Abrüstung als humanitäre AktionVertrag ächtet Streumunition. Doch Hintertüren bleiben offenVon Wolfgang Kötter In Norwegens Hauptstadt hat in dieser Woche der "Oslo-Prozess" seinen erfolgreichen Abschluss gefunden. Im Rathaus, wo in jedem Jahr der Friedensnobelpreis vergeben wird, empfing Ministerpräsident Jens Stoltenberg am 3. Dezember Vertreter von über 100 Staaten, die die Konvention zum Verbot von Streumunition unterzeichnen werden. Im Mai hatten sie nach zeitweise äußerst schwierigen Verhandlungen in Dublin den Durchbruch zu einem Verbotsvertrag errungen, wenn auch zum Preis einiger schmerzhafter Zugeständnisse an die Waffenlobby. Mit dem "Presidency Paper" hatte der irische Konferenzpräsident Daithi O’Ceallaigh einen Textentwurf vorgelegt, auf dessen Grundlage die noch strittigen Passagen zu klären waren. Als "Freunde des Vorsitzes" führten die Schweizer Botschafterin Christine Schraner Burganer, Don MacKay aus Neuseeland und der Norweger Steffen Kongstad informelle Konsultationen zu besonders kontroversen Fragen. Mit diplomatischem Geschick, nicht zuletzt aber auch dank der über 200 im Konferenzzentrum aktiv wirkenden Organisationen der Internationalen Kampagne gegen Streumunition (Cluster Munition Coalition - CMC) und gehörigem Druck aus den nationalen Parlamenten gelang es, selbst Problemstaaten wie Australien, Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan, Kanada und die Niederlande einzubinden. Von ihnen waren zuvor zahlreiche Einwände, Vorbehalte und Ausnahmeforderungen gekommen. Nach der Ottawa-Konvention zum Verbot von Anti-Personenminen liegt mit der Convention on Cluster Munitions nun das zweite Ergebnis einer fruchtbaren Zusammenarbeit von abrüstungsbereiten Diplomaten und engagierter Zivilgesellschaft vor. In nur fünf Verhandlungsrunden und reichlich einem Jahr entstand ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen, das letztlich zur Beseitigung einer der heimtückischsten aller Waffenarten führt. Ihre Opfer sind zu 98% Zivilisten - Bauern, die nach den Kämpfen ihre Felder bestellen, Frauen beim Ernten oder Holzsammeln und immer wieder Kinder, wenn sie die tödlichen Blindgänger für Spielzeug halten. Die Bomben, Raketen oder Granaten sind mit Submunitionen gefüllt, die noch in der Luft Hunderte von Projektilen verbreiten, deren Füllung wiederum aus Splittergeschossen oder Minen bestehen kann und auf große Flächen verstreut werden. Da viele beim Aufprall nicht explodieren, bleiben die Blindgänger oft jahrelang im Boden liegen und explodieren bei der geringsten Berührung. Die USA haben allein in Afghanistan von 2001 bis 2002 mehr als 1.200 Streubomben mit rund 250.000 einzelnen Sprengsätzen abgeworfen. Diese Streumunition wurde auch im Irak und im Kosovo-Krieg eingesetzt. Nach Informationen der humanitären Organisation handicap international sind weltweit Seit dem Beginn des Einsatzes von Streumunition wurden laut Schätzungen von Hilfsorganisationen rund 100.000 Menschen durch diese Waffenart getötet oder schwer verletzt. Vor allem nach dem massenhaften Einsatz von Streumunition im Libanonkrieg Israels vom Sommer 2006 wuchs der weltweite Druck für ein Verbot. Doch angesichts der durch die Lobby von Bombenproduzenten, Waffenhändlern und Militärs betriebenen Verschleppungstaktik in den traditionellen Verhandlungsgremien begannen abrüstungswillige Staaten, angeführt von Norwegen, Neuseeland, Österreich Mexiko und Peru, im Februar 2007 den "Oslo-Prozess". Nach der norwegischen Hauptstadt folgten weitere Treffen in Lima, Wien, Wellington und schließlich die abschließenden Vertragsverhandlungen in Dublin. Irlands Außenminister Micheál Martin bezeichnete das dort erreichte Ergebnis stolz als "echten Beitrag zum humanitären Völkerrecht". Der nun in der "Oslo City Hall" zur Unterschrift ausliegende Vertrag verbietet die Anwendung und den Transfer von Streumunition, verpflichtet zur Vernichtung bestehender Arsenale und schließt die Räumung minenverseuchter Gebiete ebenso ein wie die Hilfe für betroffene Opfer. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, Streumunition nicht einzusetzen, zu entwickeln, zu produzieren, anzuschaffen, weiterzugeben oder zu lagern. Das bezieht sich auch auf solche von Flugzeugen abgeworfenen und mit explosiven Bomblets gefüllten Behälter. Sämtliche vorhandene Streumunition muss innerhalb von 8 Jahren zerstört werden, und zwar unter Beachtung der öffentlichen Gesundheit und des Umweltschutzes. Allerdings kann eine Fristenverlängerung beantragt werden. Nichtregierungsorganisationen vermerken erfreut, dass die von ihnen besonders kritisierten jahrelangen Übergangsfristen für das Verbot und die Legalisierung von Streubombentypen mit niedrigen Blindgängerquoten keine Akzeptanz fanden. Die Bestimmungen über Räumpflichten, Unterstützung der betroffenen Länder und zur Opferhilfe werden sogar als bahnbrechend gelobt. So enthält der Vertragstext eine sehr weite Definition, die sowohl die betroffenen Einzelpersonen als auch ihre Familien mit einschließt. Die Teilnehmerstaaten müssen medizinische Versorgung, physische Rehabilitation, finanzielle, sozioökonomische und psychologische Unterstützung der Leidtragenden gewähren. "Der Vertragstext setzt eindeutig neue humanitäre Standards in Bezug auf Opferhilfe, Räumverpflichtungen und Unterstützung der betroffenen Länder", sagt François De Keersmaeker, von handicap international Deutschland. "Wir müssen sicherstellen, dass die Überlebenden von Streumunition nicht vergessen werden", so De Keersmaeker. Deshalb enthält der Text eine detaillierte Liste mit konkreten Aktionen, die die Staaten leisten sollen, um die Opfer zu unterstützen. "Die Liste ist wichtig, um sicherzustellen, dass dieser Vertrag nicht nur ein Stück Papier ist", meint Dejan Dikic, Überlebender eines Streubombenunfalls aus Serbien. Er ist sich sicher: "Der Vertrag hat das Potenzial, viel zu verändern, aber wir Opfer müssen den Prozess immer noch weiter verfolgen, um einen konkreten Fortschritt zu sichern." "Überlebende in allen betroffenen Ländern sollten Zugang zur Opferhilfe haben", fordert Youern Sam En aus Kambodscha. Er gehört ebenfalls zu den "Anwälten der Kampagne", den so genannten "Ban Advocates". Die Gruppe wurde von handicap international aufgebaut und dabei unterstützt, in der weltweiten Kampagne gegen Streubomben wirkungsvoll mitzuarbeiten. "Abrüstung als humanitäre Aktion" - auf diese griffige Formulierung bringt Norwegens Botschafter Steffen Kongstad das erreichte Verbot. Trotz der verständlichen Freude über den Erfolg bemängeln Minengegner, dass einige der größten Produzenten und Besitzer von Streumunition sich verweigern. Zu ihnen gehören neben den USA und Russland Brasilien, China, Indien, Pakistan, Israel und Südkorea. Auch einige inkonsequente Regelungen treffen auf Kritik. So sind bestimmte Arten von High-Tech-Munition vom Verbot ausgenommen, z.B. sensorengesteuerte Punktzielmunition, mit elektronischen Selbstzerstörungs- und Deaktivierungseinrichtungen ausgerüstete Streuminen wie auch Dispenserwaffen, mit denen Streumunition verschossen werden kann. Ebenso ist die Entwicklung und Produktion neuer Bombentypen nicht ausgeschlossen. Entsprechend den Vertragsbestimmungen müssen zwar 95% der deutschen Bestände an Streumunition verschwinden, aber Neubeschaffungen wie z. B. Punktzielmunition des Typs SMART 155 werden bereits anvisiert. Die Anzahl der zu zerstörenden Streumunitionen der Bundeswehr wird auf 25 - 30 Millionen geschätzt, die nun innerhalb von 4 Jahren und damit vorfristig zerstört werden sollen. Hinter dem Beharren auf den "klugen Bomben" stecken nach Ansicht von Thomas Küchenmeister vom Aktionsbündnis Landmine.de handfeste wirtschaftliche Interessen. Die Bundeswehr habe sich bereits mit den deutschen Rüstungsunternehmen Diehl und Rheinmetall auf die Herstellung von so genannter intelligenter Streumunition im Wert von über 500 Mio. Euro geeinigt. Offensichtlich auf Druck aus Washington wurde sehr spät in den Verhandlungen noch eine Klausel aufgenommen, die den Geist des Abkommens in seinem Kern verletzt. Artikel 21 gestattet den Vertragsstaaten, an gemeinsamen Militäraktionen mit Nicht-Vertragsstaaten teilzunehmen. Damit wird beispielsweise erlaubt, an NATO-Einsätzen mit den USA teilzunehmen, selbst wenn diese Streumunition einsetzen. Auch sollen US-amerikanische Bomben weiterhin in Stützpunkten der NATO-Partner gelagert werden dürfen. "Eine völlig inakzeptable Regelung", kritisiert De Keersmaeker. "Es ist bedauerlich, dass auch Deutschland eine solche Regelung unterstützt." Die britische Regierung hingegen hat bereits angekündigt, nicht nur auf ihr eigenes Streubombenarsenal zu verzichten, sondern auch die Bestände der USA auf britischem Boden entfernen zu lassen. Der Sprecher des State Departments Tom Casey seinerseits ließ verlauten, dass man dem Abkommen nicht beitreten werde, denn "Cluster Bombs" blieben für die US-Streitkräfte "von herausragender Bedeutung". Trotzdem sahen sich die Militärs aber gezwungen, dem internationalen Druck nachzugeben. Verteidigungsminister Robert Gates erließ eine Anordnung, wonach künftig mindestens 99 Prozent der Sprengsätze einer Cluster-Bombe bei einem Einsatz detonieren müssen. Allerdings will man sich damit Zeit lassen, bis 2018. Doch habe der designierte Präsident Barack Obama in einer Senatsabstimmung gegen den Einsatz von Clusterbomben in dicht besiedelten Gebieten gestimmt, sagt die CMC-Vizevorsitzende Grethe Ostern: "Daher ist es nicht nur eine theoretische Chance, dass wir auch die USA an Bord bekommen." Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zufolge haben sowohl Georgien als auch Russland im Kaukasus-Krieg des vergangenen Sommers Streumunition eingesetzt. Während Moskau gar nicht am Osloprozess teilgenommen hat, will Tiflis dem Abkommen immerhin beitreten. "Georgien hat zugesagt, die Konvention zu unterschreiben", reagierte Deutschlands HRW-Chefin Marianne Heuwagen unmittelbar auf den Einsatz von Streumunition. "Jetzt noch einmal alle Bomben zu verballern, die im Depot liegen, ist unverantwortlich." Viele Staatenvertreter und auch zahlreiche Streumunitionsopfer werten das vorliegende Vertragsergebnis trotz der Schlupflöcher insgesamt als Erfolg. "Wir haben ein starkes und umfassendes Abkommen erzielt", lobt Norwegens Außenminister Jonas Gahr Støre: "Das Verbot wird Streubomben mit inakzeptablen humanitären Konsequenzen gelten, was in der Praxis bedeutet, dass jegliche Streumunition, die bis zum heutigen Tag im Krieg benutzt wurde, jetzt verboten ist." Nichtregierungsorganisationen geben sich mit dem Erreichten aber nicht zufrieden und haben bereits eine Fortsetzung ihrer Aktivitäten angekündigt. Sie werden die Umsetzung der Vertragsverpflichtungen aufmerksam anmahnen und beobachten. Ein besonderes Augenmerk wollen sie auf Alternativmunition richten, die vom Verbot ausgenommen wurde. Nicht zuletzt werden sie die Regierungen an deren Verpflichtung erinnern, auf verbündete Staaten einzuwirken, damit auch diese in Zukunft keine Streuwaffen mehr einsetzen. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein britischer Amtskollege David Milliband, die beide den Oslovertrag heute unterschreiben, fordern jedenfalls in einem gemeinsamen Beitrag in der Frankfurter Rundschau: "Wir müssen die Dynamik unserer Bemühungen aufrechterhalten. Unser Ziel bleibt ein wahrhaft weltumspannendes Instrument gegen Streumunition!" Bislang haben 10 Länder zugesagt das Verbot unverzüglich zu ratifizieren, darunter Kanada, Kroatien und Südafrika. Die Streumunitionsgegner hoffen, dass die Stigmatisierung der Waffen wirksamen politischen Druck aufbauen wird und möglichst bald die zum Inkrafttreten erforderlichen 30 Ratifikationen zusammenkommen. Dann könnte der Vertrag vielleicht schon im nächsten Jahr rechtswirksam werden. StreubombenZur Streumunition gehören die sogenannten "Cluster Bombs", die aus mehreren Sprengsätzen in einer Bombe bestehen. Sie werden von Flugzeugen abgeworfen, können aber auch als Streumunition verschossen werden. Als militärische Ziele zählen beispielsweise Truppenstellungen, Kasernen, Flugplätze und Gefechtsstände. Die mit Submunition gefüllten Mantelprojektile öffnen sich noch in der Luft und verbreiten bis zu 200 "Bomblets", die kaum die Größe von Coladosen haben, deren Füllung wiederum aus Splittergeschossen oder Minen bestehen kann. Manche explodieren beim Aufprall auf gegnerische Panzer, Fahrzeuge oder auf den Erdboden, oft jedoch bleibt dies durch eine dichte Vegetation oder weichen Untergrund zunächst aus. Bei einer Blindgängerquote von bis zu 40 Prozent verwandelt sich Cluster-Munition dann de facto zu langlebigen Landminen, die ganze Landstriche verseuchen. Streumunition, die mittels Raketen, Haubitzen oder Mörsern eingesetzt wird, verteilt innerhalb kurzer Zeit enorme Mengen an Munition über große Flächen. So können beispielsweise die Salven von Raketen-Werfern mit nahezu 8.000 Geschossen Explosionsteppiche einer Größe von jeweils 50 Fußballfeldern bilden. Viele Blindgänger bleiben am Boden liegen und explodieren oft erst Jahre nach Beendigung der Kämpfe. Einsätze von Streumunition im 21. Jahrhundert
Quelle: Human Rights Watch Die Zahlen!
(Angaben nach: handicap international und Cluster Munition Coalition)
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