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Die israelische Blockade - ihr wahres Ziel

Von Jonathan Cook, 18.11.2008 - The National / ZNet

Israel hat seinen Würgegriff um Gaza verstärkt - seit einer Woche gibt es keine Lieferungen in den Gazastreifen mehr. Für Gazas 1,5 Millionen Einwohner hat dies unmittelbare und dramatische Folgen.

Weil Treibstoff nicht mehr in den Gazastreifen gelassen wird, musste Gazas einziges Kraftwerk abgeschaltet werden. Die Folge - ein Blackout. Letzte Woche gingen Palästinenser mit Kerzen in den Händen auf die Straße und protestierten. Auch eine Krise in der Wasserversorgung und ein großes Hygieneproblem stehen bevor.

Am Donnerstag erklärte die UNO, die essentielle Nahrungsmittelhilfe für 750.000 dringend Bedürftige in Gaza sei aufgebraucht. "Dies ist zu einer Blockade gegen die Vereinten Nationen selbst geworden", erklärte ein UN-Sprecher.

Dann kam der nächste Schlag. Die israelische Bank Hapoalim erklärte, ab Ende November alle Transaktionen mit Gaza einzustellen. Im Endeffekt kommt dies einer finanziellen Blockade gegen eine Wirtschaft gleich, die von der israelischen Währung, dem Schekel, abhängig ist. Weitere Banken wollen demnächst dem Beispiel der Hapoalims folgen. Sie sehen sich in die Ecke gedrängt, seit Israel im September 2007 Gaza zu einer "feindlichen Einheit" erklärt hat.

Das Abgleiten Gazas in einen kalten Hungerwinter werden wohl nur wenige Zeugen miterleben. In den vergangenen Wochen wurde allen Journalisten die Einreise nach Gaza verweigert - ebenso einigen hochrangigen europäischen Diplomaten. Einige Tage danach wurden Dutzende Ärzte und Akademiker abgewiesen, die zu einer Konferenz einreisen wollten, um das Ausmaß der psychischen Schädigung der Menschen in Gaza zu ermessen.

Israel gibt der Hamas die Schuld an den jüngsten israelischen Einfuhrbeschränkungen für Treibstoff und Hilfslieferungen. Die Hamas habe gegen den seit fünf Monaten geltenden Waffenstillstand verstoßen und Raketen aus dem Gazastreifen abgefeuert. Aber auch Israel selbst trägt dazu bei, das Abkommen zu zerstören: Gerade als die Welt durch die Wahl des US-Präsident abgelenkt war, marschierte die Israelische Armee in Gaza ein, tötete sechs Palästinenser und provozierte die Raketenangriffe.

Die humanitäre Katastrophe, die Gaza umfangen hält, hat wenig mit den jüngsten Scharmützeln zwischen Hamas und Israel zu tun. Schon vor circa einem Jahr warnte die Generalkommissarin der UNO-Flüchtlingshilfsagentur, Karen Koning AbuZayd: "Gaza steht an der Schwelle, das erste Territorium zu werden, das bewusst in einen Zustand der absoluten Zerstörung versetzt wird".

AbuZayd machte damals Israel in direkter Weise für die Strangulierung Gazas verantwortlich. Die internationale Gemeinschaft bezeichnete sie als Komplizin. Man habe seit Anfang 2006, also seit dem Sieg der Hamas bei den Wahlen, in denen es u.a. um die Führungsposten in der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) ging, mit der Blockade der Hilfen begonnen.

Die USA und Europa hatten dieser Maßnahme zugestimmt, um die Menschen in Gaza zu zwingen, ihre Unterstützung für die Hamas zu überdenken. Es war wohl dieselbe Art Logik, die schon in den 90er Jahren bei den Iraksanktionen gegen Saddam Hussein zur Anwendung kam. Diese Logik lautet: Wenn Gazas Zivilisten genug gelitten haben, werden sie sich gegen die Hamas erheben und neue, für Israel und den Westen akzeptable Führer wählen.

