Angriff auf MumbaiDie indische Führung muss den Blick mehr auf das eigene Land richten\nVon Tariq Ali - 29.11.2008 - CP / ZNet Die Terrorangriffe auf Mumbais Fünf-Sterne-Hotels waren gut geplant. Allerdings war keine große logistische Intelligenz nötig, denn alle Ziele waren ‘weiche Ziele’. Man wollte eine Katastrophe erzeugen, um die Scheinwerfer auf Indien und dessen Probleme zu lenken. Das ist den Terroristen gelungen. Die Identität der Gruppe mit den schwarzen Kapuzen bleibt weiter mysteriös. Die ‘Deccan Mujahedeen’, hatten in einer Pressemitteilung mittels E-Mail, die Verantwortung übernommen. Der Name ist neu. Sicher wurde er für die Aktion erfunden. Es gibt viele Spekulationen. So behauptet ein hoher indischer Marineoffizier, die Angreifer (die mit dem Schiff M V Alpha nach Indien kamen) hätten Verbindungen zu somalischen Piraten. Damit will er andeuten, dass es sich um einen Racheanschlag handelt. Die Indische Marine hatte vor wenigen Wochen eine erfolgreiche aber blutige Aktion gegen die Piraten im Arabischen Golf durchgeführt, bei der es viele Opfer gab. Indiens Premier Manmohan Singh, besteht darauf, die Basis der Terroristen läge im Ausland. Die indischen Medien sind ein Echo seiner Argumentationslinie: Pakistan (siehe Lashkar-e-Taiba) und die Taliban stehen auf der Liste der üblichen Verdächtigen. Es handelt sich um eine bedachte Ausrede, die der politischen Imagination des offiziellen Indiens entspringt. Zweck dieser Ausflucht ist es, die Möglichkeit zu leugnen, dass der Terror ein indisches Gewächs sein könnte und ein Produkt der Radikalisierung junger indischer Muslime, die das politische System Indiens aufgegeben haben. Aber um dies zu akzeptieren, müssten Indiens politische Doktoren sich selbst kurieren. Wie die CIA vor kurzem deutlich machte, ist Al Kaida eine Organisation im Niedergang. Es war ihr nicht möglich, einen zweiten Anschlag durchzuführen, der auch nur vage an den 11. September heranreichte. Ihr oberster Führer, Osama bin Laden, ist wahrscheinlich tot (in die US-Präsidentschaftswahlen 2008 griff er auf alle Fälle nicht mit seinem üblichen Markenzeichen - einer Videobotschaft - ein). Sein Stellvertreter belässt es bei Drohungen und Drohgebärden. Aber was ist mit Pakistan? Das pakistanische Militär ist massiv in die Aktionen an der Nordwest-Front involviert - wo der Afghanistankrieg auf Pakistan überschwappt und das Land destabilisiert. Die derzeit in Pakistan herrschenden Politiker unternahmen mehrere Versuche, sich mit Indien gut zu stellen. Die (Terror-)Gruppe Lashkar-e-Taiba scheut sich normalerweise nicht, sich zu ihren Anschlägen zu bekennen. Im Falle der Angriffe von Mumbai weist sie jedoch jede Beteiligung weit von sich. Warum wäre es so überraschend, wenn es sich bei den Tätern um indische Muslime handelte? Es ist kaum ein Geheimnis, dass der ärmste Sektor der muslimischen Gemeinde (Indiens) voller Zorn ist. Sie sind zornig über die systematische Diskriminierung und die Gewalttaten gegen sie. 2002 kam es im leuchtenden indischen Bundesstaat Gujarat zu einem Progrom gegen Muslime. Es war nur eine Episode von mehreren - und sie wurde am besten untersucht. Der Ministerpräsident von Gujarat und der lokale Apparat des Bundesstaates unterstützten die Untersuchung. Hinzu kommt die chronische Wunde Kaschmir. Die indischen Truppen behandeln die Provinz seit Jahrzehnten wie eine Kolonie. Sie verhaften willkürlich, vergewaltigen und foltern Einwohner Kaschmirs. Es passiert täglich. Die Zustände sind weit schlimmer als die in Tibet. Doch der Westen zeigt wenig Sympathie. Der ‘Schutz der Menschenrechte’ ist im Westen sehr stark instrumentalisiert. Die indischen Geheimdienste sind sich all dessen bewusst und sollten ihre politische Führung nicht beim Fantasieren helfen. Am besten wäre es zuzugeben, dass es im Land schwere Probleme gibt. Indien hat 1 Milliarde Bürger. 80 Prozent Hindus, 14 Prozent Muslime. Man könnte die große Minderheit der Muslime nicht "ethnisch säubern", ohne einen ausufernden Konflikt zu provozieren. Das alles ist in keinster Weise eine Rechtfertigung für Terrorismus. Jedoch sollten die Ereignisse zumindest dazu führen, dass die Führer Indiens gezwungen sind, ihren Blick auf das eigene Land zu lenken und auf die vorherrschenden Bedingungen. Die ökonomischen Unterschiede sind tiefgreifend. Die absurde Vorstellung, der globale Kapitalismus werde positiv nach unten durchsickern (‘trickle-down effects’) und die meisten Probleme lösen, ist heute als das entlarvt, was sie immer war: ein Feigenblatt, das die neuen Formen der Ausbeutung verbergen sollte. Tariq Alis neues Buch heißt: ‘The Duel: Pakistan on the Flight Path of American Power’.
Quelle: ZNet Deutschland vom 29.11.2008. Originalartikel: India’s Leaders Need to Look Closer to Home . Übersetzt von: Andrea Noll. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
|