Maritimes SäbelrasselnDie internationalen Fischfangflotten rauben am Horn von Afrika Milliardenwerte. Die daraus resultierende Piraterie wird von Industriestaaten mit Militarisierung der wichtigen Handelsroute beantwortetVon Claudia Haydt Weithin sichtbar waren die Flammen, als in der Nacht von 18. auf den 19. November die indische Fregatte "INS Tabar" im Golf von Aden ein vermeintliches Piratenmutterschiff beschoss und versenkte. Nachdem in den Wochen zuvor mehrere Schiffe von Freibeutern gekapert worden waren, zuletzt der saudische Supertanker "Sirius Star", gab es damit endlich eine Erfolgsmeldung im Kampf gegen die Piraten. In "Selbstverteidigung" und in einem "erbitterten Kampf" konnte die indische Marine den "Piraten ihre schwimmende Plattform" entziehen - so bejubelten die meisten internationalen Medien das Geschehen. Als sechs Tage später der vermutlich einzige Überlebende der Besatzung aus dem Meer gerettet wurde, kam eine gänzlich andere Geschichte zum Vorschein. Piraten hatten den thailändischen Fischkutter "Ekawat Nava 5" geentert. Als die "Tabar" sich näherte, drohten die Piraten, gaben einige Schüsse ab und verließen den Fischtrawler mit ihren Schnellbooten. Das Schiff mitsamt seiner größtenteils gefesselten Besatzung ging in Folge des Beschusses durch das Kriegsschiff in Flammen auf und sank. Ein Besatzungsmitglied wurde tot geborgen und 14 werden bis heute vermisst. Dieser Vorfall zeigt überdeutlich, was es bedeuten kann, wenn Piratenbekämpfung zu einer militärischen Aufgabe wird. Es ist bezeichnend für das momentane politische und mediale Klima, dass der Tod von wahrscheinlich 15 Menschen nicht zum Anlass genommen wurde, darüber nachzudenken, ob militärische Maßnahmen wirklich der richtige und sinnvolle Weg zur Überwindung der Pirateriegefahr sind. Mit beängstigender Zielstrebigkeit wird auf allen politischen Ebenen darum gerungen, sämtliche Hindernisse für den Militäreinsatz am Horn von Afrika - und weit darüber hinaus - aus dem Weg zu räumen. Die politische Agenda richtet sich dabei wesentlich mehr an den wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen der Truppensteller aus als an einer Bekämpfung der Ursachen der Piraterie. Militarisierung der SeewegeNur in Hollywoodfilmen sind Piraten so zuvorkommend, durch Hissen einer Totenkopfflagge ihren Gegnern die Identifizierung und Bekämpfung einfach zu machen. Bevor sich Piraten einem potentiellen Opfer nähern, sind sie weder für Kriegsschiffe noch für Aufklärungsflugzeuge eindeutig als Piraten zu identifizieren. Dennoch setzen sowohl Militärbündnisse wie die NATO oder die EU als auch Einzelstaaten wie Russland, Indien und die USA mit ihrer Fünften Flotte auf die militärische Karte. Russland versucht, die ehemalige sowjetische Marinebasis in Aden (Jemen) wieder zu beleben, und Indien ist es gelungen, in Oman Anlegemöglichkeiten für seine Kriegsschiffe zu erhalten. In den letzten Monaten ist es voll geworden im Meer vor dem Horn von Afrika. Der Indische Ozean ist offensichtlich ein neuer Schauplatz globaler Machtpolitik. Neben den genannten Akteuren haben weitere wie Frankreich, Großbritannien, Südkorea und Malaysia nationale maritime Kontingente entsandt. Sogar der Iran, dessen Schiffe ebenfalls Opfer der Piraterie wurden, kündigte seine Präsenz an. Japan erwägt militärischen Geleitschutz für seine Schiffe, und in China findet zur Zeit eine intensive Debatte darüber statt, ob die Marine künftig auch zum Schutz der chinesischen Handelsflotte eingesetzt werden soll. Dass innerhalb dieser bunten Antipiratenkoalition einiges an Eskalationspotential liegt, ist nicht zu übersehen. Die deutsche Marine ist auch ohne Antipiratenmandat längst Teil des Säbelrasselns. Seit Ende 2001 beteiligt sich die Bundesmarine an der maritimen Komponente der Operation Enduring Freedom (OEF). Mit der Fregatte "Mecklenburg-Vorpommern" und etwa 230 Seeleuten ist Deutschland am