Helmut Gollwitzer wäre am 29. Dezember 2008 einhundert Jahre alt gewordenWürdigung von Helmut Gollwitzer bei einer Gedenkveranstaltung am 14.12.2008 in Berlin-DahlemVon Claus-Dieter Schulze An Helmut Gollwitzer wollen wir heute denken, der jetzt bald 100 Jahre alt geworden wäre. Mir wurde er in meinen 17 Dahlemer Jahren als Mitprediger und auf zahlreichen Veranstaltungspodien ein väterlicher Freund, nachdem er zuvor schon mein anregender Doktorvater gewesen war. Zweimal war Golli, wie ihn alle seine vielen Freunde nennen durften, tätiges Mitglied unserer Gemeinde. Nach seiner Verhaftung am 1. Juni 1937 hat Martin Niemöller sich den jungen Pastor als seinen Vertreter gewünscht. Der hat nicht nur einige Konfirmandenjahrgänge überzeugt, sondern sich auch an der Hilfe für Judenchristen und Juden beteiligt. Nach der sog. Reichskristallnacht 1938 hielt er hier seine weit bekannt gewordene Bußtagspredigt gegen das Wegschauen der Christen. Ende 1940 mußte er als Sanitäter zur Wehrmacht, faktisch eine Rettung vor der Gestapo, und geriet am Kriegsende in russische Gefangenschaft. "…und führen wohin du nicht willst", dieser Bericht nach viereinhalb Jahren Gefangenschaft hat ihn in Deutschland und darüberhinaus berühmt gemacht. Als Professsor für Systematische Theologie ist Golli dann 1957 nach Berlin zurückgekehrt, zur Freien Universität, und zog mit seiner Frau Brigitte, mit der "Golla", 1966 in die Nebingerstr.11, jetzt wieder ein richtiger Dahlemer. Erst war Theo Jänicke hier sein Mitkämpfer des Wortes, später hat er mit Friedel MarquardtGemeint ist der evangelische Theologe Friedrich-Wilhelm Marquardt (1928 - 2002), der 1976 zum Nachfolger Gollwitzers auf die Professur für Systematische Theologie an der FU Berlin berufen wurde. und mir gemeinsame Predigtreihen durchgeführt. Aber wir trafen uns auch an anderen, an heißeren Orten in der Stadt und in der Republik. Hier hat er zusammen mit den beiden andern aus der Dreierbande, nämlich Heinrich Albertz und Kurt Scharf, beispielsweise die Besetzung unserer Kirche oder den Hungerstreik der Argentinienflüchtlinge bei uns verteidigt, ganz zu schweigen von dem Asyl, das er selber Rudi und Gretchen Dutschke gewährte; sie waren bei ihm offizielle Untermieter und unsere Gemeindeglieder. Helmut Gollwitzer war ein Mensch, der tat, was er sagte, und der zu allen Vorgängen in Kirche und Gesellschaft biblisch Durchdachtes zu sagen hatte. Er tat es deutlich - und liebevoll. Der Mann mit der Matratze auf dem Kopf - wir kennen alle das Foto von seinem symbolischen Einzug in ein besetztes Haus in Kreuzberg - war zuerst der mit dem Gotteswort im Kopf und im Herzen. Weit über 1000 Titel umfaßt seine Bibliographie von 1986 - Bücher, Broschüren und Gelegenheitsschriften, Rezensionen, Predigten und Pamphlete. Ich hatte als erstes seine Auseinandersetzung mit meiner anderen Lehrerin, Dorothee Sölle, gelesen: "Die Existenz Gottes im Bekenntnis des Glaubens". Es ist sicher mehr als ein Zufall, daß diese Bibliographie in dem Jahr abbricht, in dem seine geliebte Lebensgefährtin Brigitte starb, Tochter einer Jüdin und eine ganz eigenständige Persönlichkeit, die sich bei Aktion Sühnezeichen engagierte. Und daß Golli sich ohne seine Golla mehr und mehr zurückzog. Als er in unserer Predigtreihe über die Zehn Gebote das sechste Gebot erwischt hatte, flüsterte sie mir schmunzelnd zu: "Was hat er sich diesmal gequält. Sei froh, daß du heute nicht dran bist!" Aber die Predigt war natürlich mitreißend. Dr. Claus-Dieter Schulze, Pfarrer im Ruhestand, hat bei Helmut Gollwitzer promoviert. Er war von 1976 - 1993 Pfarrer an der Jesus-Christus-Kirche in Berlin-Dahlem, hat mit Gollwitzer in einigen Predigtreihen zusammengewirkt (u.a. "Aus der Sklaverei befreit" und "Utopien in der Bibel", Radius-Verlag). Beim Gedenken am 14.12.2008 in Berlin-Dahlem hielt er die Predigt im Festgottesdienst und eine Würdigung Gollwitzers (siehe oben). Claus-Dieter Schulze lebt inzwischen in der
Kommunität Grimnitz
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