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Primat der Ökonomie

30 Jahre Wirtschaftsreformen in China: Die Kommunistische Partei hat ihre Ideologie preisgegeben. Aber ihre politische Macht bleibt unangetastet.

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Von Karl Grobe

In der Provinz Anhui ist die chinesische Neuzeit eingeleitet worden. Im Dorf Xiaogang haben 18 Bauern im November 1978 das Ackerland auf ihre Familien verteilt und damit die auf Produktionsbrigaden, Volkskommunen und Planauflagen beruhende landwirtschaftliche Ordnung außer Kraft gesetzt. Der gerade auf den ersten Platz in der Parteihierarchie aufsteigende Deng Xiaoping befand das sofort für gut, und das Dritte Plenum des 11. Zentralkomitees folgte seinem Ratschlag, fast auf den Tag vor dreißig Jahren. So lautet die Legende. Die Wahrheit ist komplizierter.

Das Plenum leitete die Abkehr von der Planwirtschaft ein. Das war Revolution von oben. Sie folgte schlüssig auf den Sieg der Reform-Fraktion in der Parteiführung über die maoistische Linke und die ebenfalls noch maotreuen Zentristen. Die Selbstbefreiung der Bauern von Xiaogang war spontane Zugabe, freilich nicht die einzige. Die landesweite Bauernbefreiung organisierte die nun mächtige Reform-Fraktion.

Die Konsequenz, die Umwandlung der egalitären Gesellschaft in eine kapitalistische, hat sie nicht vorausgesehen. Die Notwendigkeit der Modernisierung - auch der Industrie, des Bildungswesens und des Militärs - hatte sie jedoch erkannt. Das war das Programm eines Dreigestirns, neben Deng jüngere Funktionäre wie Hu Yaobang und Zhao Ziyang. Sie hielten es nicht für falsch, wenn "einige zuerst reich werden".

Die Bauern-Einkommen stiegen dramatisch. Das gab den Anreiz zu Wohnungsbau in den Dörfern - und zur Intensivierung der Landwirtschaft. Der Einsatz von Düngern, Insektiziden, Maschinen erhöhte die Produktivität, machte aber Hunderte Millionen arbeitslos: Im Agrarsektor war für sie kein Platz mehr.

Reformen in der Industrie folgten, kapitalistische Unternehmen zuerst in Sonderwirtschaftszonen, dann landesweit. Die Konkurrenz auf dem Markt der Ware Arbeitskraft wuchs, der Zustrom der Wanderarbeiter - heute rund 200 Millionen - verschärfte sie. Arbeitervertretungen, die Lohnforderungen hätten durchsetzen können, bestehen jedoch nicht; die Arbeitskraft blieb billig. Dies ist - neben technischer Modernisierung - die Voraussetzung für den Aufstieg Chinas zur Werkbank der Welt.

Eine Reform aber blieb aus, die politische. Deng hatte die Demokratiebewegung 1979 im Machtkampf gegen die anderen Fraktionen benutzt und dann abgewürgt. Die zweite Welle, zehn Jahre darauf, ließ er mit Armeegewalt niederschlagen. In den offiziellen Erfolgsbilanzen kommt das Jahr 1989 nicht vor, die Akte bleibt geschlossen.

Auch das war ein Entscheidungsjahr. Da die Partei ihre Ideologie preisgegeben hatte, konnte sie Legitimation und Macht nur bewahren, indem sie materiellen Fortschritt lieferte, harten Kapitalismus unter dem Namen "Sozialismus mit chinesischen Charakteristika". Ihre Macht ist uneingeschränkt; Korruption und die tiefe Kluft zwischen Reich und Arm sind die Folgen, die globale Krise erreicht China außerdem.

Es steht vieles auch auf der Haben-Seite. Wohlstand - nicht für alle - und persönliche Freiheiten, wie sie heute bestehen, hat China nie gekannt. Trotz aller Zensur gibt es Diskussionen in Zeitschriften und Internet, die grundsätzliche Fragen stellen. Daraus kann Zivilgesellschaft entstehen. Eines Tages, mit chinesischen Charakteristika.

Quelle: Frankfurter Rundschau   vom 22.12.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.

Veröffentlicht am

22. Dezember 2008

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