Wie Frau AbuZayd sagte, markierte dieser Moment (Wahlen in den Palästinensergebieten 2006) den Beginn der Komplizenschaft zwischen der internationalen Gemeinschaft mit jener Politik der kollektiven Bestrafung gegen Gaza. Dies geschah trotz der Tatsache, dass die 4. Genfer Konvention ein solches Verhalten gegenüber Zivilisten als Kriegsverbrechen klassifiziert.

Seit diesem Zeitpunkt werden die Blockaden rücksichtslos durchgezogen. Das gewünschte Ergebnis bleibt aber ebenso aus wie damals im Irak. Stattdessen verankert die Hamas ihre Kontrolle nur noch tiefer. Die geographische Trennung zwischen Gaza und der von der Fatah dominierten Westbank wird zementiert.

Aber die israelische Führung denkt nicht daran, ihre Politik zu überdenken. Ihre Antwort lautet: Zieht die Schraube immer enger! Der Punkt ist erreicht, an dem die Gesellschaft im Gazastreifen vor dem Kollaps steht.

In Wahrheit hat die wachsende Katastrophe, die über Gaza gebracht wird, nur indirekt etwas mit dem Aufstieg der Hamas zur Macht oder mit den Raketenanschlägen zu tun.

Was Israel mehr Sorgen bereitet, ist die BEDEUTUNG der beiden oben genannten Entwicklungen: Israel sorgt sich, weil Gazas Bürger sich weigern, den Widerstand gegen die fortdauernde israelische Besatzung aufzugeben. Die beiden Entwicklungen sind für Israel ein Vorwand, um sich nicht um den Schutz der Zivilbevölkerung Gazas, wie ihn das internationale Recht vorsieht, zu scheren und die Bevölkerung unterwerfen zu können.

Letztes Wochenende veröffentlichten die israelischen Medien eine Information (peinlich, dass es gerade jetzt geschah). Einer der ersten Akte des (2006) gewählten Premierministers Ismail Haniyeh von der Hamas sei es gewesen, eine Botschaft an Präsident Bush ins Weiße Haus zu senden, in der ein langfristiger Waffenstillstand angeboten wurde, falls Israel die Besatzung beende. Haniyehs Angebot sei jedoch nicht einmal zur Kenntnis genommen worden.

Stattdessen, so die Tageszeitung Jerusalem Post, hätten israelische Politiker versucht, den Eindruck zu vermitteln, "dass es für Israel keinen Sinn machen würde, die Hamas zu stürzen: die Bevölkerung (Gazas) ist die Hamas". Wenn man so denkt, hält man kollektive Bestrafung natürlich für angebracht. Schließlich geht man ja davon aus, dass es in Gaza keine echten Zivilisten gibt. Israel befindet sich im Krieg mit jedem einzelnen Mann, jedem einzelnen Kind und jeder einzelnen Frau.

Wie weitverbreitet dieses Denken ist, zeigt eine Debatte, die letzte Woche im israelischen Kabinett stattfand. Man diskutierte über eine Strategie, die vorsah, Dörfer in Gaza auszulöschen, um Raketenangriffe zu stoppen. Diese Strategie erinnert an jene diskreditierte Taktik, die Israel im Krieg 2006 im Südlibanon anwandte: Man gab den Einwohnern eine Warnung; anschließend wurde alles mit Granaten zusammengeschossen.

Im Grunde lag Israel bereits vor dem Wahlsieg der Hamas 2006 daran, Gaza abzuriegeln und dessen Zivilbevölkerung zu terrorisieren. Man denke an den Sommer 2005, als Ariel Scharon die Loslösung von Gaza vollzog. Damals beherrschte die Fatah noch unangefochten die Palästinensische Autonomiebehörde.

Welche Art von Isolation Herrn Scharon für Gaza vorschwebte, wurde schon kurz nach dem israelischen Rückzug klar, als seine Offiziellen zum ersten Mal einen Stopp der Stromversorgung für Gaza vorschlugen.