Horn von Afrika militärisch präsent, offiziell, um dort den internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Praktisch waren Marineschiffe jedoch schon mehrfach im Zuge der "Nothilfe" in Antipirateneinsätzen aktiv - wenn sie "zufällig in der Nähe" waren. Ab Januar 2009 wird die "Mecklenburg-Vorpommern" als Führungsschiff der OEF eingesetzt. Die NATO hat Anfang November 2008 im Rahmen der Operation "Allied Provider" die "Standing NATO Maritime Group 2" (SNMG2) aus dem Mittelmeer ans Horn von Afrika verlegt. Der deutsche Beitrag hierfür besteht aus der Fregatte "Karlsruhe" und dem Versorgungsschiff "Rhön". Begründet wird der Einsatz vor allem mit dem Schutz für Schiffe des Welternährungsprogramms. Warum für diese Aufgabe jedoch vier Kriegsschiffe nötig sein sollen, bleibt ein Rätsel. Die Operation "Allied Provider" kooperiert eng mit der indischen Marine, ein Fakt, der im blockfreien Indien für Diskussion über eine neue Bündnispolitik sorgt. Am Rande des jüngsten NATO-Außenministertreffens wurde klar, dass die Mission des Bündnisses Ende Dezember nicht beendet, sondern lediglich kurzfristig unterbrochen wird. NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer deutete an, dass verstärkte Präsenz auf den Weltmeeren für die NATO zukünftig einen hohen Stellenwert haben wird: "Die NATO prüft tatsächlich eine langfristige Rolle (…), aber auf diesem Globus gibt es viel Wasser, und dieses Thema wird noch lange Zeit auf der Tagesordnung stehen." EU als Seemacht?Am 10. November beschloss der Rat der Europäischen Union eine gemeinsame Antipirateriemission unter dem Namen "Atalanta". Die "gemeinsame Aktion" ermöglicht einen ersten Einsatz von Kriegsschiffen unter EU-Flagge. Ihr Auftrag: "Durchführung der erforderlichen Maßnahmen, einschließlich des Einsatzes von Gewalt, zur Abschreckung, Verhütung und Beendigung von seeräuberischen Handlungen oder bewaffneten Raubüberfällen, die in den Gebieten, in denen (die Mission "Atalanta" - C. H.) präsent ist, begangen werden könnten." Am Montag nächster Woche, also am 8. Dezember, werden die EU-Außenminister voraussichtlich den Operationsplan und die Einsatzregeln vereinbaren. Damit soll die Mission bereits in der kommenden Woche ihre Arbeit aufnehmen. Insgesamt sollen sechs Kriegsschiffe, drei Aufklärungsflugzeuge, Hubschrauber und Versorgungsschiffe eingesetzt werden. Der deutsche Beitrag dazu, die Fregatte "Karlsruhe", liegt vor Ägypten und wäre im Nu einsatzbereit. Die politische Entscheidung wird jedoch möglicherweise nicht ganz so schnell fallen. Das Kabinett wird wahrscheinlich am 10. Dezember eine Entscheidung über das Mandat treffen. Der Bundestag soll dann in der letzten Sitzungswoche vor Weihnachten im Schnellverfahren diesem Vorgehen zustimmen. Das funktioniert jedoch nur, wenn alle Fraktionen zustimmen. Die parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion, Dagmar Enkelmann, hat jedoch bereits angekündigt, dass ihre Fraktion erheblichen Diskussionsbedarf hat. Damit ist mit einer endgültigen Abstimmung im Bundestag voraussichtlich erst Mitte Januar zu rechnen. Viele Details der EU-Mission "Atalanta" sind tatsächlich fragwürdig. So ist völlig unklar, was mit gefangenen Piraten geschehen soll. Wie etwa soll der Richtervorbehalt des Artikels 104 im Grundgesetz (GG) am Horn von Afrika umgesetzt werden? Sollen Beamte der Bundespolizei für eventuelle Verhaftungen mit an Bord genommen werden? Offensichtlich will besonders die CDU/CSU das Piratenproblem als Türöffner für die Aushebelung der Aufgabentrennung von Polizei und Militär und Änderung der Artikel 35 und 87a GG nutzen. Auch der Einsatzraum der EU-Mission lässt einige Fragen offen. 