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Struktureller Mord im Lügengespinst der Polizei

Ein ungewöhnliches Urteil der 6. Strafkammer zu Dessau

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Von Wolf-Dieter Narr

Am 7.1.2005 ist Oury Jalloh aus Sierra Leone im Polizeigewahrsam zu Dessau, in Zelle Nr. 5 auf einer Schaumgummimatratze festgekettet, um die Mittagszeit verbrannt. Oury Jalloh, Anfang zwanzig, hatte in der BRD vergebens Asyl gesucht. Warum wurde Oury Jalloh in eine Zelle gebracht und festgekettet; warum wurde die Situation des Gefesselten nicht andauernd überprüft; wer hat die Matratze in Brand gesteckt; wie kam ein Feuerzeug in die blitzsaubere Zelle; warum wurde Oury Jalloh nicht rechtzeitig losgekettet und gerettet? Fragen über Fragen.

Über zwei Jahre nach dem Feuertod in polizeigeschützter Gewahrsamzelle wurden zwei Polizeibeamte, einer höheren Rangs, staatsanwaltlich angeklagt. Sie hätten aufgrund pflichtmäßigen Versäumnisses und fahrlässig zum unerklärten Tod im "Gewahrsamsbereich" der Dessauer Polizei beigetragen.

Am 8.12.2008 um 16.45 Uhr ging der Prozess mit einem längst erwarteten Freispruch wie einem musikalischen Scheinschluss zu Ende. Freunde Oury Jallohs protestierten. Hin und her gehen Protestrufe, Versuche in den Gerichtssaal gekommener Polizeileute, die Protestierenden hinauszudrängen. Der Vorsitzende Richter, Manfred Steinhoff, verkörperte Deeskalation durch Sichruhigverhalten. Um 17.30 Uhr hebt er damit an, Gründe für den Freispruch vorzutragen. Nun kommt alles andere als erwartet.

  • Das Verfahren habe in einem rechtstaatlichen Sinne als Wahrheitssuche nicht stattfinden können.
  • Die Suche nach einem angemessen Urteil seien in über 60 statt in sechs Sitzungen daran gescheitert, dass auf dem Boden sumpfiger Wahrscheinlichkeiten und unzuverlässiger Indizien keine harte Tatsachen und stimmigen Indizien hätten gesichtet werden können.
  • Dafür aber seien drei ineinander verhakte Gründe schuldig: eine unzureichende staatsanwaltliche Zeugenvernahme und Klageschrift (letzteres deutete der Richter nur an); eine Polizeibehörde, die nicht nur das Verfahren ungehörig zu beeinflussen suchte, sondern lebenswichtige Vorkehrungen insbesondere in der Gewahrsamzelle und in Sachen Feuerschutz schlampig zu treffen versäumte; insbesondere aber ein anhaltendes Lügenspinnen der polizeilichen Zeugen, die Angeklagten eingeschlossen. Jede und jeder habe ihre beruflichen Pflichten versäumt und statt dessen nach dem Prinzip des Opportunismus sich verhalten: rette sich wer kann. Darum häuften sich Fehlaussagen, Widersprüche, zu spät kommende Erinnerungen, groteske Kompetenzmängel und ähnliches mehr. Darum seien die Ermittlungen durch eine bunte Kette von "Pleiten, Pech und Pannen gekennzeichnet gewesen."
  • "Sie - dieses Corps der Polizeibeamtinnen und Beamten, die Leitung eingeschlossen - alle haben dem Rechtsstaat geschadet." Der Freispruch erfolge, weil das Gericht "im Namen des Volkes" zur Wahrheit verpflichtet sei. Diese sei von der Polizei von Lügen zugehängt worden.

Richter Steinhoff sprach nicht von einer Prozessverhinderung durch die Polizei, einem "institutionellen Rassismus", abgefeimte Konstruktion der Tatsachen, die schon mit der staatsanwaltlichen Anklage begonnen habe, wie die treffliche Vertreterin und die beiden kompetent-engagierten Vertreter der Nebenklage. Er benutzte nicht den Ausdruck "Struktureller Rassismus", nicht "Lügengespinst der Polizei". Darauf lief jedoch die Urteilsbegründung ohne eigentliches Urteil hinaus. Ein Prozessergebnis, in dem der Polizei, und nicht nur der Dessauer mit durchschlagenden Gründen der Prozess gemacht wurde. Die Polizei: schlampig, inkompetent, fahrlässig, vorurteilsgeneigt, arrogant ob ihrer Gewalt, aber selbst festgefügt wie ein beweglicher Block mit raren Ausnahmen, sobald eigenen Mängeln nachgegangen werden sollte: sie, diese Polizei in ihrer Organisation von oben bis unten ist des Mordes an Oury Jalloh angeklagt. Die im Verfahren gesammelten Indizien fügen sich jenseits einzelner Personen zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammen: Die Polizei zu Dessau ist schuldig.

Prof. Wolf-Dieter Narr hat im Namen des Komitee für Grundrechte und Demokratie der Urteilsverkündung im Prozess um den Tod des Asylsuchenden Oury Jalloh beigewohnt.

Quelle: Komitee für Grundrechte und Demokratie   - Pressemitteilung vom 09.12.2008.
 

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Veröffentlicht am

09. Dezember 2008

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