Der Vorschlag wurde damals nicht umgesetzt. Warum? In den lokalen Medien stand damals, das offizielle Israel befürchte zum einen Widerstand vonseiten anderer Nationen gegen einen solchen Bruch des internationalen Rechtes und zum andern schlechtere Chancen für die Fatah. Die palästinensischen Wahlen 2006 standen ja in einem Monat bevor.

Als die Wahlen gelaufen waren, hatte Israel die nötige Entschuldigung, um nach und nach die Verantwortung für die Zivilbevölkerung (in Gaza) abzubauen. Israel stellte seine Beziehung zu Gaza auf eine neue Grundlage: von einem besetzten Gebiet wurde Gaza zu einer feindlichen Kriegspartei umdeklariert. Noch Ende 2005 wäre eine "Kollektivbestrafung" offensichtlich illegal gewesen. Heute ist es zur Standardvorgehensweise Israels geworden.

Israelische Offizielle griffen zu immer schärferen Worten - die in der berüchtigten Aussage des stellvertretenden Verteidigungsministers Matan Vilnai kulminieren, man werde in Gaza eine "Shoah", also einen Holocaust, schaffen. Gleichzeitig schuf Israel Tatsachen vor Ort: Im Juni 2006 bombardierte Israel das Elektrizitätswerk von Gaza. Seither werden die Treibstofflieferungen nach Gaza unterbunden. Im Januar sagte Herr Vilnai, Israel solle keinerlei "Verantwortung" für Gaza mehr übernehmen. Zwei Monate später unterzeichnete Israel einen Vertrag mit Ägypten zum Bau eines Elektrizitätswerkes für Gaza, das auf dem ägyptischen Sinai liegen sollte.

Hinter all diesen Schritten steht eine Absicht: Israel will die Welt davon überzeugen, dass die Besetzung des Gazastreifens zu Ende ist. Das Besatzungsrecht gehe Israel nichts mehr an. Israel könne unbegrenzte Gewalt gegenüber Gaza ausüben.

Die Mitglieder des Israelischen Kabinetts übertreffen sich mit Aussagen, die dieses Gefühl widerspiegeln. So erklärte Ehud Olmert, es dürfe den Menschen in Gaza nicht erlaubt sein, ein "normales Leben zu leben", und Avi Dichter ist der Meinung, Bestrafungen sollten "unabhängig von den Kosten aufseiten der Palästinenser" erfolgen. Meir Sheetrit drängte, Israel solle sich "ein bestimmtes Viertel in Gaza aussuchen und es dem Erdboden gleichmachen". Es war diese Art Politik, über die letzte Woche in Israel auf Ministerebene debattiert wurde.

Israel zeigt sich relativ blind für den zunehmenden Schmuggel zwischen Gaza und Ägypten, der über ein Tunnelsystem verläuft. Mit jedem Tag hängt Gazas materielles Wohl und Wehe mehr von Ägypten ab.

Bleibt die Frage: Wie, glaubt Israel, wird die Bevölkerung Gazas auf all das Elend und die zunehmende Unsicherheit reagieren? Wie wird sie angesichts der militärischen Racheangriffe aus Israel reagieren?

Eyal Sarraj leitet das Programm für Mentale Gesundheit (Community Mental Health Programme) in Gaza. Er sagte 2008, Israel habe das langfristige Ziel, Ägypten dazu zu bringen, die Krontrollen entlang der schmalen Grenze zu Gaza aufzugeben. Sobald diese Grenze offen sei, so warnte Sarraj: "Warten wir auf den Exodus".

Jonathan Cook ist Autor und Journalist. Er lebt in Nazareth/Israel. Sein neues Buch heißt: "Disappearing Palestine: Israel’s Experiments in Human Despair" (erschienen bei Zed Books). Cooks Webseite finden Sie unter www.jkcook.net .

Quelle:  ZNet Deutschland   vom 18.11.2008. Originalartikel: The real goal of Israel’s blockade . Übersetzt von: Andrea Noll. Dieser Artikel ist ursprünglich bei The National (Abu Dhabi) erschienen www.thenationa.ae .

Veröffentlicht am

19. November 2008

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