500 Seemeilen entlang der somalischen Küste und der der Nachbarstaaten sollen die EU-Kriegsschiffe eingesetzt werden. Also auch in den Küstengewässern von Kenia und Dschibouti? Auch der Status der sogenannten "Embarked Military Forces", also kleiner militärischer Einheiten, die auf gefährdeten Handelsschiffen eingesetzt werden sollen, ist unklar. Es besteht die konkrete Gefahr, dass hier rechtliche Grauzonen etabliert werden. Das Ziel ist eindeutig: Die Bevölkerung soll daran gewöhnt werden, dass der Schutz von ökonomisch und strategisch wichtigen Seetransporten eine Aufgabe der Bundeswehr sei. Formal stützt sich die EU-Mission auf das Seerechtsübereinkommen und die UN-Resolution 1816. Artikel 105 des Übereinkommens ermöglicht jenseits der Zwölf-Seemeilen-Zone die Piratenbekämpfung. Außer der direkten Nothilfe ist aktive Pirateriebekämpfung möglich - jedoch keine Verpflichtung. Die UN-Resolution 1816 vom 2. Juni 2008 erweitert das Recht der Pirateriebekämpfung auf die Küstengewässer vor Somalia. Auch wenn die Resolution explizit feststellt, dass hier kein neues Gewohnheitsrecht geschaffen werden soll, ist doch zu befürchten, dass genau diese Aushebelung von staatlicher Souveränität als "Lösung" auch für zukünftige Konfliktkonstellationen angewandt wird. Mit der Resolution 1816 ermöglicht der Sicherheitsrat einen Einsatz gegen Piraten nach Kapitel VII der UN-Charta, zuerst auf sechs Monate beschränkt. Voraussetzung für eine solche "robuste" Mission ist eine Bedrohung des internationalen Friedens. Piraterie ist jedoch nicht mehr und nicht weniger als gewöhnliche Kriminalität. Der Sicherheitsrat hat durch seine Entscheidung einen weiteren Beitrag zur Aushöhlung des Völkerrechts geleistet. Diesen Kurs hält er, indem er am 2. Dezember 2008 die Piratenbekämpfung in somalischen Hoheitsgewässern um ein Jahr verlängerte. Insgesamt soll die Bundeswehr bis zu 1.400 Soldaten für die EU-Mission "Atalanta" stellen. Mit dieser Größenordnung schafft sich die Regierung viel Spielraum. Es geht dabei auch darum, ein kurzfristiges Mandate-Switching zu ermöglichen. Dann kann eine Antiterrorfregatte, wenn sie gerade in der Nähe eines Piratenschiffs ist, zeitweilig zur Antipiratenfregatte mutieren. Grund für die maritime Präsenz ist offensichtlich: In einem Interview mit dem Fernsehsender Phoenix erklärte Verteidigungsminister Franz Josef Jung am 2. Dezember, dass Deutschland als Exportweltmeister Seesicherheit brauche. "Wir sind auf freien Seehandel angewiesen." Mit mehr als 3.200 Schiffen liegt die deutsche Handelsflotte bei der verfügbaren Transportkapazität hinter Griechenland und Japan auf Platz drei. Bei der Containerschiffahrt belegt Deutschland den ersten Platz. Der aktuelle Jahresbericht des Flottenkommandos der Deutschen Marine stellt fest: "Die maritime Wirtschaft zählt mit mehr als 380.000 Beschäftigten und einem Umsatz von rund 48 Milliarden Euro zu den wirtschaftlich wichtigsten und fortschrittlichsten Wirtschaftszweigen in Deutschland." Ungünstig für die Wirtschaft ist auch: Die Internationale Handelskammer gibt an, dass sich allein im letzten Jahr die Versicherungsprämien für den Transport durch den Golf von Aden verzehnfacht hätten. Das kann zu steigenden Preisen für Importe und Exporte führen. Die Seeroute vor Somalia wird jährlich von etwa 50.000 Schiffen passiert. 20.000 davon nehmen pro Jahr die Route durch den Golf von Aden zum Suezkanal, einen Weg den auch 30 Prozent des Rohöls für Europa nimmt. Piratenfischer und GiftmüllDie Karibik nimmt heute unter den von Piraterie betroffenen Regionen keinen Spitzenplatz mehr ein. Nach Angaben der International Maritime Organisation waren im Jahr 2007 besonders die Straße von Malakka, das südchinesische Meer, die Küsten Westafrikas - speziell Nigeria - sowie die Küste Ostafrikas - speziell Somalia - Schwerpunkte von Piratenüberfällen. In all diesen Regionen ist die Armut der zentrale Nährboden für die Piraterie. 