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Verfassungsrichter gewährleisten keinen Schutz vor den Gefahren der Kernenergie

Zum Atommüll-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

Mit einem vorgestern veröffentlichten Beschluss vom 12. November 2008 hat das Bundesverfassungsgericht Beschwerden gegen mehrere Atommüll-Zwischenlager nicht angenommen (Az. 1 BvR 2456/06). Nach Auffassung der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW, die an einem der Verfahren indirekt beteiligt war, ist die Entscheidung nicht nachvollziehbar.

Die Entscheidung ist aus folgenden Gründen nicht nachvollziehbar:

  1. Das Bundesverfassungsgericht verweist zu Recht auf den verfassungsmäßigen Grundsatz einer "bestmöglichen Risikovorsorge und Gefahrenabwehr", spricht den Beschwerdeführern aber dennoch einen Anspruch auf eine "bestmögliche" Lagerung des Atommülls in terrorsicheren Lagerhallen ab. Die Lagerung des Atommülls in unsicheren Leichtbauhallen widerspricht selbstverständlich dem Verfassungsgrundsatz einer "bestmöglichen" Risikovorsorge und Gefahrenabwehr.
  2. Zu Recht stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass wegen eines noch immer fehlenden Endlagers die weitere Nutzung der Atomenergie möglicherweise nicht mehr "verantwortet" werden kann. Nicht nachvollziehbar ist aber die Auffassung, dass diese Frage ausschließlich vom Gesetzgeber zu beantworten wäre. Denn nach dem "Kalkar-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts ist es die "objektiv-rechtliche Verpflichtung aller staatlichen Gewalt" - also auch die des Bundesverfassungsgerichts -, in Hinblick auf die Gefahren der Kernenergie die Grundrechte zu schützen und "alle Anstrengungen zu unternehmen, um mögliche Gefahren frühzeitig zu erkennen und ihnen mit den erforderlichen, verfassungsmäßigen Mitteln zu begegnen." Angesichts des Einflusses der mächtigen Atomindustrie auf den Gesetzgeber wäre es die Verpflichtung des Bundesverfassungsgerichts gewesen, die Bevölkerung zu schützen.
  3. Das Bundesverfassungsgericht weist in seinen Beschluss zunächst zutreffend darauf hin, dass nach seinem Kalkar-Urteil jenseits des "menschlichen Erkenntnisvermögens" "Ungewissheiten" als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen sind. Hierbei handelt es sich um das so genannte "Restrisiko". Nicht nachvollziehbar ist aber, dass das Gericht in seinem Beschluss implizit Terroranschläge, die beispielsweise in Form von Flugzeugangriffen, Sprengstoffanschlägen oder durch Beschuss jahrelang Gegenstand umfangreicher gutachterlicher Untersuchungen waren, in den Bereich des "Restrisikos" und damit als "Ungewissheiten jenseits des menschlichen Erkenntnisvermögens" zuordnet. Es ist festzustellen, dass die in Zusammenhang mit den atomaren Zwischenlagern diskutierten Risiken und Gefahren nach der Definition des Kalkar-Urteils des Bundesverfassungsgerichts definitiv kein "Restrisiko" darstellen, welches von der Bevölkerung zu akzeptieren wäre.
  4. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sollen die Beschwerdeführer und die Allgemeinheit die Lagerung des Atommülls in Leichtbauhallen akzeptieren, weil ein darüber hinausgehender grundrechtlich verbürgter Anspruch auf "Restrisikominimierung" den Beschwerdeführern nicht zustehe. Eine "Restrisikominimierung" kann es allerdings nach der Definition des Restrisikos im Kalkar-Urteil durch das Bundesverfassungsgericht selbst überhaupt nicht geben, weil man "Ungewissheiten jenseits des menschlichen Erkenntnisvermögens" selbstverständlich nicht minimieren kann. Wie soll man Gefahren, die man überhaupt nicht kennt, minimieren können? Folgerichtig hat auch das Bundesverwaltungsgericht in einem aktuellen Urteil vom 10. April 2008 völlig zu Recht die Möglichkeit einer "Restrisikominimierung" verneint, "da das Restrisiko durch einen nicht weiter minimierbaren, ‚unentrinnbaren’ Rest gekennzeichnet ist" [BVerwG 7 C 39.07, Rz. 32f.]. Es ist nicht nachvollziehbar, dass diese zutreffende Argumentation in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts unberücksichtigt blieb.

Quelle: IPPNW   - Presseerklärung vom 28.11.2008.


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Veröffentlicht am

29. November 2008

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