen verelenden lassen und Millionen Menschen in den Untergang getrieben. Die strukturelle Gewalt, die damit verbunden ist, bedarf ständig erweiterter Militäreinsätze. Auf 33 Milliarden Euro wird sich 2009 der Rüstungshaushalt allein der Bundesrepublik belaufen - gedacht für teilweise völkerrechtswidrige Einsätze der NATO auf dem Balkan und in Afghanistan oder für Antiterror-Aufträge vor der Küste Somalias. Die Vereinten Nationen rechnen uns vor: Mit Investitionen von nur 20 Milliarden Euro könnte man allen Menschen sauberes Trinkwasser verschaffen. Es gäbe eine Menge zu tun, doch dann müssten wir unser gesamtes Weltwirtschaftssystem ändern in Richtung all dessen, was Menschen wirklich brauchen. Weg von der Idee, wie am schnellsten für ganz wenige ganz große Gewinne einzufahren sind. Auch das gesamte Geldsystem müsste geändert werden. Die Finanzmärkte sind kollabiert, weil aus Krediten wie Kreditversicherungen "komplexe Produkte" - Derivate genannt - entwickelt wurden, damit sich die Geldbesitzer nach dem Monte-Carlo-Prinzip noch schneller und noch ergiebiger mit Renditen von bis zu 30 Prozent ihrer Einsätze und auf Kosten ihrer Gläubiger bereichern konnten. 19 Millionen Hausbesitzer, die seit 2001 Kredite in Anspruch nahmen, stehen heute in den USA buchstäblich auf der Straße. Die Sache will man staatlich besser beaufsichtigen, aber das Kreditgeschäft selbst ist der Fehler. Bei Verzinsungen von 15 Prozent mit Menschen Geschäfte zu machen, die kein Geld haben und deshalb Kredite brauchen - davon muss das monetäre System schwer in Mitleidenschaft gezogen werden. Zinsen sind die effektivste Methode, nach der sich Eigentum von unten nach oben permanent umverteilen lässt. Man braucht etwa 150.000 Euro auf der Bank, um vom Zinssystem zu profitieren. Wir sollten daher dreierlei auf einmal abschaffen: alle Formen der modernen Lohnsklaverei, die "Option" zum Kriegführen und den Zinswucher. Eugen Drewermann ist Theologe, Psychoanalytiker, Schriftsteller und seit Jahrzehnten einer der bekanntesten Kirchenkritiker in Deutschland.
Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 45 vom 06.11.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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