2007 wurden weltweit 263 Angriffe durch Seeräuber gemeldet, 43 davon auf deutsche Schiffe. Die angegriffenen Schiffe sind nur zu einem kleinen Teil Luxusyachten, in 2007 waren es acht, 121 waren Containerschiffe, 77 Chemikalien- und Rohöltanker. Im Jahr 2008 hat sich die Anzahl der Übergriffe auf die Schifffahrt am Horn von Afrika im Vergleich zu anderen Region deutlich erhöht. Zur Zeit befinden sich vor Somalia 14 Schiffe und etwa 340 Seeleute in der Hand von Piraten - bis sich Piraten und Reedereien über die Höhe des Lösegeldes geeinigt haben. Das kann Monate dauern. Zum finanziellen Umfang der Beute der Piraten gibt es nur Schätzungen. Allein vor dem Horn von Afrika sollen Piraten in den ersten neun Monaten dieses Jahres 30 Millionen Dollar Lösegeld erpresst haben. Das sind für die Piraten und ihre verarmte Umgebung riesige Summen - im Verhältnis zum gesamten Welthandel sind das Peanuts. 80 Prozent der Angriffe fanden in Küstennähe statt. Jedoch fällt auf, dass besonders die somalischen Korsaren ihren Aktionsradius zunehmend weiter auf das offene Meer ausdehnen. Europäische Fischfangflotten nutzen seit dem Zusammenbruch der somalischen Zentralregierung Anfang der 90er Jahre das Fehlen einer Küstenwache und überfischen das Meer vor Somalia. 2006 versuchte Greenpeace, auf das Problem aufmerksam zu machen, dass vor Somalia und in anderen Regionen durch illegalen Fischfang für die Ärmsten dieser Welt jährlich Milliarden von Verlusten entstehen. "Nachts sieht das Meer aus wie die Skyline von Manhattan", erläutert der Fischereiexperte Abdirahman Shuke vom Entwicklungs- und Forschungszentrum in der somalischen Provinzhauptstadt Garowe. Auch wenn die Schiffe häufig unter Billigflaggen fahren, sind die Profiteure meist klar zu benennen: Sie sitzen in der EU, den USA und Japan. Greenpeace nennt diese Form des Fischdiebstahls und der Umweltzerstörung Piraterie und ruft die EU auf, hier eindeutige ökonomische und rechtliche Schritte zu unternehmen. Bis heute geschah wenig. Klar ist jedoch, dass die illegalen Fischfangflotten von der EU-Mission "Atalanta" profitieren werden, da sie dann gefahrloser in deren Windschatten im Küstenbereich Somalias auf Beutezüge gehen können. Neben der Überfischung gefährdet auch die illegale Müllentsorgung die Sicherheit der Gewässer am Horn von Afrika. Der UN-Sonderbotschafter für Somalia, Ahmedou Ould Abdallah, erklärte im Juni dieses Jahres: "Ich bin überzeugt, dass Müll entsorgt wird, Chemikalien und wahrscheinlich atomare Abfälle." Ein Sprecher des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP), Nick Nutall, beschreibt in einem Interview mit dem Fernsehsender Al-Dschasira die ökonomische Bedeutung der illegalen Müllentsorgung: "Europäische Unternehmen stellten fest, dass es sehr billig ist, so ihren Müll zu entsorgen, wenn dies lediglich 2,50 US-Dollar pro Tonne kostet, während Müllentsorgungskosten in Europa bei 1000 Dollar pro Tonne liegen." Was tun gegen Piraterie?Die somalischen Piraten sind maritime Profis. Nicht wenige begannen ihre "Karriere" als Fischer oder Angehörige der somalischen Küstenwache. Aus Frustration über die leergefischten Fanggründe begannen Mitte der 90er Jahre einzelne Somalis von den Eindringlingen "Steuern" und "Fanglizenzen" zu kassieren. Einige der Piratengruppierungen nennen sich auch heute noch "Somali Marines" oder "National Volunteer Coast Guard". Der Zugang zum Piratengewerbe ist relativ barrierefrei. Die notwendige Grundausstattung besteht aus zwei bis drei Schnellbooten, sechs bis acht Bewaffneten und ein paar Kalaschnikows. Ebenfalls notwendig sind Kommunikationsmittel und meist vier bis sechs Meter lange Leitern. Da viele Handelsschiffe vollbeladen tief im Wasser liegen und dabei nur sehr langsam fahren, fällt es den kleinen Piratenbooten mit starkem Motor leicht, ihre Beute im Radarschatten einzuholen und zu entern. In den letzten Jahren hat sich die Arbeit der Seeräuber eindeutig professionalisiert. Sie haben einen Teil ihrer Beute in schnellere Boote, neuere Waffen und bessere Kommunikationsmittel investiert. Mutterschiffe und Satellitentelefone ermöglichen es, Angriffe Hunderte Seemeilen von der Küste entfernt durchzuführen. Die britische Schifffahrtspublikation Lloyd’s List berichtet davon, dass die Lösegeldforderungen im letzten Jahr deutlich gestiegen sind, von unter 100.000 Euro pro Schiff in 2007 auf Millionenbeträge in 2008. Die meisten Aktionen gehen auf das Konto von vier bis fünf Gruppen mit unterschiedlichen Fähigkeitsprofilen. Insgesamt sind wahrscheinlich zirka tausend Personen mehr oder weniger direkt ins Piratengeschäft involviert. Von den Geldern, die durch die Aktivitäten der Piraten in die arme Küstenregion fließen, profitieren jedoch ganze Städte und Dörfer. Eine politische Agenda haben die Piraten nicht. Ebenso gibt es keine Verbindungen zu Islamisten in Somalia. Im Gegenteil, diese bekämpfen Piraten am entschiedensten. Als von Juni bis Dezember 2006 die Union der Islamischen Gerichtshöfe (UIC) an der Macht war, rückten diese den Korsarennestern so entschlossen zu Leibe, dass die Piraterie zu Erliegen kam. Allerdings nur solange, bis dann im Dezember die äthiopische Armee mit Hilfe der USA in Somalia einmarschierte. Es gibt eine Reihe ganz banaler, aber sehr effektiver Schutzmöglichkeiten von Schiffen vor Piratenüberfällen. Die wichtigste ist, wie von der International Maritime Organisation empfohlen, eine durchgehende Antipiratenwache. Wenn Piraten rechtzeitig entdeckt werden, dann können sie mit Hochdrucklöschwasserkanonen am Entern gehindert werden. Ebenso ist es äußerst effektiv, Bordwände mit Schmierfett zu bestreichen. Da diese Lösungen aber sehr personalintensiv sind, sind sie bei Reedereien nicht sehr beliebt. Piraterie ist organisierte Kriminalität, aber sie ist nicht staatlich arrangiert, sie führt keinen Krieg, und um die mafiaartigen Strukturen zu zerschlagen, helfen Kriegsschiffe und Aufklärungsflugzeuge wenig. Der Ursprung der Piraterie liegt nicht auf dem Meer, sondern auf dem Land. Eine effektive militärische Lösung kann es schon allein deswegen nicht geben. Auch kurzfristig ist ein militärisches Eingreifen sehr aufwendig. In einer Präsentation der European Union Naval Coordination Cell (NAVCO) vom 15. Oktober 2008 wird deutlich, wie groß dieser Aufwand ist: "Wirklicher Schutz braucht eine permanente Nähe zwischen militärischen Fähigkeiten und zivilen Schiffen." Bei 50.000 Schiffen, die jedes Jahr in der Region vor dem Horn von Afrika unterwegs sind, gilt deswegen: "Wenn wir alle Schiffe, die das Gebiet durchfahren, effektiv schützen wollten, dann würden alle Armeen dieser Welt nicht ausreichen." Es ist darum völlig unverständlich, warum die Europäische Union zwar eine Militäraktion startet, nicht jedoch einen Plan zur präventiven Bekämpfung der Ursachen von Piraterie entwickelt. Der Friedenprozess in der indonesischen Provinz Aceh zeigt, dass eine politische und ökonomische Perspektive die Pirateriegefahr massiv senken kann. Eine politische Lösung in Somalia wird es jedoch nur dann geben, wenn alle relevanten politischen Akteure einbezogen werden - auch die Union der islamischen Gerichtshöfe. Die Industriestaaten können viel zur Seesicherheit beitragen, wenn sie für die Strafverfolgung ihrer eigenen Flotten in Fragen der illegale Müllentsorgung und Überfischung am Horn von Afrika sorgen. Genauso könnten sie zusammen mit den somalischen Nachbarstaaten den Stopp der Rüstungsexporte in Angriff nehmen. Wer den Indischen Ozean jedoch zum Aufmarschgebiet für eine neue Runde globaler Machtpolitik macht, der trägt massiv zur sicherheitspolitischen Eskalation bei. Claudia Haydt ist Soziologin und Religionswissenschaftlerin. Sie ist Mitglied im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung e.V. in Tübingen (www.imi-online.de)
Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - IMI-Analyse 2008/040 - in: Junge Welt, 5.12.2008. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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